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Journey in Sensuality: Anna Halprin and Rodin

Nach Breath Made Visible (2010) widmet der Schweizer Ruedi Gerber der US-amerikanischen Tänzerin und Choreografin Anna Halprin zum zweiten Mal einen Dokumentarfilm. In Journey in Sensuality fokussiert er auf ein einziges Projekt: die kinästhetische Erkundung von Auguste Rodins Skulpturen.

Text: Tereza Fischer / 04. Mai 2016

Die beiden stärksten Leidenschaften des Genies sind die Liebe zur Natur und zur Wahrheit. – Auguste Rodin

Nach Breath Made Visible (2010) widmet der Schweizer Ruedi Gerber der US-amerikanischen Tänzerin und Choreografin Anna Halprin zum zweiten Mal einen Dokumentarfilm. Während der Vorgänger das Leben der mittlerweile 95-jährigen und bewundernswert agilen Grande Dame des expressiven Tanzes nachzeichnete und ihr Gesamtwerk vorstellte, konzentriert sich Journey in Sensuality auf ein einziges Projekt: die kinästhetische Erkundung von Auguste Rodins Skulpturen.

Nach einer leider etwas zu didaktisch ausgefallenen Einführung, in der Halprin von einer Tänzerin auf Rodin aufmerksam gemacht wird, ihn für sich entdeckt, sich über den Zustand der Welt schockiert zeigt, um aber doch noch sagen zu können, dass sie an das Gute im Menschen glaubt, macht sie sich auf, mit den Tänzerinnen und Tänzern des Sea Ranch Collective an der Küste von Kalifornien Rodins Werk tänzerisch umzusetzen. «Seven days celebrating life, its beauty and dignity.»

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Die Übungen am felsumrandeten Strand erscheinen als Selbsterfahrung in einem intimen Rahmen. Sie sind aber immer auch schon für den Betrachter gedacht, in diesem Fall für das Auge der Kamera. Gerber beobachtet, hält also in erster Linie fest, was flüchtig und einmalig ist. Gleichzeitig aber eignet er sich die Performances filmisch an. Er verwandelt sie durch Montage in eine innere Reise, in eine Geschichte. Er setzt sie den Körpern der Tänzer Bilder von Rodins Skulpturen entgegen, als wollte er das Resultat überprüfen – oder vielmehr die akkurate Annäherung den Zuschauern vor Augen führen. Die grösste Veränderung in der Wahrnehmung der Bewegungen erreicht er aber über die Tonspur. Das Rauschen des Meeres ergänzt er durch die schwirrende Musik des britischen Komponisten und Improvisationskünstlers Fred Frith, der sich in die suchenden Bewegungen der Tänzer einfühlt und die inneren Vibrationen hörbar macht.

Für die Tänzer sind die Erkundungen von Rodins Werk die Suche nach sich selbst, nach der Balance zwischen Innen und Aussen, zwischen Mensch und Natur, zwischen Verstand und Körper. Es ist auch die Auseinandersetzung mit der Frage, was eine Performance für den Künstler bedeutet, nämlich eine Gratwanderung zwischen der kinästhetischen Wahrnehmung der eigenen Bewegungen und dem Bewusstsein, dabei von aussen betrachtet zu werden.

Das ist ein faszinierender Vorgang, wie die Tänzer die unbelebte Materie in Bewegung bringen. Die Starre des behauenen Stein oder der gegossenen Bronze verflüssigen. Die bildende Kunst in Tanz zu übersetzen und damit das unbewegte Bild in Bewegung zu bringen, ist an sich dem Medium Film eigen, das die Fotografie laufen lernte. Immer wieder entstehen meditative Momente, in denen Gerber den Tänzern Raum gibt. Dabei vermitteln sich den Zuschauern die körperlichen Herausforderungen in der als Bühne fungierenden rauen Natur somatisch: wenn etwa einer der Tänzer scheinbar aus den tosenden Meereswellen nackt auf einen vom Wasser umspülten Felsen steigt, unsicher darauf Halt sucht, wankt, mit sichtlicher Anstrengung die Posen einnimmt und sich schliesslich an den harten Stein schmiegt. Oder wenn sich ein Paar unbekleidet wie Rodins Liebende zwischen Zweigen und Laub von Pose zu Pose wälzt. Die Körper suchen, vibrieren, fliessen ineinander.

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Vor allem am Anfang aber schneidet Gerber mitten in den Performances zur dozierenden Halprin. Gesprochen wird viel, die Reflexion dessen, was sich in den tänzerischen Suche entwickelt, fehlt jedoch fast vollständig. Wir erfahren nur sehr wenig über die inneren Prozesse, Unsicherheiten, Schwierigkeiten der Tänzer. Gerber gibt in erster Linie Halprin den Raum, um ihre Lehre zu vermitteln.

Den Schluss dieser Hommage bildet konsequenterweise eine öffentliche Performance, nicht am Strand, sondern in einem Redwood-Wald, zwischen und auf Bäumen, im und unter Laub, hängend, liegend, wankend, sich wälzend. Nachdem Gerber immer wieder Rodin zitierte, beschliesst er seinen faszinierten Film mit Rodins utopischer Phantasie: «Die Welt wird erst glücklich sein, wenn alle Menschen Künstlerseelen besitzen.» Den Menschen im Film scheint sie jedenfalls gegeben.

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