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El Clan

El Clan erzählt die Geschichte der Puccio-Familie, die in den 80er-Jahren in Buenos Aires für zahlreiche Verbrechen verantwortlich war. Pablo Trapero widmet sich mit seinem jüngsten Film jener dunklen Ära seines Heimatlandes, um diese mit den Mitteln des US-Genrekinos kurzzuschliessen.

Text: Michael Pekler / 07. Mär. 2016

Ehe Leopoldo Galtieri nach dem verlorenen Falklandkrieg 1982 entmachtet wurde, hielt er als führendes Mitglied der Militärregierung Argentiniens eine Ansprache. Die Soldaten des Landes hätten mit Würde gekämpft und die Heimat gegen die britischen Imperialisten verteidigt. Kurz darauf wurde Galtieri verhaftet und wegen der von ihm während der Diktatur verantworteten Menschenrechtsverletzungen verurteilt. Doch obwohl die Macht der Militärjunta, die Argentinien jahrelang im Würgegriff gehalten hatte, zu Ende gegangen war, blieb ihr Einfluss auf Politik und Justiz ungebrochen: Bereits nach wenigen Jahren wurde Galtieri von Präsident Carlos Menem begnadigt und aus der Haft entlassen.

In Pablo Traperos El Clan bildet die Rede Galtieris den Auftakt für die kommenden Ereignisse, wenngleich die politischen Umwälzungen in der Folge nur im Hintergrund ablaufen. Es ist vielmehr ein älterer Mann, der diese im Fernsehen verfolgt und voller Hohn die ehemaligen und neuen Machthaber mittels Ausschaltknopf zum Schweigen bringt. Der offizielle Dank an die Kommission, die mit der Klärung über das Verschwinden von Personen, den sogenannten Desaparecidos, während der Diktatur beauftragt wurde, verhallt bei ihm ebenso wie die Wahlkampfreden des ersten demokratisch gewählten Präsidenten Raúl Alfonsín.

El Clan funktioniert zunächst wie ein Puzzle, bei dem man vom Rand gegen die Mitte arbeitet, um schliesslich das fertige Bild vor Augen zu haben. Dieses Zentrum bildet die Familie Puccio, die in Buenos Aires lebt und die, worauf der Filmtitel bereits hinweist, eine Gemeinschaft der besonderen Art bildet: Der ältere Mann vor dem Fernsehgerät, Arquímedes, ist das Oberhaupt und führt ein strenges Regiment. Wobei Arquímedes kein gewalttätiger Mann ist, sondern einer der Worte: Seine willfährige Frau und seine Kinder sind seiner Manipulation bereits vor langer Zeit erlegen. Der Puccio-Clan ist einer mit selbst auferlegter Sippenhaftung.

Was im Hause Puccio vor sich geht, erfährt man in Rückblenden, nachdem zu Beginn des Films eine Sondereinheit der Polizei das vermeintlich traute Heim gestürmt und eine Geisel aus dem Keller befreit hat: El Clan setzt 1985 ein und stützt sich auf den wahren «Fall Puccio», der über das Argentinien der achtziger Jahre mehr enthüllt als jede Landeschronik. Arquímedes Puccio war ein Handlanger der Militärjunta und mit der «Verwahrung» von Desaparecidos beauftragt – ein angesehener Bürger und Nachbar, der seine Verbrechen jahrelang gefahrlos ausüben konnte.

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Pablo Trapero, vor knapp fünfzehn Jahren mit Arbeiten wie Mundo grúa und El bonaerense einer der führenden Vertreter des neuen argentinischen Kinos, widmet sich mit seinem jüngsten Film jener dunklen Ära seines Heimatlandes, um diese mit den Mitteln des US-Genrekinos kurzzuschliessen. El Clan folgt in wesentlichen Bereichen dem klassischen Gangsterfilm der Achtzigerjahre, wie ihn Martin Scorsese geprägt hat. Wenn etwa Alejandro, der älteste Sohn des Clans und erfolgreicher Rugbyspieler, das Lokal seiner Mannschaftskollegen zu den Klängen von «Sunny Afternoon» von The Kinks betritt und die Kamera sich mit ihm einen Weg durch die Menge bahnt, ist das mehr als blosse Reverenz an Goodfellas: Es ist Traperos Versuch, seine Erzählung mit einer kanonisierten Ästhetik zeithistorisch zusammenzuführen. Das Unheil wartet nicht am Ende der Kamerafahrt, sondern beginnt bereits beim Betreten des Raums.

Je enger sich das Netz um die Familie Puccio zusammenzieht, desto weiter entfernt sich Alejandro von seinem Vater. Auch diese dem realen Fall entsprechende Vater-Sohn-Beziehung überhöht Trapero zu einer Art Königsdrama, wenn dem Monarchen die Gefolgschaft seines Erbfolgers verweigert wird – und der Prinz sich zwischen Pflichtgefühl und Abscheu verliert. In einer emblematischen Szene sitzt Alejandro, der ein vom Vater gekauftes Tauchsportgeschäft betreibt, mit einer Druckluftflasche in seinem Laden und inhaliert so lange das Atemgas, bis er einen Zustand der Trance erreicht. Der Versuch einer rauschhaften Flucht aus der grauenvollen Wirklichkeit, aus der es kein Entkommen gibt.

Das ist der letzte Puzzlestein, den Trapero in seinem Film auslegt: Er stellt dem Bild der Familie als Keimzelle der Gesellschaft ein anderes entgegen: In diesem Bild pflanzen sich Missbrauch und Gewalt in der Keimzelle fort – und beginnen erst dort zu spriessen und weiteres Unheil zu säen

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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