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Logan Lucky

Im Kino gelingt Verlierern der grosse Coup, souverän und witzig. Wer indes genau ­hinschaut, sieht durch die Risse im unterhaltsamen Genrefilm auf ein kaputtes Amerika.

Text: Johannes Binotto / 11. Sep. 2017

«Underdog» – einer landläufigen Theorie zufolge kommt das Wort aus der Holzfällerei, wo es jenen Arbeiter bezeichnet, der in der Sägegrube stehen muss, in Dreck und Sägemehl. Jenen, die unten arbeiten, während über ihnen Geld verdient wird, ist Steven Soderberghs Film gewidmet. Unten in der Grube steht auch der Bergbauarbeiter Jimmy Logan, in den Höhlen unter der Autorennbahn, wo es Senklöcher abzustützen gilt, weil das Stadion auf dem unsicheren Boden einer sogenannten «Landfill», einer ehemaligen Abfallgrube errichtet wurde. So baut man überall in Amerika und ist sich dabei wahrscheinlich nicht mal mehr bewusst, wie allegorisch dies ist: Der Luxus sitzt auf einem Berg aus Abfall. Vielsagend auch, dass man das Geld aus den Stadionkassen und Verkaufsständen per Rohrpost ebenfalls nach unten befördert, so wie die Scheisse aus den Klos, nur in anderen Röhren. Das bringt Jimmy auf eine Idee: Man müsste nur die Rohrpost anzapfen und das grosse Geld zu denen umleiten, die es brauchen. Der Plan zum grossen Coup mitsamt allen Regeln, die es zu befolgen gilt, hängt schon seit Jahren in seiner Küche. Jetzt gilt es, ihn auszuführen, gemeinsam mit seinem kriegsversehrten Bruder Clyde und einem Einbruchsexperten, der dafür erst noch aus dem Gefängnis geholt werden muss.

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Der grosse Raubzug, den der Film schildert, wird später von Reportern despektierlich als «Ocean’s Seven-Eleven» bezeichnet, in Anlehnung an die amerikanische Supermarktkette. Das ist natürlich auch ein augenzwinkernder Verweis auf den Film Ocean’s Eleven und dessen Nachfolgern, mit denen Soderbergh so Erfolg hatte. Mit Logan Lucky liefert er nun gleichsam die Hinterwäldler-Version seines früheren Kassenschlagers. Mit einem bullig-grübelnden Channing Tatum und einem schlacksig-traurigen Adam Driver in jenen Rollen, die früher George Clooney und Brad Pitt gespielt hatten. Auch Daniel Craig, der hier als Eier-kauender Tresorknacker Joe Bang auftritt, würde man nicht verwechseln mit jenem eleganten Superagenten, als den man ihn sonst kennt.

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Das Resultat ist derart gelungene Unterhaltung, dass der Film sich damit fast selbst auszubremsen droht. Soderbergh hat den grossen Coup, inklusive Doppel- und Trippelbluff so oft schon inszeniert, dass unterdessen seinem Publikum gar nie mehr bang wird, es könnte etwas nicht gelingen. Der Spannung ist Routine nicht zuträglich. Vielleicht liegt aber das Interessante an Logan Lucky für die Zuschauer wie auch für den Regisseur ohnehin woanders, nicht im cleveren Plot und seinen Wendungen, sondern im Setting. Es sind die Nebensachen, die Details, die beim Nachdenken über diesen Film in den Vordergrund rücken und zu Metaphern für das Amerika der Gegenwart werden. Wenn der Aufstand im Knast (der natürlich wie alles andere ebenfalls zum grossen Plan gehört) damit angezettelt wird, dass der weisse zum schwarzen Insassen sagt, ob er eigentlich wisse, wie hart das Leben als Weisser sei, mag man darüber nicht lachen. Jenseits der Gefängnismauern gibt es bekanntlich bereits Bürger, die solche Absurditäten ernsthaft glauben. Amerika ist viel zu sehr aus den Fugen, als dass ein klug ausgeführter Bruch alles wieder einrenken könnte. Mag sein, dass unsere Underdogs am Filmende alles behalten können: Geld, Liebe, Job und Stolz. Dass es mit diesem Eskapismus indes nicht weit her ist, darauf deuten schon die Umstände auf dem Weg zum Glück: Das erbeutete Geld steckt in Abfallsäcken und muss auf der Deponie oder im Garten ausgebuddelt werden, den Weg zum Schatz weisen Kakerlaken. Und in der Szene ultimativer Gefühlsseligkeit, wenn Jimmys Tochter vor versammeltem Talentshowpublikum John Denver singt, tut sie dies mit von Schminke zugeklebtem Gesicht und in billigem Glitzerkleid.

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Sie wisse schon, dass die stolzen Menschen in West Virginia das Wort «Charity» nicht gerne hören, sagt die freiwillige Helferin, die Jimmy gratis eine Tetanusspritze gibt. Am Ende von Logan Lucky können sich die einstigen Underdogs endlich selbst als grosszügige Spender geben. Wir Zuschauer aber wissen, wie ge­­logen das ist. Ausgerechnet der sonst so abergläubische Clyde, der überzeugt ist, die Logans seien vom Pech verfolgt, merkt am Ende nicht, wer in der Schlussszene bei ihm an der Bar sitzt. Menschen wie die Logans, das wissen wir aus den Nachrichten, sind nur im Kino «lucky» und sogar dort nur scheinbar.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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