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Sing street

Sing Street

«It’s all about the girl, isn’t it?» – Sing Street ist ­ein «must-see coming of age film» über einen Teenager aus dem Irland der Achtziger, ­der eine Band gründet, ­um das Mädchen ­von ­gegenüber zu erobern.

Text: Michael Ranze / 08. Sep. 2016

Dublin Mitte der achtziger Jahre. Die Wirtschaftskrise hat Irland fest im Griff. Steigende Staatsverschuldung, hohe Arbeitslosigkeit, sinkender Lebensstandard. Wer kann, flüchtet nach London. Vor diesem Hintergrund durchleidet der 15-jährige Conor die Pubertätswirren besonders stark. Die Eltern streiten ständig und würden sich am liebsten trennen. Doch Scheidung ist im streng katholischen Irland noch immer verboten. Ihre gegenseitigen lautstarken Beleidigungen dienen Conor immerhin als Inspiration zu frechen Songtexten, die er mit der Gitarre begleitet. Doch dann wird sein Vater arbeitslos und Conor muss von der teuren Privatschule auf eine öffentliche wechseln. Hier sind die Sitten ein wenig rauer: mobbende Mitschüler, strenger Direktor, desinteressierte Lehrer. Einen Lichtblick gibt es allerdings: Gegenüber der Schule lehnt lässig ein verdammt schönes Mädchen an der Mauer, cool eine Zigarette rauchend. Conor nimmt all seinen Mut zusammen und spricht Raphina an. Sie sei Model und wolle nach London. Um ihr ihre Telefonnummer zu entlocken, verspricht der Junge ihr kurzerhand die Hauptrolle im nächsten Musikvideo seiner Band. Da gibt es nur ein Problem: Conor hat gar keine Band. Doch diese Traumfrau darf ihm nicht entwischen. Und so gründet er einfach eine Gruppe: Sing Street.

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Bereits mit Once (2007) und Can a Song Save Your Life? (2013) hatte Regisseur John Carney seiner Liebe und Verbundenheit zur Musik gefrönt. Sie scheint ihm, genauso wie das Kino, Balsam für die Seele zu sein, ein Helfer in schwierigen Zeiten, vielleicht aber auch Flucht vor der Realität. «Don’t want to spend my life / living on the edge of reality / Don’t want to spend my life / living in a rock ’n’ roll fantasy», heisst es im Song «Rock ’n’ Roll Fantasy» der Kinks, der eine Parallele zwischen Film und Musik herstellt: Das Leben geht vorbei – und du sitzt im Kino oder hörst Platten.

Sein neuer Film ist darüber hinaus auch autobiografisch beeinflusst – Carney lebte als Teenager in Dublin und musste von einer Privatschule an eine innerstädtische Gesamtschule wechseln. Trotz des persönlichen Zugangs erinnert Sing Street an den Film eines anderen Regisseurs, an Alan Parkers Commitments (1991). So wie dort erst noch die Mitglieder in einem Casting zusammengestellt wurden, sucht auch Conor fieberhaft nach Mitstreitern, manchmal aus ganz pragmatischen Gründen: Wer hat eine Anlage? Wer besitzt ein Schlagzeug? Wer kann Songs schreiben? Während die Commitments sich auf Soul und Funk einschworen, ist Sing Street buchstäblich noch mit der musikalischen Selbstfindung beschäftigt, die man aber nicht mit Orientierungslosigkeit verwechseln sollte. Alles wird ausprobiert, von New Romantics bis Synthie Pop, von Duran Duran bis Hall & Oates, von The Cure bis Joe Jackson. Und über allem schwebt der Geist von Elvis Costello.

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Wer in den achtziger Jahren mit dieser Musik aufgewachsen ist, wird die Anspielungen schnell erkennen und einen Grossteil des Spasses an §Sing Street daraus beziehen. Die achtziger Jahre waren auch die Anfangs- und Blütezeit des Musikvideos, MTV entstand. Wie Conor und seine illustre Truppe mit wenig Mitteln handgemachte Kurzfilme inszenieren, ist mit seinen Slapstick-Elementen und Improvisationen nicht nur sehr komisch. Die Verbindung von Bild und Ton, von Visualität und Musik, zieht noch eine zusätzliche Ebene in den Film ein, die die Kraft der Musik noch einmal unterstreicht. Mit Musik lässt sich so einiges ertragen, auch die tristen Zustände in Dublin.

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Dramaturgisch setzt Carney vor allem auf Kon­traste. Da ist der Gegensatz zwischen Irland und England, zwischen Dublin und London, zwischen der geschützten Atmosphäre in der Privatschule und dem ruppigen Umgang in der öffentlichen Schule, der Zwist zwischen Eltern und Kindern, aber auch die Unterschiedlichkeit von Jungen und Mädchen. So baut Carney ein beständiges Spannungsfeld auf, das den Zuschauer mitfiebern lässt. Wenn man Carney überhaupt etwas vorwerfen will: Er hat seinen Film zu sehr auf allgemeinverträgliche Unterhaltsamkeit getrimmt. Schon in den beiden Vorgängern war die Musik mit ihrem angenehmen Folk-Pop immer auch konsens­fähig: nicht zu laut, nicht zu kantig, nicht zu kompliziert. Frank Zappa, Grateful Dead oder gar Metallica wird man in den Filmen John Carneys nie hören.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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