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Gran Torino

Text: Stefan Volk / 04. Mär. 2009

«Man hat mich schon vieles genannt, aber noch nie lustig.» Mit diesem trockenen Kommentar reagiert der knurrige Rentner Walt Kowalski auf die Bemerkung einer charmanten jungen Asiatin, die ihn auf einer Party anspricht, auf die es den verbitterten Koreakriegsveteranen über recht absonderliche Wege verschlagen hat. Wie so vieles in Gran Torino bezieht sich dieser Spruch jedoch nicht nur auf Kowalski, sondern vor allem auf Clint Eastwood selbst. Gemeint ist der Schauspieler aus früheren Zeiten; der einsame Held, der harte Hund, der Mythos, die Ikone. Ausgiebig macht sich Regisseur Eastwood in seinem Film über dieses in die Jahre gekommene Klischee lustig.

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Kowalski wirkt nicht nur wie ein Überbleibsel aus längst vergangenen Tagen, sondern auch wie eine ziemlich einfach gestrickte Filmfigur, die plötzlich in das wahre Leben hineinkatapultiert wurde. Verloren geistert der alte Herr durch eine moderne Welt, die er nicht mehr versteht. Seine Kinder sind ihm fremd geworden. Er wohnt noch immer im selben Viertel, in dem er sich vor Jahrzehnten ein Haus gekauft hat, ist dort aber längst der einzige Weisse weit und breit. Trotzig hisst der ehemalige Ford-Fliessbandarbeiter die US-Flagge, hält sein M1-Gewehr einsatzbereit und poliert seinen Gran Torino. Ebenso wie den alten Wagen pflegt der Witwer seine Vorurteile gegen Schwarze, Latinos, Asiaten, Iren, Juden oder auch Christen. Nein, dieser Walt Kowalski ist nicht das, was man sich unter einem freundlichen alten Herrn vorstellt. Dass er trotzdem nicht unsympathisch wirkt, liegt an Eastwoods von Anfang an humorvoller, ironischer Inszenierung. Mit den bösen Blicken, die Kowalski und die Grossmutter der nachbarlichen Hmong-Familie Lor miteinander austauschen, und den kindischen Spuckduellen, die sie sich liefern, geben sie eine bizarre Version des ohnehin schon merkwürdigen odd couple ab.

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Bewegung kommt in die festgefahrenen nachbarschaftlichen Fronten, als Thao, der jüngste Sprössling der Lors, sich von seinem älteren Cousin und dessen Gang dazu anstiften lässt, Kowalskis Auto zu stehlen. Zumindest versucht er es. Allerdings wird er von dem wehrhaften Kriegsveteranen auf frischer Tat ertappt und in die Flucht geschlagen. Als kurz darauf Thaos Cousin mit seiner Bande aufkreuzt, um den zurückhaltenden Jungen mit Gewalt zur nächsten Mutprobe zu zwingen, greift der gealterte Vorstadt«Dirty Harry» erneut zum Gewehr und verjagt die Jugendlichen von seinem Grundstück. Von Thaos Familie wird er fortan wie ein Held gefeiert. Jeden Tag stehen – sehr zu seinem Leidwesen – neue Dankesgeschenke vor seiner Haustür. Und als er dann auch noch Thaos selbstbewusster älterer Schwester Sue zu Hilfe kommt, als diese von drei afroamerikanischen Jugendlichen bedrängt wird, kann er den Kontakt zu den Lors nicht länger unterbinden. Sue lässt sich von seiner ruppigen, abweisenden Art nämlich nicht abschrecken und gewinnt so langsam seine Sympathie. Schliesslich ist er bereit, auch Thao zur Wiedergutmachung für sich arbeiten zu lassen. Die traditionsbewusste Hmong-Familie, ihre westlich orientierten Kinder und der Amerikaner aus dem letzten Jahrhundert kommen sich auf diese Weise allmählich näher. Irgendwann schleicht Kowalski dann sogar mit einer Flasche Bier in der Hand auf einer Party seiner Nachbarn herum, wo er, weil er sonst gerade nichts zu tun hat, kurzerhand die Waschmaschine im Keller repariert.

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So kauzig und unbeholfen dieser altmodische Patriot bei sozialen Anlässen wirkt, so souverän und kaltblütig tritt er auf, wenn es mit der Waffe in der Hand etwas zu regeln gibt. Der selbstironische Unterton ist in diesen Szenen allerdings nicht zu übersehen. Mit tiefer Brummstimme und ohne eine Miene zu verziehen hält Kowalski mit markigen «Dirty Harry»Sprüchen seine Kontrahenten in Schach. Doch auch hier muss er schliesslich seine Grenzen erkennen. Das Leben ist eben kein Dirty Harry-Streifen, und mit den Methoden aus dem Koreakrieg ist der Kampf gegen die zunehmende Jugendkriminalität in amerikanischen Vorstädten nicht zu gewinnen. Je stärker sich Kowalski für Thao und seine Schwester einsetzt, desto mehr setzt der Cousin ihnen zu. Die Verlockung ist gross, diesem unsäglichen Bandentreiben mit bleierner «Dirty Harry»-Methode ein für alle mal ein Ende zu setzen. Für den Zuschauer wie für Kowalski. Die Zweifel, ob das gelingen kann, nagen aber an dem alten Mann ebenso wie eine unverarbeitete Schuld, die er seit dem Koreakrieg mit sich herumschleppt. Ein Zurück gibt es für ihn nicht mehr, aber Thao, Sue und der hartnäckige junge Pfarrer, der Kowalskis Ehefrau an ihrem Sterbebett versprochen hat, sich um ihren Mann und dessen Seelenheil zu kümmern, könnten seinem Leben eine neue Richtung verleihen.

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Gran Torino ist bitterkomisches und ungeheuer liebenswertes Kino. Der auf Hochglanz polierte Ford Gran Torino und sein altersstarrer Besitzer symbolisieren die Überreste eines verlorenen amerikanischen Traumes. Die einst florierende Automobilindustrie ist zu einem maroden Industriezweig verkommen, der Glaube an ein gerechtes Amerika geplatzten Illusionen und persönlicher Ernüchterung gewichen. Und das gilt auch für Kowalski und für Eastwood. Gran Torino überzeugt als sozialkritischer Abgesang auf den «American Way of Life» ebenso wie als selbstironischer Abschied vom Mythos des Revolverrechts. Das ist komisch, tragisch, cool und warmherzig, am Ende ein wenig dick aufgetragen, aber insgesamt bemerkenswert vielschichtig und vielstimmig erzählt; ein nachdenklicher, köstlicher, kurz: ein wunderbarer Film.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2009 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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