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Barbara Stanwyck

Allzu oft haben wir gehört, dass Barbara Stanwyck in Double Indemnity eine durch und durch böse Femme fatale gibt. Wenn wir aber die fragile Phyllis, wie sie Thomas Binotto in seinem Porträt beschreibt, entdecken, wird offenbar, weshalb die Stanwyck eine Jahrhundertschauspielerin war. Als sie zögerte, die Rolle anzunehmen, soll Billy Wilder gefragt haben: «Sind Sie eine Maus oder eine Schauspielerin?» Stanwyck antwortete: «Ich hoffe, eine Schauspielerin» und übernahm den Part.

Text: Thomas Binotto / 25. Apr. 2016

Wenn sich ein schwer verletzter Mann in einem Schwarzweissfilm nachts in sein Büro schleppt und dort scheinbar emotionslos sein Mordgeständnis ins Diktiergerät spricht, dann wissen wir: Film noir! – Aber als Billy Wilder 1944 Double Indemnity drehte, war der Film noir kein etabliertes Genre und seine Filmsprache folglich nicht definiert. Es ist also noch von entscheidender Bedeutung, wie Billy Wilder und Raymond Chandler diesen mörderischen Komplott erzählen: Sie setzen uns den Versicherungsagenten Walter Neff als beschreibenden und kommentierenden Erzähler vor die Nase. Wir erleben die Story konsequent aus seiner Sicht. Immer wieder verlangt deshalb das Drehbuch, dass die Kamera Neffs Point of View einnehme. Beispielsweise wenn Phyllis Dietrichson zum ersten Mal, in ein Badetuch gewickelt, am oberen Absatz der Treppe ihres Hauses auftaucht. Besondere Kunstfertigkeit als Verführerin braucht Phyllis wahrlich keine, denn Neff steht die Lüsternheit ins Gesicht geschrieben, noch bevor sie zum Sirenengesang ansetzen kann. Daraufhin führt das Hausmädchen Neff zum Warten ins Wohnzimmer: «Dort hinein, aber sie halten den Alkohol verschlossen.» Darauf Neff lässig: «Schon okay. Ich habe immer meine eigenen Schlüssel dabei.»

Das darauffolgende legendäre Close-up von Phyllis Füssen samt Fusskettchen ist nichts anderes als Neffs unverschämt zudringlicher Blick. Und danach setzt er sich rotzfrech auf die Armlehne des ihm angebotenen Sessels. Längst sind alle Zweifel ausgeräumt: Neff ist sprungbereit auf Beute aus. Und er drückt unverhohlen aufs Gas. So sehr, dass ihn Phyllis daran erinnern muss: «Es gibt eine Geschwindigkeitsbegrenzung in diesem Staat, Mr. Neff. 45 Meilen pro Stunde.» – «Und wie schnell war ich, Officer?» – «So um die 90.»

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Was meist als anzügliche Unterwanderung der Zensur verstanden wird, kann man auch als letztlich hilflosen Versuch deuten, Neff zurückzubinden. Allein: Von solchen Subtilitäten lässt sich dieser nicht bremsen.

Sobald uns bewusst wird, dass wir Neffs Version eines Verbrechens folgen, beginnt sich die Sicht auf Phyllis grundlegend zu verändern. Allzu oft haben wir gehört, dass Barbara Stanwyck hier eine durch und durch böse Femme fatale gibt. Sagt Phyllis nicht selbst am Ende «Ich bin verdorben bis ins Herz!»? Damit scheint alles geklärt, wäre es nicht Neff, der uns diese Selbsteinschätzung serviert. Im Laufe seines Geständnisses gibt er zu Protokoll: «Ich versuche nicht, mich reinzuwaschen.» Spätestens jetzt wäre sein gewiefter Versicherungskollege Barton Keyes endgültig davon überzeugt, dass Neff bei aller demonstrativ zur Schau getragenen Schonungslosigkeit genau dies versucht. Raffiniert schiebt Neff die Hauptschuld weiterhin Phyllis zu. Sie soll das Scheusal abgeben, das ihn um den Verstand gebracht hat. Er ist schwer verletzt, aber keineswegs geläutert und bleibt der manipulative Versicherungsvertreter.

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Diese Selbstentschuldung unterwandert Neff allerdings immer wieder selbst, weil ihm verräterische Brocken rausrutschen. «Ich habe ihn für Geld getötet – und eine Frau», sagt er und setzt dabei seine Motive präzise in die richtige Reihenfolge. Als die Ermordung von Mr. Dietrichson längst beschlossene Sache ist, kommt Walter in seiner Erinnerung dem eigentlichen Geständnis so nahe wie sonst nie: «Wir sassen noch lange zusammen. Keiner sprach ein Wort. Phyllis weinte. Vielleicht hatte sie aufgehört, daran zu denken. Ich jedenfalls nicht. Ich konnte es nicht. Weil ich mich früher schon mit ähnlichen Gedanken beschäftigt hatte. Lange bevor ich dieser Frau begegnet bin. In unserer Branche liegt das nahe, Keyes. […] Es ist so eine Art Roulettespiel, das du leitest und bei dem du die Einsätze kontrollierst. Eines Abends denkst du dann daran, die Sache zu deinen Gunsten auszuwerten. Das ist nicht schwer, weil du ja die Kugeln in deiner Hand hältst. Es fehlt nur ein Strohmann. Er muss die Einsätze für dich machen. Und du bist ein reicher Mann. Und siehst du, plötzlich steht so ein Strohmann tatsächlich vor dir.»

Nun wird es doch eigentlich offensichtlich: Walter ist die treibende Kraft und nicht das labile Opfer. Wenn wir seinen Verkaufstricks nicht auf den Leim gehen würden, könnten wir uns also endlich von seinem patriarchalen Blick auf Phyllis lösen. Und plötzlich würden wir bemerken, dass es eine Bedeutung hat, wenn sie «Ich liebe dich, Walter» sagt, worauf er mit «Ich liebe dich, Baby» antwortet.

Uns würden Nuancen auffallen, wie jene, dass auf dem Flügel in Dietrichsons Wohnzimmer das Bild des Ehemanns und seiner Tochter aus erster Ehe steht, jedoch nicht das Bild von Phyllis. Uns würde bewusst, dass Phyllis von ihrem Mann mehr als schäbig behandelt wird. Und dieses scheinbar aufreizende Kettchen an ihrem Fussgelenk? Könnte es nicht in Wahrheit eine Fessel sein? Es ist nämlich zu eng geraten und schneidet ins Fleisch.

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Gewiss, es wäre zu einfach, aus Phyllis ein hilfloses Opfer zu machen. Auch sie ergreift eine Gelegenheit. Auch sie manipuliert. Aber vielleicht nicht ganz so vorsätzlich und zynisch wie Neff. Wenn man ihr kurz vor dem Ende unvoreingenommen ins Gesicht sieht und sie dabei sagen hört, wie zutiefst verdorben sie sei, dann kann man auf den Gedanken kommen, dass sich darin auch das echte Leiden einer misshandelten Frau abzeichnet, der man ein Leben lang nur das Luder zugetraut hat. Sobald wir diese Phyllis entdecken, wird offenbar, weshalb Barbara Stanwyck eine Jahrhundertschauspielerin war. Als sie zögerte, die Rolle anzunehmen, soll Wilder gefragt haben: «Sind Sie eine Maus oder eine Schauspielerin?» Stanwyck antwortete: «Ich hoffe, eine Schauspielerin» und übernahm den Part.

Wilder wusste, weshalb er unbedingt Stanwyck wollte. Ihre Phyllis soll auf den ersten Blick durch und durch verdorben wirken – und auf den zweiten differenziert und ambivalent. Stanwyck treibt eine Maskerade mit der Maskerade, durch die unter blonder Perücke, hinter schwarzen Brillengläsern und starrer Mimik gerade eben noch Verletzlichkeit und Tragik aufscheint.

Was hat Phillys Dietrichson damit unter den Vamps zu suchen? – Sie erinnert uns daran, dass der Vamp eine Phantasie von Männern ist. Männer wie Walter Neff erschaffen Vamps und kaschieren damit ihre eigene verdorbene Gier. Und wenn sie auch mit Mord nicht durchkommen, damit kommen sie offenbar bis heute durch.

Als Fred MacMurray längst als Disney-Papa verbiederte, hat er für Billy Wilder seinen Walter Neff in The Appartement noch einmal von der Leine gelassen. Noch schäbiger, noch verlogener, noch manipulativer. Aber Barbara Stanwyck ist es zu verdanken, dass wir dieses miese Spiel vielleicht endlich doch noch durchschauen. Dafür allerdings sollten wir Double Indemnity endlich nicht mehr nur durch Walter Neffs Brille sehen, sondern auch mit dem Blick des skeptischen Humanisten Barton Keyes. Und das wäre dann auch der Blick Billy Wilders.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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