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Size matters! The Incredible Shrinking Man

Zu den Meisterwerken der ­Filmgeschichte zählt The Incredible Shrinking Man wohl nicht. Doch der Film hat – wie man es von jedem Klassiker fordern darf – einige her­ausstechende Merkmale, die ihn immer noch sehr unterhaltend und sehenswert machen, selbst ohne filmhistorische Einbettung oder ironische Lesung.

Text: Till Brockmann / 15. Juli 2015

Zu den Meisterwerken der ­Filmgeschichte zählt The Incredible Shrinking Man wohl nicht. Der Film ist ein typisches Genreprodukt aus den fünfziger Jahren, einer Blütezeit der Science-Fiction, die sich auf dem gesellschaftlich-ideologischen Humus der Nachkriegszeit entwickelte. Eine Zeit zwischen Hoffnung, Horror und Paranoia, zwischen Aufbruchstimmung und konservativer Stagnation, Technikbegeisterung und -angst. Die Zeit der Kalten Krieger und Kommunistenjäger, der ehrgeizigen Raumfahrtprojekte und sichtungsfreudigen Ufologen. In direkten Bezügen oder ­latenten Anspielungen nehmen die Science­­-Fiction-Filme diese gesellschaftliche Befindlichkeit auf, ­beackern Themen wie atomare Bedrohung oder Technikabhängigkeit – häufig allerdings nur formelhaft, als alibihafte Argumentationslinie phantastischer Entwürfe.

The Incredible Shrinking Man, die Geschichte eines Nullachtfünfzehn-Bürgers, der bei einer Bootsfahrt auf dem Meer in eine seltsame Wolke gerät und wenig später zu schrumpfen beginnt, ist in vielem ein typischer Vertreter des Science-Fiction-Films der fünfziger Jahre: Als B-Picture von Universal produziert, kam er ohne namhafte Stars und verschwende­rische Special Effects aus – aller­dings lag das Budget der Science-Fiction-Filme dieses Studios zwischen ­einer halben und einer Million Dollar, was nach damaligen Massstäben gar nicht so wenig war. Auch The Incredible Shrinking Man erklärt das Unerklärliche, wie man es erwartet: Die seltsame Wolke ist, ganz unnebulös, natür­lich eine radioaktive und hat in Verbindung mit einer chemischen Heimsuchung, welcher der Protagonist zuvor ebenfalls ausgesetzt war, den bizarren Schrumpfungsprozess zu verantworten.

Doch der Film hat – wie man es von jedem Klassiker fordern darf – einige her­ausstechende Merkmale, die ihn immer noch sehr unterhaltend und sehenswert machen, selbst ohne filmhistorische Einbettung oder ironische Lesung. Die heutigen meistens jugendlichen (und sehr oft ungeduldigen) ­Medienkonsumenten werfen älteren Werken gerne ihren langsamen bis langatmigen Erzählrhythmus vor. Diese Schelte dürfte bei The Incredible Shrinking Man schwerfallen: Weniger als drei Minuten nach dem Vorspann gerät Scott Carey in die Wolke, und nach nur weiteren zwei – die Filmerzählung macht dabei einen sechsmonatigen Sprung – beklagt er sich bereits, dass seine Kleidung unerklärlicherweise zu gross sei. So schnell von der Exposition zur Krise schaffen es nur wenige Filme! Genauso speditiv geht es weiter: Es folgen Arztbesuche, die ­Gewissheit und Eheprobleme bringen, mediale Ausstellung und psychologischer Zerfall. Nach einer halben Stunde Filmzeit strampelt Scott bereits im Zenti­meterbereich, lebt in einem in der Wohnung aufgestellten Puppenhaus, bis der Kampf mit der Hauskatze ihn in den Keller und endgültig aus der Gesellschaft schleudert. Dort muss er sich als ­Robinson Crusoe eine Behausung und ein ­neues ­Leben ­aufbauen, als Winzling, als Kreatur in ­einer gewöhnlichen Umgebung, die nun horrend gigan­tisch ist, sich neu erfinden. Auch in diesem zweiten Teil des Films geht es Schlag auf Schlag, lauert das nächste Problem schon auf, sobald das vorige gelöst ist. Ein mustergültiges Beispiel spannungsorientierten Erzählens.

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Spannung, Action und Horror – Scotts erbitterter Kampf im Souterrain mit einer Spinne lässt dank durchaus gelungener Special Effects selbst den nicht arachnophoben Zuschauer erschaudern – sind aber bei weitem nicht die einzigen Vorzüge des Films. Regisseur Jack Arnold, der mit It Came from Outer ­Space (1953), Creature from the Black Lagoon (1954) und ­Tarantula (1955) weitere Klassiker des Genres gedreht hat, interessiert sich stets auch für seine Figuren. In einem Interview Anfang der achtziger Jahre, der Zeit der allgemeinen Star-Wars-Begeisterung, gibt er zu verstehen, dass ihn moderne Filmtechnologie und Spektakel nie besonders reizten. «Das ­Wichtigste in meinen Filmen ist die Geschichte. Man muss die Figuren mögen oder sie ablehnen», erklärt er sein Konzept. Tatsächlich ist The Incredible Shrinking Man auch ein glaubhaftes Psychodrama. Im Grunde ist Scotts Schicksal das gleiche aller Menschen, die aufgrund einer unerwartet eintreffenden Behinderung aus dem gewohnten Alltag gerissen werden. Obwohl die aus dem damals populären Film noir geborgte Voice-over-Stimme, mit der Scott uns seine Frustrationen und Verzweiflung offenbart, manchmal etwas hölzern wirkt, sind seine seelischen Qualen durchaus empathisch nachvollziehbar, zumal der Film in keinem Moment der Versuchung erliegt, das komische Potenzial im Schicksal des putzigen Däumlings zu aktivieren.

An vorderster Front der Frustrationen brennt bei Scott die sexuelle. Überhaupt ist die ganze Geschlechterfrage in The Incredible Shrinking Man kein beiläufiges Zufallsprodukt oder blosses Resultat akademischen Interpretationswillens, sondern explizit angelegt (noch stärker gilt das sogar für den fast gleichnamigen Roman von Richard Matheson, auf dem der Film basiert). Schon die erste Szene gibt einen Gender-Tarif an: Scott, auf dem Deck des Bootes liegend, gibt seiner Frau Louise zu verstehen, er habe Durst und sie könne ihm ein kühles Bier bringen. Doch Louise wehrt sich energisch gegen die Rolle der dienenden Ehefrau und willigt erst ein, als Scott verspricht, dafür das Abendessen zuzubereiten (als Lohn wird sie unter Deck von der nahenden Wolke verschont). Als später klar wird, dass Scott langsam einläuft, und er gegenüber Louise seine Befürchtung äussert, sie könnte ihn verlassen, entgegnet sie beschwichtigend «As long as you’ve got that wedding ring on, you’ve got me.» Sekunden später fällt der Ring vom geschrumpften Finger.

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Verschiedene Kommentatoren haben im Film die gleiche Angst vor der Frau und jene Krise der Männlichkeit diagnostiziert, die sich auch im damaligen Film noir mit seinen bedrohenden Femmes fatales ausdrückt. Die Katze, die ihn später auffressen will, erscheint zum ersten Mal gemeinsam mit Scott im Bild, als dieser noch gross ist und sie vom Ehebett vertreibt. Auch die ­Spinne, die ihn angreift und die er schliesslich besiegt, indem er sie mit einem Nagel durchbohrt (!), ist kulturell weiblich besetzt. Neben dem Nagel hantiert Scott im Keller zudem mit einem Bleistift und ­einer Schere: ein symbolisches Inventar, das wohl das Herz jedes Freudianers höherschlagen lässt.

Dennoch ist der Film auch eine Allegorie der Ohnmacht des modernen Menschen im Allgemeinen, der sich trotz oder eben auch wegen der Errungenschaften der (männlich besetzten) Technik immer noch als winziges Staubkorn dem Universum ausgeliefert sieht. In der berühmten religiös-mystisch ­angehauchten Schlussrede des Films, bei der Scott in den nächtlichen Himmel schaut und dem unendlich Kleinen das unendlich Grosse dialektisch gegenüberstellt, sucht er in den Worten Trost: «My fears ­melted away. And in their place came acceptance. All this vast majesty of creation, it had to mean something. And then I meant something, too. Yes, smaller than the smallest, I meant something, too. To God, there is no zero. I still exist!» Rührend.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2015 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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