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Hedi 16

Hedi / Inhebbek Hedi

Hedi ist ein grossartig stiller Film, der mit ausserordentlicher kinematografischer ­Konzen­tration und physischer Intensität die politisch angespannte Wirklichkeit ­Tunesiens thematisiert.

Text: Lukas Stern / 22. Sep. 2016

Einmal ist es ganz besonders still in diesem Film, in dem es eigentlich immer ziemlich still ist. Hedi und Rim setzen sich auf eine kleine Friedhofsmauer und unterhalten sich über den 14. Januar. Jenen Tag im Jahr 2011, als Tunesiens Präsident Zine el-Abidine Ben Ali aus dem Land flüchtete, als es zu gewaltsamen Ausschreitungen kam und als – und das ist nicht unwichtig für diesen Film, der einige Zeit in einer Hotelanlage spielt – am Abend angekündigt wurde, dass deutsche Urlauber mit Sondermaschinen zurückgeflogen werden sollten. Es ist die einzige Szene, in der dezidiert die politisch angespannte Wirklichkeit Tunesiens zur Sprache kommt. Und über ihr liegt eine weitläufige Ruhe – die Ruhe eines Friedhofs.

Es ist eine wunderbare Szene, eine Schlüssel­szene. Denn obwohl sie im Grossen von der Atmosphäre eines Gräberfeldes getragen ist und obwohl hier die politische Lage ganz manifest wird, geschieht im Kleinen etwas völlig anderes. In den Gesten, im intimen Körperspiel der beiden Darsteller. «Sehe ich etwa nicht aus wie ein Revolutionär?», fragt Hedi mit stiller Selbstironie, nachdem Rim von ihm wissen wollte, ob er an den Demonstrationen teilnahm. Dann lachen beide. Rim streicht ihm über den Kopf. Ihr fällt die Glatze auf, die sich auf seinem Hinterkopf ankündigt.

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Mohamed Ben Attias Langfilmdebüt ist ein subtiler Film und dabei ganz und gar ungezwungen. Das Ereignis auf der Mauer hat nichts damit zu tun, dass sich hier endlich der gesellschaftspolitische Rahmen der Geschichte preisgibt, sondern damit, dass die Liebesgeschichte zwischen Hedi und Rim auf ein neues Niveau gehoben wird – auf ein Vertrauensniveau, auf dem man sich für den beginnenden Haarausfall nicht genieren muss.

Hedi ist 25 Jahre alt und arbeitet für einen Peugeot-Grosshändler. Sein Chef ist unzufrieden. Zu Recht, denn Hedi verkauft kein einziges Auto. Über dieser Situation, deren Lethargie schon im leidenschafts­losen Zusammenschnüren eines Krawattenknotens zum Ausdruck kommt, thront eine kontrollwütige Mutter. Sie plant die Karriere des Sohns, den Hausbau und allem voran seine Ehe mit Khedija. Im Grunde ist sie es, die sein Leben lebt. Für die Hochzeit kommt ausserdem der grosse Bruder Ahmed angereist. Der lebt schon lange mit Frau und Kind in Frankreich, weiss aber, wie wichtig es der Mutter ist, dass jedes Familienmitglied seine Rolle in der aufwendigen Hochzeitsplanung wahrnimmt. Hedi selbst ist das passive Zentrum dieser Vorbereitungen.

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Abends trifft er sich mit Khedija. Ein paar Minuten lang sitzen sie gemeinsam im Auto und phantasieren über die Zukunft – nur wird in der Enge dieses Autos noch nicht einmal der harmlosesten Phantasie körperlich entsprochen. Die Romantik ist ein Gefühlsregister, das im traditionalistischen Milieu nicht existiert. Nur via SMS gibt es zwischen den Verlobten so etwas wie einen emotionalen Austausch.

Es verwundert daher nicht, wenn die Liebesgeschichte zwischen Hedi und Rim etwas holpernd in die Gänge kommt. Rim arbeitet als Animateurin in einer Hotelanlage am Meer. Abends tanzt sie auf einer kleinen Bühne für die wenigen deutschen Familien, die sich

dort noch an den Strand trauen und die anschliessend auf ihren Zimmern mit Bundesligaübertragungen und Béla Réthys Kommentatorenstimme versorgt werden. Hedi soll in der Region eigentlich ein paar Autokäufer an Land ziehen, liegt stattdessen aber lieber am Strand und sprintet, wenn der Chef anruft, zurück ins Hotel, um vorgeben zu können, in einem Meeting zu sein.

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Der Strand ist auch der Ort, an dem sich die beiden in einer ersten, etwas hilflosen Begegnung treffen, an dem sie gemeinsam ihre Abende verbringen. Und es zeigt sich, dass der Strand der einzige Ort ist, an dem diese Liebe Bestand hat, an dem sie gelebt werden kann, und zwar gerade deshalb, weil sich dort, in der Dunkelheit, in der Privatheit, im geteilten Blick in die Ferne gewissermassen automatisch ein romantischer Kontakt zwischen den Körpern herstellt.

Attias präzise Inszenierung lässt sich ohnehin am allerbesten an der Art und Weise festmachen, wie er die Körper seiner Darsteller in Szene setzt. Fast hat man den Eindruck, dass man zum Kern dieses Films am ehesten dann vorstösst, wenn man haargenau die Physiognomien beschreibt, die ihn beleben. Tatsächlich steht allein durch Hedis schütteres Haar und Ahmeds lockige Mähne schon derart viel brüderliche Differenz auf dem Spiel, dass es zwischen ihnen kaum noch eines Dialogs bedarf, um ein Gefühl für ihr entfremdetes Verhältnis zu bekommen. Auch Hedis hagere Statur im Verhältnis zu der zierlichen Khedija und der dagegen etwas stärkeren Rim spricht Bände über die bestimmte Form seines Begehrens, seiner Sehnsucht, seiner Ausbruchsphantasie. In der Art, wie sich Hedi die Zigarette an den Mund führt, wie sich die Oberlippe über den Filter schiebt, wie er dabei ohne etwas zu fokussieren aus der Einstellung blickt, aktualisieren sich von der Frustration über die Melancholie bis hin zum romantischen Aufbegehren so viele Stimmungs­register gleichzeitig, dass man eigentlich kaum noch auf die symbolschwangeren Szenerien angewiesen ist, um für das soziale und politische Klima Tunesiens, so wie es dieser Film interpretiert, ein Gefühl zu bekommen. Hedi ist ein grossartiger Film. Und einer, der mit einer ausserordentlichen kinematografischen Konzentration und allein dank seiner physischen Intensitäten der tunesischen Gegenwart einen bestechenden Ausdruck verleiht.

 

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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