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Ebruchstueck filmstill protagonisten

Familienbruchstück

Natalie Pfister ist ein kleines, aber sehr sehenswertes «Dokudrama» gelungen. Ohne dramatisch zu sein, dafür umso menschlicher. Sie hat für ihren Diplomfilm eine mutige Familie gefunden, die bereit war, über die für alle Beteiligten schmerzhafte Scheidung vor sieben Jahren zu sprechen.

Text: Tereza Fischer / 09. Juni 2016

Ein Tisch, vier Stühle vor grauem Hintergrund: die Bühne für ein Familienstück. Sie ist auf ein Publikum hin ausgerichtet – einerseits; andererseits auch auf einen Monitor im Off, auf dem die Familie Hofmann sich selbst sehen kann. Sich selbst, gespielt von Schauspielern.

Natalie Pfister hat für ihren Diplomfilm eine mutige Familie gefunden, die bereit war, über die für alle Beteiligten schmerzhafte Scheidung vor sieben Jahren zu sprechen. Die Regisseurin hat in einem intimen Rahmen einzeln Interviews mit ihnen geführt. Später hat sie die Gespräche transkribiert und Aussagen ausgewählt, um sie in einer Kulisse, die dem damaligen Wohnzimmer der Hofmanns gleicht, mit Schauspielern nachzustellen. Der zweite Teil der so einfachen wie bestechenden Versuchsanordnung ist die Konfrontation der Familienmitglieder mit ihren Alter Egos und mit ihren eigenen Aussagen. Alternierend erzählen nun Vater, Mutter, Tochter und Sohn von damals und reagieren im Hier und Jetzt darauf – aus einem grossen Abstand wieder mitten in die Krise geholt.

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Anstatt also die emotionalen Reaktionen einzeln und unmittelbar aus der Rekapitulation der Geschehnisse an die Oberfläche zu holen, lässt Pfister die Familie gemeinsam auf das Erleben jedes einzelnen zurückblicken. «Es ist nochmals so heftig, wie eins zu eins. Das hätte ich nicht erwartet», sagt Peter Hofmann mit Tränen in den Augen. Er war es, der sich verliebt und seine Frau Susanne und die beiden jugendlichen Kinder verlassen hatte. Das Schweigen und das Unverständnis, die damals die Krisensituation bestimmten, weichen nun einem Ringen um rationale Erklärungen und vor allem dem Dialog. Zwischen Exmann und Exfrau, aber auch zwischen Bruder und Schwester. Während Sofie damals die Flucht aus der bedrückenden Atmosphäre suchte, kümmerte sich Moriz sich um seine Mutter. Gelitten haben alle. So ist diese Konfrontation mit dem Reenactment auch ein Durcharbeiten und ein Impuls, anders – oder endlich – miteinander zu sprechen.

So individuell diese Trennungsgeschichte auch ist, so beispielhaft ist sie: Jeder befindet sich emotional an einem anderen Ort. Dabei fehlt oft nicht nur das Vermögen, sondern auch die Bereitschaft, diese Distanz zu überwinden. Die Handlungen sind irrational, eine gemeinsame Sprache fehlt. Jetzt, Jahre später, versteht man sich wieder.

«Sehr authentisch», staunt Moriz am Anfang über die gespielten Interviews. Die vier Schauspieler suchen nach Worten, stocken, überlegen. Einzig der direkte Blick in die Kamera wirkt ungewohnt und offenbart die Künstlichkeit der Inszenierung.

Natalie Pfister ist ein kleines, aber sehr sehenswertes «Dokudrama» gelungen. Ohne dramatisch zu sein, dafür umso menschlicher.

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