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Personal Shopper

Nach Clouds of Sils Maria inszeniert Olivier Assayas erneut seine aktuelle Muse Kristen Stewart, die auf der Suche nach sich selbst heimlichen und unheimlichen Gespenstern begegnet. Per SMS, in Haute Couture.

Text: Dominic Schmid / 17. Jan. 2017

Ob sie gerne jemand anderes wäre, wird Maureen in einer SMS gefragt, die von ihrem kürzlich verstorbenen Zwillingsbruder stammen könnte, wie sie vermutet. Sie zögert mit der Antwort, muss erst den Zug besteigen, der sie nach einem kurzen Aufenthalt in London wieder zurück nach Paris bringt, zögert einen weiteren Moment, bevor sie die Antwort eintippt: Ja. Wer sie stattdessen sein möchte, vermag sie nicht zu sagen. Die Frage wird gleichsam geisterhaft bis zum Ende des Films im Raum schweben, wo sie mit ins Unendliche verstärkter Prägnanz erneut gestellt wird. Doch auch dort wird die Antwort vorerst ausbleiben.

Maureen ist ein Personal Shopper, eine Art Einkaufsassistentin für Kyra, eine unausstehliche Prominente, für die sie in allerlei teuren Mode- und Schmuckläden in ganz Europa Kleider und Accessoires auswählt, kauft oder mit Versprechen auf baldige Rückgabe ausleiht. Die Sachen selbst anzuprobieren ist ihr untersagt, doch solche Verbote sind in Filmen da, um gebrochen zu werden. Maureen hasst ihren Job – eigentlich lebt sie in Paris nur, um auf ein Zeichen aus dem Jenseits von Lewis, ihrem Zwillingsbruder, zu warten. Wie sie hatte er die Gabe, mit Geistern zu kommunizieren, und mit ihm traf sie die Abmachung, im Falle des Todes mit dem anderen Kontakt aufzunehmen. Die Geschwister verfügen nicht nur über dieselbe Gabe, sondern auch über den gleichen Herzfehler. In gewissermassen doppelter Hinsicht ein Medium also, verbringt Maureen ihre Tage damit, den Begehrlichkeiten und Problemen anderer zu entsprechen, seien diese distanzierte Prominente oder aber Gespenster, deren ungelöste Traumata sie zur Heimsuchung der Welt der Lebenden zwingen.

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Dass in dieser Konstellation die Ausformung einer eigenen Identität zumindest erschwert ist, wird in den unterdrückten Emotionen auf Maureens Gesicht und ihrem schliesslichen Aufbegehren, ihrem Zur-Anderen-werden eindringlich zur Schau gestellt. Das ständige Unterwegssein – gewissermassen das Hauptmotiv des Films, sowohl auf inszenatorischer wie auch auf struktureller Ebene – sowie das durch andere bestimmte Leben, gekoppelt mit der tiefen Trauer über den Verlust des Bruders und dem Ausbleiben der versprochenen Zeichen, motivieren Maureen schliesslich dazu, den Suggestionen ihres unbekannten SMS-­Partners nachzugeben, ganz im Wissen, dass diese nicht zwangsweise von einem wohlgesinnten Geist ausgehen müssen. Das Begehren braucht das Verbotene, schreibt sie und formuliert zum ersten Mal eine Möglichkeit zur eigenen Identität.

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Die Gespenster in Personal Shopper sind durchaus real und keineswegs auf ihre metaphorische Rolle reduziert. Wir bekommen sie schon früh und unzweideutig zu sehen, erhalten dazu gar noch eine Einführung in die Rolle, die die Technologie bei deren Sichtbarmachung spielt. Der Film macht diese Verbindung in mehrerlei Hinsicht deutlich, vom haunted technology-Motiv, das für die Zeit der Smartphone-Kommunikation ein Update erfährt, bis zu mehreren Exkursen in die Geschichte des Spiritismus, der Mitte des 19. Jahrhunderts anlässlich des allgemeinen (und unheimlichen) technologischen Fortschritts einen Auftrieb erfuhr. Der Spiritismus ist aber nicht nur in einer antiaufklärerischen Gegenreaktion zu verorten. Wobei auch das Kino keine unwesentliche Rolle spielte. Die Videos zur spiritistischen Pionierin der abstrakten Malerei Helma af Klint oder zu den Geisterbeschwörungsversuchen Victor Hugos, die sich Maureen unterwegs auf ihrem Smartphone ansieht, lassen sich mitunter als die selbstreflexive Ebene von Personal Shopper verstehen, mittels der auf die Rolle der Kunst bei der Sichtbarmachung der unsichtbaren Bestandteile der Realität verwiesen wird.

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Bei Assayas lässt sich von Beginn weg ein Inter­esse für Möglichkeiten des Films feststellen, gewisse Präsenzen, Energien und Verknüpfungen, die ohne Zweifel existieren, sich aber kaum darstellen lassen, in filmische Bilder zu übersetzen, und mehr als einmal hat ihm dabei seine idiosynkratische Mischform aus Genre- und Autorenkino als ideale Plattform dazu gedient, insbesondere in seinen verkannten ­Genrefilmen Demonlover (2002) und Boarding Gate (2007), die das zentrale Thema ihres Autors, die flüchtige Identität in der postmodernen Welt, auf eine meisterhafte, wenn auch dem kommerziellen Erfolg abträgliche Weise verdichteten.

Wahrscheinlich kommt man am weitesten, wenn man Personal Shopper gar nicht erst in verschiedene Genres aufzuteilen versucht – Psycho­thriller, Geisterfilm, psychologisches Drama, Trauerstudie, Modewelt-Satire et cetera –, sondern als eine Art selbstreflexiven Experimentalfilm, der jene Genrestrukturen nur benutzt, um näher zum Kern seiner undurchdringlichen Hauptfigur zu gelangen. Diese bewegt sich überdies in einer Realität mit einer solchen Vielzahl von Modalitäten und Medialitäten, dass sie sich mittels eines einzelnen Genres ohnehin nur noch unzureichend repräsentieren lässt.

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Man kann durchaus annehmen, dass jene Leute, die Personal Shopper anlässlich seiner Uraufführung in Cannes ausgebuht haben – irritiert vielleicht von dessen heterogener Genrestruktur und seiner allgemeinen Rätselhaftigkeit –, dieselben sind, die Kristen Stewart ob ihres angeblich unterkühlten Schauspiels nach wie vor belächeln. Dabei sollte sich allerspätestens nach Assayas’ Vorgängerfilm [art:sils-maria:Clouds of Sils Maria] gezeigt haben, dass Stewarts Technik, den Affekt auf relativ einzigartige Weise nach Innen zu richten, ihre Figuren stets mit einer Tiefe ausstattet, die paradoxer­weise, in den Händen des richtigen Filme­machers, hochaffektierend wirkt. Es wurde bereits von verschiedener Seite festgestellt, dass es sich bei Kristen Stewart um eine der interessantesten Schauspielerinnen ihrer Generation handelt, und zumindest eine Funktion von Personal Shopper ist es, diese Tatsache für alle sichtbar auf die Kinoleinwand zu bringen, nachdem man sich bei Clouds of Sils Maria mit Juliette Binoche noch vom Duett/Duell der verschiedenen Schauspielgenerationen hatte ablenken lassen können (wobei schon da in der direkten Gegenüberstellung deutlich auffiel, wie wenig klassisch und auf seine Weise gegenwärtig Stewarts Schauspielstil ist). In Personal Shopper, der Solovariante sozusagen, wird jedes Bild und jede noch so rätselhafte Kamera­einstellung und -bewegung so sehr von ihrem Körper und Gesicht dominiert und motiviert, dass sich fast behaupten lässt, der Film handle zuallererst von Kristen Stewart. Sie hält dieser Fokussierung auf faszinierende Weise stand, vielleicht gerade weil die anderen zentralen Fragen – nach der Funktion der Geister, nach Identität und Trauer, nach dem Sinn von all dessen – nicht beantwortet werden können. Aus dieser Faszination wie auch aus der nicht bestreitbaren Ratlosigkeit heraus entsteht schliesslich ein äusserst anregendes und bewegendes Kinoerlebnis – wenn man denn bereit ist, ähnliche Offenheit gegenüber bestimmten unerklärlichen Phänomenen aufzubringen, wie sie etwa die Spiritisten des 19. Jahrhunderts oder Oliver Assayas als deren mutmasslicher Nachfolger im Geiste mit ihren Kunstwerken ­offenbaren.