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Supersonic Airglow

Text: Lukas Stern / 03. Juli 2017

Wie lässt sich ein Film über Musik machen? Im Grunde gibt es zwei Extreme des Musikfilms: zum einen eine Form der filmischen Kontextualisierung, ein Sprechen über Musik und mit Musikern, eine Begriffsbohrung, der Versuch Musik in Wörtern zu giessen – solche Filme enden meist als Künstlerporträts oder Biografien. Das andere Extrem ist ein filmisches Hören, eine filmisch-rhythmische Resonanz auf das Gehörte oder aber eine filmisch-dirigentische (Neu-)Organisation des Gehörten. Beispiele dafür sind die grossartigen Musikfilme von Hugo Niebeling, in denen zwei von Herbert von Karajan dirigierte Beethoven-Symphonien in eine wild-erregte Montage aus dirigentischer Gestik und Affektbildern des Orchesterapparats gebracht werden. In diesen Filmen wird das Sehen zum Hören. Die blitzhafte Grossaufnahme eines Bogenstrichs auf dem Kontrabass lässt die ganze Symphonie ebenso blitzhaft von diesem Bogenstrich ausgehend hören. So wird der Bogenstrich zum Zentrum des Klangs; von ihm aus wird jeder andere Ton ausgeworfen, wie ein Fischernetz.

Supersonic Airglow, ein Film von Stefan Davi und Karim Patwa über den musikalischen Zusammenschluss zweier Schweizer Bands, des Jazz-Ensembles Koch-Schütz-Studer und der Post-Industrial-Gruppe The Young Gods, liegt zwischen diesen beiden Extremen. Die Kamera tastet einen Bühnenboden ab; überall haben sich Kabel zu Knäueln verbunden, Instrumente, Pedale, Schaltknöpfe, Verstärker und Ständer sind über den Boden verteilt. In den Schwarzweissbildern wirkt das dichte Netz aus Verschaltungen und Verkabelungen, aus Lautsprechern und Samplern wie eine undurchdringliche Masse verschiedenster Instrumente. So wird von der Musik, die wir noch gar nicht gehört haben, schon etwas hörbar, wird deutlich, dass innerhalb des Klangs unzählige Wege und Abzweigungen möglich sind, eine enthemmte, kontrollfreie Kombinatorik der Klangelemente. Mit diesem provisorischen Zusammenwurf des Instrumentalapparats kündigt sich eine grosse musikalische Freiheit an.

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Um diese Freiheit geht es in Supersonic Airglow – und damit ist vor allem Improvisation gemeint. Mit der Frage musikalischer Freiheit wechselt der Film auch immer wieder ins kontextualisierende Register. Dann sehen wir die sieben Musiker an einem Tisch sitzen und Rotwein trinken. Dabei prallen Meinungen aufeinander: Ist die Improvisation ein Regelbruch oder nicht? Geht mit der Freiheit der Improvisation nicht immer auch schon ihr eigener Zwang einher, durch den sie selbst wieder infrage gestellt wird? Ist die Freiheit eine Unterwerfung unter den Zwang zur Freiheit? Was musikalisch zwischen den beiden Bands geschieht, die hier gemeinsam auftreten, bedarf einer aussermusikalischen Abstimmung. Die Gefahr auf der Bühne besteht darin, sagt einmal einer der Musiker, dass alle nur noch auf den Groove reagieren, der sich irgendwann einstellt und zur unveränderlichen Grösse wird, und dass man nicht mehr aufeinander reagiert. Man läuft Gefahr, auf der Stelle zu treten – und im Auf-der-Stelle-Treten zeigt sich nicht musikalische Freiheit. Die Freiheit bedarf eines Minimums an Führung und Kontrolle, eines Minimums an Dirigat.

Supersonic Airglow nimmt eine interessante und auch in gewissem Sinne kritische Position zur Improvisation ein, die ein äusserstes freiheitliches ästhetisches Geschehen darstellt. Sie ist nämlich nicht einfach das zukunftsoffene Drauflos, das sich in seiner wilden Anarchie gefallen kann und darf; sie ist vielmehr doch wieder auf eine Politik zurückgeworfen, die sie erst möglich macht und mit einem Inhalt und einem Auftrag belegt. Die musikalische Freiheit ist – das ist allen Musikern in diesem Film wichtig – nur dann gegeben, wenn sich ein Progress ereignet, wenn Neues stets von einem neuen Neuen abgelöst wird.

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So formuliert der Film gewissermassen eine Anleitung zum Hören. Er schafft eine Art Filter, durch den sich das völlig entgrenzte Klanggeschehen, in dem die Singstimmen ins Synthetische abrutschen, in dem die beiden Schlagzeuger in einer Art asymmetrischem Gleichschritt miteinander spielen, in dem die Synthesizer-Wiederholungen in einem ständigen Differenzierungsgeschehen auseinanderbröseln, als etwas hören lässt. Was qua musikalischer Agenda aus der Form bricht, kommt so wieder zurück in eine Form – und nur diese Form ist es auch, die das Publikum zum Tanzen bringt und dieses musikalische Etwas in ein körperliches Etwas überträgt, in Bewegungskonfigurationen.

In seinen stärksten Momenten wird Supersonic Airglow selbst zu solch einer körperlichen Anordnung. Wir sehen dann zum Beispiel ein Auto in eine Waschanlage einfahren, sehen wie der Schaum die Scheiben immer dichter bedeckt, dort zergeht und nach unten abgleitet. Solche Bilder legen es nicht auf eine scheinbare Identität mit dem Klang an; sie sind nicht Übersetzungen, die so tun, als liesse sich Musik einfach in ikonische Inhalte hinübertragen. Vielmehr ist es eine Art der visuellen Resonanz, eine Art des visuellen Hörens. Die Musik, von der auch seitens der Musiker immer wieder gefordert wird, dass sie Gewohnheiten durchbreche, dass sie etwas vor unsere Ohren setze, was diese nicht ohne weiteres verarbeiten können, sie wird in diesem Film nicht erklärt, sie wird nicht verstehbar. Sie wird gehört – jenseits der Begriffe, aber diesseits des Bildes.

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