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Pola Negri

Pola Negri wurde der glamouröseste Star von Hollywood. Gloria Swanson mochte mehr und glitzerndere Kleider haben, doch Pola Negri war einfach eine Bombe mit ihrer erwachsenen Ganzkörpererotik und ihrem überlegenen undurchdringlichen Blick.

Text: Mariann Lewinsky / 28. Dez. 2015

Gibt es den Orient überhaupt noch? Kommen von dort die Flüchtlinge her? Liegen dort unsere Feriendestinationen mit tollem Ayurveda-Frühstücksbuffet, Massagen und allem und zudem echt günstig?

Vor hundert und mehr Jahren gab es den Orient ganz fraglos. Er befand sich im Westen. Diese von Zirkustieren und geschmeidigen Tänzerinnen bevölkerte Phantasiewelt war Schauplatz rauschender Publikumserfolge wie «Sumurun», eines Tanztheaters von 1910, und vieler Filme. «Stoff spannend, Haremsszenen prima», schrieb die Kritik zufrieden über Die Lieblingsfrau des Maharadjas, einen dänischen Film von 1916.

Pola Negri begann ihre Karriere in Warschau; 1917 tritt sie als geschmeidige Tänzerin in einer Reprise von «Sumurun» in Berlin auf, und dabei lernt Ernst Lubitsch sie kennen (der neben seiner Regiearbeit bis 1918 Ensemblemitglied von Max Reinhardts Deutschem Theater blieb). Mit Madame Dubarry (1919) werden die beiden schlagartig weltberühmt. Lubitschs Historienfilm über die lebensdurstige Modistin Jeanne, die über eine Reihe von Liebhabern zur mächtigen Favoritin von Louis XV aufsteigt und unter dem Fallbeil der Guillotine endet, läuft 1920 monatelang in New York und fegt den im Krieg verhängten internationalen Boykott gegen deutsche Filme weg. Hollywood, äusserst beunruhigt über die neue Konkurrenz, kauft sie einfach ein; 1922 gehen Ernst Lubitsch und Pola Negri in die USA.

Sie wurde sofort der glamouröseste Star von Hollywood. Gloria Swanson mochte mehr und glitzerndere Kleider haben, doch Pola Negri war einfach eine Bombe mit ihrer erwachsenen Ganzkörpererotik und ihrem überlegenen undurchdringlichen Blick. Man muss sich vorstellen, wie so was in voller Pracht im Umfeld von Lilian Gish und Mary Pickford auftaucht, diesen auf perverse präpubertäre Sexlosigkeit heruntergedimmten amerikanischen Idolen in Hängekleidchen, hüpfend und klatschend wie die Vierjährigen.

Bergkatze

Negris Schönheit war damals modisch und erscheint uns heute eindringlich individuell. Dem damaligen Modeideal entsprachen die breite Stirn, der grosse Abstand zwischen den Augen und die kurze Nase. Unverwechselbar expressiv wirkt ihr Gesicht durch die hochgezogene Oberlippe und ein leises Auseinanderschielen. Das Profil ist hinreissend. Nur die Berlinerin Marlene Dietrich zeigte, ganz jung, diesen Typ, weiche Sinnlichkeit ohne jede Anschmiegsamkeit, ohne Romantik, im Gegenteil: Die Frauen versprechen nicht Liebe, sondern Gefährlicheres oder Ordinäreres. Oder Menschlicheres: Sie wissen sich zu verschaffen, was ihnen Freude macht. Aufs Gepflücktwerden zu warten, figuriert nicht in ihrem Lebensplan.

Lubitsch, der Typ und Talente seiner Stars stets vollkommen erfasste und gesteigert zur Wirkung brachte, erfand für Pola Negri mit Rischka, der wilden Räuberhauptmannstochter in Die Bergkatze, die schönste Rolle ihrer Karriere. In dem ganzen vertrottelten Personal der Komödie – auf dem Eis schliddernde Soldaten bekämpfen durch den Schnee purzelnde Räuberzwerge – strahlt Rischka natürliche Autorität aus, kompetent arbeitet sie mit Pistolen, Schneebällen und Peitsche, und die Liebe der Räuber inklusive Hauptmann zur herrlichen Pola-Rischka ist respektvoll bis ängstlich. «Das Mädel hat Schmiss!», stellt der sich für unwiderstehlich haltende Operettenleutnant beeindruckt fest, nachdem ihn Rischka die Bergwand hinuntergeschmissen hat. Sie schmeisst dann auch, auf Raubzug, das Mobiliar des Garnisonsschlosses aus dem Fenster, ganz die fleissige Hausfrau, es zersplittert vor den wartenden Komplizen, und das zu sehen, macht uns fröhlich. Überhaupt ist der Witz dieses einzigartigen Films Bildwitz in Hülle und Fülle, angefangen bei den spektakulär-verqueren Zuckertorten-Schlossbauten von Ernst Stern, deren Kurven als Halfpipes und Schaukeln dienen können. Lubitsch hält die Handlung verschwindend klein und reiht locker Szenen und Nummern aneinander, um die Dynamik von Einfällen und Gags frei ausschwingen zu lassen, dem Auftritt des Schneemannorchesters Zeit zu geben, eine Hochzeit als Beerdigung zu inszenieren und das Militär, und im speziellen Offiziere, lächerlich zu machen. (Und das drei Jahre nach dem Krieg: Der Film kam gar nicht gut an.) Als Zuschauer verlieren wir gleich den Faden, da es keinen gibt, und tun das einzig Richtige: zuschauen und versuchen, uns möglichst keinen der phantastischen Einfälle entgehen zu lassen. Und in dem dadaistisch-grotesken Klamauk erstrahlt Pola Negri in warmer Körperlichkeit. Wie sie sich Parfüm in den Busen giesst und sich genussvoll bewegt wie ein Vogel im Sandbad, oder wie sie die weinende Rivalin freundlich streichelt und ihr zugleich geschickt den Perlenschmuck abnimmt, solche Momente sind unvergängliche Geschenke eines grossen Regisseurs und einer wunderbaren Schauspielerin an das Publikum.

Diebergkatze

Das klassische Genre des Kinovamps war das Melodram, in dem die erotische Femme fatale Männer unglücklich macht und dann strafweise böse endet. In der durch und durch antiklassischen Bergkatze feiert Lubitsch seine Heldin als lebendige Frau, und er bringt ihrer Weiblichkeit –
was für ihn Erotik, Vernunft und Tüchtigkeit einschliesst – grösste Bewunderung entgegen. Unbedingt sehenswert.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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