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La memoria del agua

Film ist eine Emotionsmaschine, und wenn es darum geht, sie mit einem Liebesthema in Gang zu setzen, dann scheint der Chilene Matías Bize ein Experte zu sein. Auch sein fünfter Spielfilm dreht sich um die Beziehung zwischen Mann und Frau, wobei er diesmal mehr auf Bilder als auf Dialoge setzt und damit einen leisen und herzzerreissenden Liebesfilm schafft.

Text: Tereza Fischer / 24. Mai 2016

Film ist eine Emotionsmaschine, und wenn es darum geht, sie mit einem Liebesthema in Gang zu setzen, dann scheint der Chilene Matías Bize ein Experte zu sein. Auch sein fünfter Spielfilm dreht sich um die Beziehung zwischen Mann und Frau, wobei er diesmal mehr auf Bilder als auf Dialoge setzt und damit einen leisen und herzzerreissenden Liebesfilm schafft.

In La memoria del agua finden wir uns in den ersten Minuten mitten in der akuten Trennung eines jungen Ehepaars. Was in der ersten Einstellung als gewöhnlicher Alltag beginnt, wird im nächsten Moment von einem grossen Leid eingeholt. Amanda kann nicht mehr und verlässt den ratlosen Javier. Es muss etwas Schreckliches geschehen sein, so entsetzlich, dass sie nur leise sprechen und ganz behutsam miteinander umgehen. Ein einziges Bild vermittelt die Katastrophe: An der Wand ist mit Kreidestrichen das Wachstum eines Kindes aufgemalt, neben dem obersten Strich steht «4 años». Weiter geht es nicht.

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Javier und Amanda haben ihren Sohn Pedro verloren, von dem Bize im ganzen Film kein einziges Foto zeigt. Damit schafft er eine Leerstelle, die sich als allgegenwärtige Trauer in die Bilder eingraviert. Der Verlust des Kindes wird hier jedoch nicht zum Anlass einer psychologischen Erkundung, sondern zur Prämisse für die Unmöglichkeit eines weiterhin gemeinsamen Lebens der Eltern gesetzt. Jeder trauert anders. Amanda kann Javier nicht mehr ansehen, nicht so tun, als ginge das Leben weiter wie bisher. Sie kann ihn nicht mehr lieben.

Filme über Eltern, die mit dem Tod ihres Kindes ringen, gibt es viele. Während aber Rabbit Hole (John Cameron Mitchell, 2010) oder Antichrist (Lars von Trier, 2009) die unterschiedliche Bewältigung des Schicksals, den Umgang mit der Schuld und die Folgen für die noch bestehende Beziehung ausloten, geht es Bize in erster Linie um die unmöglich gewordene Liebe der Eltern und das Leid, das alles noch schwerer macht.

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Die Trennung und das Leben danach entfalten sich in La memoria del agua in elliptisch erzählten Augenblicken, ohne viele Worte, aber in Bildern des mit Schmerz getränkten Alltags. Zwischen Amanda, die als Dolmetscherin arbeitet, und dem Architekten Javier alternierend, reiht Bize leise und einsame Momente aneinander. Er konzentriert sich dabei mehr auf Javier, der unter einem doppelten Verlust leidet, der wissen will, warum ihn Amanda nicht mehr lieben kann. Wenn sie antwortet, dass sie jetzt mit Marcos zusammen sei, dann beschreibt sie nur ein Symptom. Genauso interessiert sich Matías Bize mehr für das Wie und nicht für das Warum.

Bize schafft immer wieder kondensierte Momente, in denen ganze Welten aufgehen. Als Amanda etwa nach einer Wiederbegegnung von Marcos einen Bildband über das Weltall geschenkt bekommt, vermittelt sich damit auch ihr Gefühl, mit ihm in einen andere Welt entfliehen zu können. Wenn Javier ein Geburtstagsgeschenk für den vierjährigen Sohn von Freunden kauft und, auf die Vorlieben des Jungen angesprochen, «Schnee und Türme» stottert, dann wissen wir, dass er von Pedro spricht und dass ihn diese beiden Dinge ein Leben lang an seinen Sohn erinnern werden.

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Das Drama findet hier nicht auf der Handlungsebene statt und wird auch nicht auf die filmische Oberfläche verlagert, vielmehr spielt es sich für uns nahezu unsichtbar im Inneren der Figuren ab. Ihnen lässt Bize Raum. In langen Grossaufnahmen lassen Benjamín Vacuña und Elena Anaya die Trauer zurückhaltend an die Oberfläche kommen. Die Zuschauer haben Zeit, sich in ihre Lage zu versetzen. In manchen langen Szenen, die er im klischierten Musikclip-Stil gestaltet, schwächt Bize etwas die ansonsten präzise gesetzten Worte und Bilder.

Am Schluss ist es der Schnee an Pedros Geburtstag, der Amanda und Javier wieder zusammenbringt. Die Liebe ist wieder ganz da, um sodann umso quälender zu kollabieren. Eine gemeinsame Flucht vor dem Schmerz gibt es nicht.

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