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I'm Not There

Text: Frank Arnold / 16. Jan. 2008

FILMBULLETIN War die Idee des multiplen Dylan auch beeinflusst von Ihrer Beschäftigung mit Douglas Sirk im Zusammenhang mit Far from Heaven? In seinen Filmen spielt das Moment der Verfremdung ja eine gewisse Rolle. Oder geht das zurück bis ins Jahr 1987, als Sie für Ihren Kurzfilm Superstar: the Karen Carpenter Story Barbiepuppen als Hauptdarsteller wählten?

TODD HAYNES Ich habe eine gewisse Vorliebe für Methoden, die aus der Erzähltradition kommen, aber nicht vollständig darin aufgehen, Methoden, die Umwege schaffen, denn ich finde, wenn diese Umwege funktionieren, ist das die einzige Möglichkeit, wie das Publikum etwas Genuines fühlen kann: die Zuschauer entdecken selber, sie sind die Maschinerie, die die Verbindung herstellt. Deshalb bin ich so interessiert an der Vergangenheit, ich inszeniere den Rahmen der Geschichte mit. Selbst als ich 1995 meinen Film Safe drehte, siedelte ich die Geschichte im Jahr 1978 an, das war eine genügend grosse Distanz, um sich selber zu sehen. Wenn einem alles gegeben wird, wenn alles Gegenwart ist, ist es schwieriger, sich selber zu erkennen.

FILMBULLETIN Entwickelte sich die Idee des multiplen Dylan aus der Beschäftigung mit Dylans Karriere? Kamen Sie in einem relativ frühen Stadium Ihrer Arbeit darauf oder aber mussten Sie erst selber einige Umwege machen, um bei diesem Konzept anzukommen? Gab es auch einmal ganz andere Vorstellungen für diesen Film?

TODD HAYNES Nein, das ergab sich sehr früh. Und ich denke nicht, dass ich damit im Sinn eines poetischen Konzeptes seiner Biografie etwas übergestülpt habe. Selbst wenn man daran denkt, was der Mann auf der Strasse über Dylan weiss (Hat er nicht seine Gitarre an einen Verstärker angeschlossen? Ist er nicht zum Christentum konvertiert?), das sind zwei Beispiele für einen radikalen Wandel, die grosse Wirkungen hatten. Alles, was wir über ihn wissen, schlägt sich in diesem Konzept nieder.

FILMBULLETIN War denn die Entscheidung für die Anzahl der Dylans und ihre jeweiligen Identitäten ein langwieriger Diskussionsprozess mit Ihrem Koautor – oder ergab sich das schon fast zwangsläufig? Fanden Sie einige leichter als andere?

TODD HAYNES Bei diesem Konzept war es klar, dass wir die Anzahl begrenzen mussten. Ich hatte sofort die Zahl sieben im Kopf, weil die auch in einigen Texten von Dylan eine grosse Rolle spielt, ebenso wie Shakespeares sieben Stadien des Lebens – komplex, aber nicht zu unzugänglich. Ich weiss die Reihenfolge nicht mehr, in der ich die einzelnen Identitäten gefunden habe, aber ich wusste, ich brauchte einen Poeten, einen Hochstapler, Woody; ich wusste, ich wollte ein Rock-Modell ebenso wie den Folk-Propheten und den christlichen Konvertiten, ebenso wie etwas über sein persönliches Leben und auch eine Figur, die das reflektierte, was nicht Sixties- und grossstadtgemäss war, aber nicht aufgehört hat, Dylan zu beeinflussen, den Outlaw im Western-Setting – das ging also ziemlich schnell.

FILMBULLETIN Christian Bale verkörpert nicht nur den Folksänger, sondern ebenfalls den zum Christentum Konvertierten. Gab es für Sie von vornherein eine Verbindung zwischen den beiden Figuren? Viele denken ja, diese Phase der Konvertierung mitsamt den nicht so grandiosen Platten war ein Irrweg, den man unter den Tisch fallen lassen kann, nachdem sich Dylan in den letzten Jahren mit seinen neuen Alben so glorreich rehabilitiert hat.

TODD HAYNES Ich sehe diese beiden Figuren als zwei Seiten einer Münze – in beiden Fällen war er derjenige, der die Antworten hatte, jemand, der eine sehr rigide moralische Haltung verkörperte. Für uns ist es leichter, das moralisch Rigide der Folkära, der neuen Linken in den Sechzigern, zu akzeptieren, denn das war ein magischer Moment für viele von Dylans Fans. Vielleicht sind es die einzigen beiden Stationen in Dylans Karriere, wo es ihm wichtig war, die Antwort zu haben – aber vielleicht enden da auch die Gemeinsamkeiten, denn es waren verschiedene Gründe, die dazu führten, dass er zu einem Repräsentanten so unterschiedlicher Bewegungen wurde. Während der meisten Zeit zeichnen sich seine Arbeit ebenso wie seine Instinkte durch eine bestimmte Komplexität aus – und nicht zuletzt auch einen gewissen Humor. Dies dagegen sind zwei der humorlosesten Phasen in Dylans Biografie. Und Humor ist etwas, was ihn von Anfang an von vielen seiner Zeitgenossen Unterschied. Diese Verbindung sollte also einen Zusammenhang herstellen und mir helfen, die Wandlung zum Christen besser zu verstehen.

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FILMBULLETIN Wie sieht Ihre eigene Dylan-Historie aus? Als er seine Gitarre an den Verstärker anschloss, waren Sie ja erst vier Jahre alt.

TODD HAYNES Ich habe ihn in der High School entdeckt, er war aber nicht mein einziges Idol, Joni Mitchell habe ich damals wohl noch mehr geliebt. Ende der siebziger Jahre in Los Angeles schätzte ich viele der Singer-Songwriter. Dylan stand für den Glamour der Veränderung, die Zukunft, die man hatte, wenn man jung war, eine gewisse Furchtlosigkeit – «Du bist im Recht, mach weiter!», das ergab damals viel Sinn für mich, deshalb konnte ich ihn wiederentdecken zu einer Zeit, wo ich ihn noch mehr brauchte, als eine Versicherung, dass Veränderung gut ist, dass Furchtlosigkeit wichtig ist und dass die Zukunft noch einige Überraschungen bereit hält. Denn ich hatte zwanzig Jahre lang aufgehört, mir Dylan anzuhören – und dann kam ich auf ihn zurück, als ich Vierzig wurde, als mein Leben anfing, sich zu verändern, da war er plötzlich ein Begleiter.

FILMBULLETIN Als Sie ihn zum ersten Mal bewusst wahrnahmen, geschah das durch die Songs, die er damals aktuell einspielte, oder aber durch die einer zurückliegenden Phase?

TODD HAYNES Überwiegend durch seine klassischen Aufnahmen; «Blonde on Blonde» ist wohl über all die Jahre meine Lieblingsplatte geblieben. Aber ich mochte auch die Platten, die damals herauskamen, an «Desire» habe ich noch eine vage Erinnerung, an «Street Legal» und an «Slow Train Coming», seine erste christliche Platte. Damals, 1979, habe ich ihn auch live erlebt. Die beiden nachfolgenden Alben waren dann nicht so toll, und weil ich aufs College ging, ergab eine andere Art von Musik damals mehr Sinn für mich.

FILMBULLETIN War das Glamrock oder die Carpenters?

TODD HAYNES Definitiv Glamrock, Bowie und Iggy Pop und Roxy Music. Das geschah allerdings simultan, das ist das Tolle an Musik, dass man so viele Farben in seiner Hand halten kann und sie können alle kollidieren – und es ist besser, wenn sie kollidieren. Dylan war auch ein wichtiges Vorbild für Bowie.

FILMBULLETIN … der sein Outfit und sein Image oft gewechselt hat. Hat er Dylan je als Einfluss benannt?

TODD HAYNES Ja, und auf seinem Album «Hunky Dory» von 1971 gibt es einen «Song to Bob Dylan». Damals beklagte er Dylan als den verlorenen Sohn, «Bring us back your honesty» lautet eine der Zeilen – kein grosser Song.

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FILMBULLETIN Wo Sie vom «lost Dylan» sprechen: der Titelsong Ihres Films gehört zu den kaum bekannten Dylan-Songs. Wie sind Sie auf den gekommen?

TODD HAYNES Es gab eine Reihe von Schlüsselerlebnissen bei der Vorbereitung dieses Films, eines davon war Greil Marcus’ Buch «Invisible Republic», in dem er über die «Basement Tapes» schreibt und sie mit der «Anthology of American Folk Music» vergleicht, mit frühen Roots-Music-Ausgaben, mit einem gewissen Wahn, der in frühen Folkloresammlungen zu hören ist, und damit, dass Dylan 1976 zusammen mit «The Band» diese Traditionen aufgenommen hat. Wahrscheinlich habe ich da zum ersten Mal diesen Songtitel wahrgenommen, als mysteriöses Objekt einer unerreichbaren Faszination. Dann habe ich mir die kompletten «Basement Tapes»-Bootlegs angehört, deren Faszination sicherlich auch daher rührt, dass sie nie für eine Veröffentlichung vorgesehen waren. Auch, dass Dylan eine Art improvisierten Privatunterricht für die Mitglieder der Band abhielt – drei Viertel dieser fünf CD’s bestehen aus Traditionals, alten amerikanischen Songs, die er anfing zu spielen und in die die Mitglieder der Band dann einfielen und sie dabei lernten.

FILMBULLETIN Jede Figur, jede Episode hat ihren eigenen Stil, wobei diejenige mit Cate Blanchett als Popstar am meisten heraussticht, nicht nur durch die Schwarzweiss-Fotografie. Für mich wirkte das wie ein Tribut an Richard Lesters Beatles-Film A Hard Day’s Night (in einer Szene sehen wir ja die Beatles im Hintergrund), aber auch an Warhols Factory.

TODD HAYNES Ja, aber noch wichtiger ist Fellinis Otto e mezzo. Ich kenne keine bessere Referenz an den Stil der sechziger Jahre und an das selbstreflexive Moment als dieses Werk. Das Ziel war, für jede Episode eine Referenz zu finden, die nicht nur meine Lieblingsfilme reflektierte, sondern wirklich zum Kern vordrang, die eine visuelle Parallele eröffnete. Fellinis Otto e mezzo ist nicht nur die Geschichte eines Künstlers, der von den Medien belagert wird, um Rechenschaft abzulegen über seine ungewöhnlichen Entscheidungen und sein abstraktes Kino. Es ist eine Art Hommage an die visionäre, barocke Sensibilität des Künstlers, wo sich alles übereinanderschichtet. Genau das ist für mich das Mysterium von «Blonde on Blonde». Viele haben darin eine Hommage an Pennebakers Dylan-Film Don’t Look Back gesehen, aber der Film ist ein Meisterwerk des cinema vérité, und in diese Richtung geht I’m Not There auf keinen Fall. Die Ehegeschichte des Filmstars nimmt Bezug auf Godard-Filme der frühen Sechziger, die einerseits wunderschöne Porträts ihrer Frauenfiguren zeigen, aber zugleich die Vorurteile des männlichen Künstlers gegenüber den Frauen – die haben zum Beispiel nur einen begrenzten Anteil am politischen Diskurs der Männer. Das ist für mich eine Art blinder Fleck der sechziger Jahre, der sich auch in Dylans Liebesliedern aus dieser Zeit wiederfindet. Der Western schliesslich bezieht sich auf den Hippiewestern vom Ende der sechziger Jahre, wo das Genre durch die Gegenkultur mit ihren Antihelden wieder erfunden wurde.

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FILMBULLETIN Die Darsteller verkörpern ihre jeweiligen Dylans ganz unterschiedlich: Haben Sie ihnen entsprechend unterschiedliche Anweisungen gegeben? Cate Blanchett hat offensichtlich viele Aufnahmen von Dylan selber studiert, so wie sie sich seine Gesten und Körpersprache angeeignet hat.

TODD HAYNES Das haben sie alle gemacht. Aber während andere Biopics die populären Momente (also etwa Johnny Cash, wie er vor den Gefangenen in St. Quentin auftritt), die wir schon längst in unserem Bildgedächtnis abgespeichert haben, mit dem Unbekannten (also etwa Johnny Cash mit seiner Frau in ihrem Schlafzimmer) nahtlos verknüpfen, trennt mein Film diese Momente.

FILMBULLETIN Nachdem Sie soviel Zeit mit Dylan verbracht haben, hat sich da Ihre Einstellung zu ihm verändert? Haben Sie etwas über ihn herausgefunden, was Ihnen zuvor unbekannt war?

TODD HAYNES Ich habe viel Bootleg-Material gehört, aber ich könnte nicht sagen, dass das neue Perspektiven eröffnet hat, eher wurden dadurch vorhandene Vorstellungen vertieft. Die ganze zweite Phase meines Dylan-Interesses war sehr viel “hungriger” als in meiner Jugend, wo es eigentlich nur um die Musik ging. Jetzt war es viel obsessiver, viel mehr aus einer Liebe zu der Person entwickelt, aus der Neugier auf sie.

FILMBULLETIN Hat es Sie überrascht, dass es so einfach war, Dylans Einwilligung zu bekommen, seine Musikstücke zu verwenden?

TODD HAYNES Das hat mich geradezu schockiert – ich bin es immer noch, nach allem, was ich über ihn gehört hatte, einerseits, und nach meinen Erfahrungen damit, von Künstlern die Rechte für Songs zu bekommen, andererseits. Ich denke, es ist das Konzept, das ihn überzeugt hat, weil es einfach so viel anders ist als die Richtung, die die meisten Filme über Musiker einschlagen, die alles stromlinienförmig auf einen Aspekt reduzieren. Es gab hier auch keinerlei Einmischung in den kreativen Prozess.

FILMBULLETIN Sie konnten alle Songs verwenden, die Sie haben wollten?

TODD HAYNES Ja, ich hatte die Rechte an seiner Biografie und an seinen Liedern.

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FILMBULLETIN Wie haben Sie entschieden, welche Musiker welche Dylan-Songs interpretieren sollten? Sind das alles erklärte Dylan-Fans oder einfach Musiker, die Sie mögen?

TODD HAYNES Das war eine Kombination. Was mir wichtig war: nicht nur die Musiker aus der Dylan-Ära oder zeitgenössische Folkmusiker oder diejenigen, die man assoziiert mit Psychedelic-Folk wie Sufjan Stevens. Ähnlich habe ich schon bei Velvet Goldmine gearbeitet, bis dahin, dass wir kleine Bands zusammenstellten, die Songs einspielten. Wir engagierten musikalische Kuratoren wie Lee Ranaldo von «Sonic Youth», Tom Verlaine oder Dylans gegenwärtigen Bassisten Tony Garnier. Am Ende hatten wir so viele Künstler, die mitmachen wollten, dass wir gar nicht alle Songs im Film unterbringen konnten – auf dem Soundtrack können Sie deshalb auch noch neunzehn nicht verwendete Songs hören.

FILMBULLETIN Wie haben Sie mit den Musikern gearbeitet? Konnten sie sich ihre Songs selber aussuchen, oder haben Sie ihnen Vorschläge gemacht?

TODD HAYNES Das war eine Kombination von beidem. Lee und ich haben bestimmte Musiker angeheuert, um bestimmte Songs zu “covern”, die wir auf jeden Fall im Film drin haben wollten, etwa «Maggie’s Farm» oder «Ballad of a Thin Man». Während sie daran arbeiteten, produzierten sie eine Fassung von «Cold Irons Bound», die Tom Verlaine singt, ein sehr dunkler und langsamer Song, der im Original elfeinhalb Minuten lang ist. Die benutzten wir im Film mehrfach, als eine Art Score. Auf der anderen Seite gab es Musiker, die wir im Hinblick auf bestimmte Songs, die wir im Drehbuch hatten, ansprachen. Andere wiederum versorgten wir mit Listen (wir hatten viel mehr Songs für «Woody» und für «Jack»), aus denen sie auswählen konnten.

FILMBULLETIN Vor kurzem kam Julie Taymors Beatles-Film Across the Universe in die Kinos. Bei beiden fragte ich mich, ob sie ein bestimmtes Publikum im Auge hatten – die, die damals dabei waren, oder die jüngeren, die man damit an die Musik und deren Schöpfer heranführen will.

TODD HAYNES Nein, das hatte ich nicht. Ich wollte ihn jedenfalls nicht nur für diejenigen machen, die seine Arbeit kennen. Ich denke, die Zuschauer bringen unterschiedliche Kenntnisse mit. Aber Dylan hat eine unbegrenzte und überraschende Zuhörerbasis – er spricht nicht nur die Babyboomer-Generation an.

Jeder, der eine biografische Geschichte erzählt, muss herausarbeiten, was das ursprünglich lebendige und gefährliche Moment dieses Künstlers war, das Radikale, das Risiko, das er zu einer bestimmten Zeit eingegangen ist, egal, ob es sich um Chopin, Mozart, Dylan oder Rimbaud handelt. Diese Künstler haben alle grosse Risiken auf sich genommen und am Ende damit Erfolg gehabt. Um den Erfolg wissen wir, aber wir vergessen manchmal, was es für Risiken waren, womit sie ihr Publikum aufgewühlt und verstört haben. Der Film sollte für alle zugänglich sein, gerade für junge Leute. Dylan war 1966 ein Punkrocker, dessen Musik für das Publikum damals laut und wild und erschreckend war – das sollten junge Leute würdigen können. Man braucht nicht jede kleine Anspielung im Film zu verstehen. Die sind da für Leute, die ihnen nachgehen möchten, aber der Film sollte sich nicht auf sie verlassen, um Sinn zu machen.

Das Gespräch mit Todd Haynes führte Frank Arnold

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2008 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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