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Frantz

François Ozon inszeniert die Nachkriegszeit ­als deutsch-französische Liebesgeschichte – ­im Genre des Melodramas. Ein durchaus raffinierter Kunstgriff, der gerade im Brexit-Jahr nachdenklich stimmt.

Text: Kristina Köhler / 06. Okt. 2016

Der neue Film von François Ozon heisst schlicht Frantz. «Frantz» – wie la France, wie François Ozon, aber auch wie Franz Ferdinand, der österreichisch-ungarische Thronfolger, dessen Ermordung 1914 in Sarajewo den Ersten Weltkrieg auslöste. Dieser Krieg bildet den Hintergrund der Geschichte, die 1919, ein Jahr nach dem Waffenstillstand, einsetzt. Im deutschen Quedlinburg geht Anna jeden Tag zum Friedhof, wo sie das Grab ihres Verlobten Frantz pflegt, der von der deutsch-französischen Front nicht zurückgekehrt ist. Eines Tages bemerkt Anna einen Fremden am Grab. Wer ist der Mann und woher kannte er Frantz? Zunächst sind Anna und Frantz’ Eltern skeptisch; der Fremde ist Franzose, und die Ressentiments gegen den ehemaligen Kriegsgegner sind deutlich spürbar. Doch Adrien ist ein feingliedriger, junger Mann, der Geige spielt und die Bilder von Manet liebt. Er scheint dem Verstorbenen in vielem so ähnlich – vielleicht ein Freund aus Paris, wo Frantz vor dem Krieg gelebt hatte? Das ist zumindest die Geschichte, an die Anna und seine Eltern glauben möchten. Und so wird Adriens Besuch zur symbolischen Rückkehr des verstorbenen Verlobten und Sohns: Adrien soll wie Frantz Geige spielen und Anna zum Ball begleiten. «Haben Sie keine Angst, uns glücklich zu machen!», sagt Frantz’ Mutter zu Adrien – und ahnt nicht, warum dieser tatsächlich nach Deutschland gereist ist. Was als Missverständnis beginnt, verselbständigt sich zu einer Lüge, die allen Beteiligten lieber zu sein scheint als die Wahrheit.

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Diese Grundkonstellation orientiert sich an einem Theaterstück, das Ernst Lubitsch 1932 schon einmal als Broken Lullaby verfilmte. Während Lubitsch auf die Figur des Franzosen fokussiert, erzählt Ozon die Geschichte aus Annas Perspektive. Nicht die Beziehung der beiden Männer steht damit im Mittelpunkt – auch wenn es zeitweise danach aussieht –, sondern die Annäherung zwischen Adrien und Anna, die vielschichtig und suggestiv gezeichnet ist: Was mit romantischen Spaziergängen am See beginnt, sinnlich aufgeladen und der Zeit enthoben, wird zu einem Briefwechsel über die Grenze hinweg, der von Missverständnissen und verpassten Chancen durchzogen ist.

Auch wenn sich Ozon mit Frantz an grossen Themen wie Schuld, Trauer und Versöhnung abarbeitet, gilt sein Interesse vor allem den Zwischentönen und fein modulierten Mischverhältnissen der Gefühle – wie sich Trauer mit Schuld vermischt, wie aus schlechtem Gewissen Zuneigung wird, wie sich Verlust mit Lust auffüllt. Wie so häufig bei Ozon ist es zugleich eine Geschichte über das Geschichtenerzählen, über die Kraft der Fiktion und Imagination. Mit Adrien erleben wir, wie schnell man in eine Geschichte hineingerät, aus der man – wenn man erst einmal mitspielt – nicht mehr so leicht herauskommt. Durch die Perspektive von Anna und den Eltern wird aber auch deutlich, dass Geschichten nicht nur von denen gemacht werden, die sie erzählen, sondern auch von denen, die sie hören möchten. Das ist natürlich zugleich als Reflexion auf das Kino zu verstehen – und Ozon versäumt es nicht, dieses Spiel mit uns zu spielen. Raffiniert dreht er an den Schräubchen des Melodramas, um Erwartungen zu stimulieren, die mal erfüllt, mal frustriert oder über Plot-Twists in noch abgründigere Konstellationen überführt werden.

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Dabei geht es freilich weniger darum, das Geschichtenerzählen zu moralisieren, als darum, klare Zuschreibungen von Gut und Böse, Täter und Opfer mit erzählerischen Mitteln ins Leere laufen zu lassen. Frantz eröffnet einen ähnlichen Umgang mit Geschichte wie zuletzt etwa Christian Petzolds ­Phoenix. Darin weigerte sich die KZ-Überlebende Nelly stoisch, die ihr widerfahrene Gewalt zu erinnern und sich als Opfer zu begreifen. Ähnlich lässt auch Frantz eine Erinnerungspolitik kollabieren, die es sich mit Schuldzuweisungen allzu einfach macht. Doch wo Phoenix düster und brutal bleibt, schimmert durch Ozons Film ein märchenhafter Grundton der Völkerverständigung. Die Deutsche spricht Französisch und zitiert Verse von Verlaine; der Franzose spricht Deutsch und stimmt auf seiner Geige die Musik deutscher Komponisten an. Lustvoll, über eine Reihe von Spiegelungen und Wiederholungen verflicht Ozon die Geschichten von Anna und Adrien, Deutschland und Frankreich – und trägt Vorstellungen und Stereotype des Nationalen Schicht für Schicht ab. Dazu passt nicht nur das Irritationsmoment im Titel, den deutschen Vornamen in der französischen Schreibweise zu bringen, sondern auch, dass der Film mit Schauspielern beider Länder auf Deutsch und Französisch gedreht wurde. Auch die Bildsprache des Films lässt sich als Hommage des französischen Regisseurs an die deutsche Kultur verstehen – wenn Anna bei ihren Ausflügen in die Natur wie eine Silhouette auf einem Felsen stehen bleibt und das Bild für einen kurzen Moment innehält, darf man sich an die romantischen Bildwelten Caspar David Friedrichs erinnert fühlen.

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Gleichsam als Kontrast dazu wird die nationalistische Stimmung auf beiden Seiten der Grenze überdeutlich gezeichnet – etwa wenn die deutsche Stammtischrunde gegen «den Franzos’» hetzt oder wenn die Besucher in einem Pariser Café die Marseillaise anstimmen. Vor diesem Hintergrund heben sich die beiden Hauptfiguren Anna und Adrien umso deutlicher ab. Pierre Niney spielt Adrien mit dandyhaften Zügen, schüchternem Blick und einem nervösen Zucken um die Mundwinkel. Paula Beer als Anna bewegt sich wie eine Schlafwandlerin durch die Nachkriegszeit – sie registriert unerschütterlich, aber auch befremdet, als wäre da eine Glasscheibe zwischen ihr und der Welt. Es ist mitunter schwer zu entscheiden, wie man sich zu den beiden verhalten soll. Wenn sie schwärmerisch Gedichte zitieren und lieber ins Museum als zur politischen Kundgebung gehen, wirken sie etwas weltfremd; doch die Beharrlichkeit, mit der sie an der Kunst und ihrer Freundschaft festhalten, hat zugleich etwas wunderbar Utopisches. Fast scheint es, als hätte der Krieg für sie nie stattgefunden. Entsprechend ist der Film über weite Strecken in elegischen Schwarzweiss-Bildern gehalten; Aufnahmen der äusseren Zerstörung – verwüstete Städte, versehrte Körper – bleiben sparsam eingesetzt; vielmehr wird die Nachkriegszeit als psychischer Zustand porträtiert. Dafür braucht Ozon häufig nicht viel mehr als den Schatten einer Baumkrone, der sich für einen Moment düster über die Gesichter legt. Ausgerechnet die Farbe, bislang ein prominentes Stilmittel seiner Filme, bringt er nur dann ins Spiel, wenn die Erinnerungen besonders intensiv werden. Dann laufen die Bilder mit warmen Farbtönen an, als würden sie sich für einen Moment mit Leben vollsaugen – das ist schön, auf Dauer aber auch ein bisschen schematisch.

Insgesamt kommt Frantz deutlich weniger leichtfüssig, verspielt und ironisch daher, als man es von Ozons Filmen gewohnt war. Doch die Nachkriegszeit als deutsch-französische Liebesgeschichte im Genre des Melodramas zu erzählen, ist ein durchaus raffinierter Kunstgriff und ein pointiert gesetzter Anachronismus, der gerade im Brexit-Jahr nachdenklich stimmt. Man kann kaum aus dem Kino gehen, ohne sich zu fragen, was eigentlich aus dieser Vision geworden ist, von der «Frantz» Ozon schwärmt.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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