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Sami – A Tale From the North / Sameblod

Die angehende Rentierzüchterin Elle Marja gehört dem Volk der Samen an. Auf einer Internatsschule in Lappland muss sie erfahren, wie Diskriminierung und Ausgrenzung funktionieren.

Text: Christoph Egger / 12. Dez. 2017

Samische Identität, das vermittelt der erste Kinospielfilm der Schwedin Amanda Kernell, ist ein empfindliches, über Jahrhunderte leidvoller Erfahrungen hinweg beschädigtes Konstrukt. Welchen Belastungen und Demütigungen sie in ihrer Heimat noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgesetzt war, davon handelt Sameblod (Samenblut) ebenso verhalten wie eindringlich. Hauptfigur ist Elle Marja, die wir eben nicht unter ihrem samischen Namen kennenlernen, sondern als Christina, jene distinguierte ältere Dame «aus Småland», die nicht widerspricht, als sich andere distinguierte schwedische Damen im Hotel über den Lärm beschweren, den diese Rentierhirten machen, die da in den hellen Sommernächten des Nordens mit ihren Skootern herumrasen, «und das in einem Naturschutzgebiet». Die samische Malerin und Kunsthandwerkerin Maj-Doris Rimpi vermittelt greifbar nicht nur das Unbehagen, das Elle Marja schüttelt, die von ihrem Sohn fast schon gezwungen werden musste, zum Begräbnis von Njenna zu fahren, der jüngeren Schwester, die der Familie und den Traditionen treu geblieben ist.

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Spürbar wird auch die Last einer lebenslangen Verneinung, wenn nun die Bilder der Vergangenheit heraufsteigen. Aber, und das gehört zum Bemerkenswerten am Film der 1986 in Umeå als Tochter eines samischen Vaters und einer schwedischen Mutter geborenen Regisseurin, zugleich erscheint die von Lene ­Cecilia Sparrok gespielte junge Elle Marja nicht als Opfer. Allen Erniedrigungen zum Trotz, die sie erlebt, verfolgt sie entschlossen ihren auf Emanzipation bedachten Weg. Zur äusseren Stimmigkeit von Sameblod trägt bei, dass die Rückblende von nun an nicht mehr unterbrochen wird. Im Mittelpunkt steht die Schulzeit in den dreissiger Jahren (was die Gegenwartsebene des Films, die zweifelsfrei das Heute meint, freilich ins letzte Jahrhundert verlegen würde). Zunächst in der «Nomadenschule», wo die Kinder durch strengen Drill dazu abgerichtet werden, keinesfalls samisch zu sprechen, sich so unscheinbar wie möglich zu machen und mit einem Lächeln «Ich bin ein armes kleines Kind» zu singen, und wo die bewunderte junge Lehrerin die begabte Schülerin einerseits fördert, ihr anderseits schroff ihre Grenzen aufzeigt, etwa indem sie sich weigert, ihr die für den Besuch einer höheren Schule im Süden erforderliche Empfehlung auszustellen.

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Beklemmender Höhepunkt hier ist der Besuch der Kommission, die die Kinder im Einklang mit den gängigen Rassetheorien zu qualifizieren hat, etwa durch Vermessung der Schädel – die wissenschaftlich erwiesene «rassische Minderwertigkeit» findet ihren Ausfluss bei den Dorfburschen, die den Mädchen «Lappenteufel» nachgrölen. Dass anatomische Eigenheiten bestehen, führt die Regisseurin in der Turnstunde der gediegenen Mädchenschule in Uppsala, in die Elle Marja kühn einzutreten versucht, vor Augen, wenn sie das kleine, rundliche, dunkle Mädchen unbeholfen zwischen den hochgewachsenen blonden Schwedinnen agieren lässt. Auch wenn die Eltern von Niklas, den sie an einem ländlichen Tanzabend oben im Norden kennengelernt hat und nun in seinem vornehmen Elternhaus in Uppsala aufsucht, einer weiteren Beziehung den Riegel schieben, so gibt sie an seinem Geburtstag doch dem Drängen zweier ehrlich interessierter Anthropologiestudentinnen nach, für ihn einen Joik anzustimmen, wobei für diese uralte Gesangsform der Sami gilt, dass man nicht «über» etwas joikt, sondern Teil dessen wird, was man besingt. Später wird sie die Schwester anschreien, dass sie es satthabe, ein «verdammtes Zirkustier» zu sein.

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Sameblod führt authentisch eine kleine filmgeschichtliche Entwicklungslinie zur samischen Identität weiter, die in den achtziger Jahren begonnen hat. 1982 hat der frühere finnische Forstingenieur Markku Lehmuskallio mit Skierri – Land der Zwergbirke den Auftakt gemacht, gefolgt 1987 von Ofelas/Pathfinder, in dem der Norweger Nils Gaup eine Sage der Sami aus dem 12. Jahrhundert bildgewaltig inszenierte; 2008 kam sein Kautokeino opprøret heraus, die Geschichte eines Aufstands samischer Frauen 1852 in Gaups Geburtsort Kautokeino. Bei Amanda Kernell vollendet sich die Rebellion Elle Marjas als Heimkehr: Zuletzt wird sie die tote Schwester um Verzeihung bitten und dann auf den Berg zu den Rentieren steigen, den Norra Storfjället, der dem Sameblod als Pilotfilm vorangegangenen Kurzfilm (2015) den Namen gegeben hat.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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