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Uncle Howard

Aaron Brookner hat ein aussergewöhnliches Porträt seines Onkel Howard geschaffen. Dabei ist es ihm gelungen die berauschende Stimmung der New Yorker-Künstlerszene der 80er Jahre, in welcher der charismatische Regisseur verkehrte, zu konservieren.

Text: Dominic Schmid / 20. Jan. 2017

Sollte noch jemand Zweifel daran hegen, dass es sich beim filmischen Künstlerporträt um eine ganz eigene Kunstform handelt, mit Anforderungen und Wirkungsmöglichkeiten, die einem originären Werk in nichts nachstehen, dann sei ihm hiermit Burroughs: The Movie ans Herz gelegt. Es ist der mit Abstand beste Film über William S. Burroughs – einzigartiger Ikonoklast literarischer Sprache und Form, Beat-Schriftsteller und Subjekt mehrerer Obszönitätsprozesse – und wurde von Howard Brookner gedreht, seinerseits der Porträtierte in Aaron Brookners Uncle Howard. Obschon einige Film- und TV-Autoren offenbar der Meinung sind, die Ansprüche an ein solches Porträt erschöpfen sich in einer Nachzeichnung des Lebens anhand einer Sammlung von Originaldokumenten sowie einigen pointierten Interviews mit dem Porträtierten und ihm nahestehenden Zeitgenossen, sollte die Kunst im Idealfall darin bestehen, etwas vom Wesen, vom Blick auf die Welt des Künstlers auf Zelluloid einzufangen – eine Aufgabe, die ein Mass an Einfühlungsvermögen und eigener künstlerischer Intuition verlangt, der nur wenige wirklich gewachsen scheinen.

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Mit jugendlichem Enthusiasmus und von allen Zeitzeugen nachgesagtem Charme gelang es dem damals 25-jährigen Howard Brookner, das Vertrauen des misstrauischen bis paranoiden, zeitlebens heroinsüchtigen Kultschriftstellers zu gewinnen und diesem mit der Kamera physisch und metaphorisch so nahe zu kommen, wie es zuvor kaum jemandem gelungen war. In 5-jähriger Arbeit stellte er ein Dokument her, das sowohl das von manisch-künstlerischer Energie geprägte New York der 80er, als auch die unvergleichliche Präsenz Burroughs’ nachhaltig auf Film zu verewigen vermochte. Howard Brookner wurde selbst Teil dieser Szene, und der Erfolg von Burroughs: The Movie sollte der Start einer vielversprechenden Filmkarriere sein. In der Folge drehte er zunächst ein weiteres Porträt über eine weitere Ikone der homosexuellen Szene, den Theaterregisseur Robert Wilson und dessen Inszenierung der 12-stündigen Oper «The Civil Wars»; daran anschliessend seinen ersten und letzten Spielfilm, mit Madonna in einer der Hauptrollen. Zu dieser Zeit war Howard bereits an Aids erkrankt, verzichtete jedoch auf eine potentiell lebensverlängernde AZT-Therapie, weil ihn diese zu viele seiner kognitiven und kreativen Kräfte geraubt hätte. Er starb noch vor der Uraufführung von Bloodhounds of Broadway, drei Tage vor seinem 35. Geburtstag.

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Uncle Howard ist, eine Metaebene höher, das Porträt des Porträtierers. Howards Neffe Aaron Brookner, zum Zeitpunkt von dessen Tod gerade 7-jährig und seitdem fasziniert von seinem Onkel und dessen illustrem Leben, hat in mühsamer und gleichzeitig erleuchtender Archivarbeit erst mit Hilfe von Crowdfunding Burroughs: The Movie restauriert und sich anschliessend daran gemacht, anhand einer buchstäblichen Schatzkammer von Archivmaterial, gelagert in Burroughs legendärem Kellerraum «The Bunker», ein weiteres Künstlerporträt zu schaffen. Entstanden ist ein einfühlsames und nahegehendes Dokument über das allzu früh abgebrochene Leben Howard Brookners, vielleicht mit einer ähnlichen Tendenz zur Hagiographie, die schon den ersten Film seines Onkels auszeichnete. Nebst der Eigenschaft als Zeitkapsel, die solche aus dem Archiv zusammengesetzten Dokumente immer mit sich tragen, stechen bei Uncle Howard insbesondere dessen Eigenschaften als mediale Erinnerungstechnologie ins Auge. Bewahrt wird nicht nur ein Milieu samt seinen verschwundenen Geo- und Biografien, die alle grösstenteils dem gewaltsamen Arm der Zeit zum Opfer gefallen sind, sondern auch das Wesen, der Duktus, dieser Erinnerung selbst.

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Jim Jarmusch, damals Tonmeister beim Burroughs-Film, hier als ausführender Produzent, Zeitzeuge und Interviewpartner präsent, steht einmal voller Ehrfurcht vor den sich türmenden 16mm-Filmkanistern, die im Bunker die Zeit überdauert haben, als schliefen in deren Innern nicht nur die wundersam konservierten Filmrollen, sondern auch die Geister der früheren Zeit. “William?” ruft er wie zur Sicherheit in den seit 20 Jahren unbewohnten Raum hinein – so spürbar ist dessen Präsenz im Raum immer noch, und so sichtbar wird sie auch in diesem Film, in den Zwischenräumen zwischen den Archivaufnahmen und den neuen Einstellungen von Aaron Brookner, die das Material umgeben und strukturieren. Ähnlich lassen sich vielleicht auch die verschiedenen Spuren auf dem im Film gezeigten Archivmaterial lesen – das Korn des 16mm-Films, die zerkratzten Schwarzfilm-Bänder, die digitalen Artefakte auf Howards Videobändern der späten 80er-Jahre, mit denen dieser sein Sterben dokumentierte. Das Rauschen der Bilder; der Drogenrausch, um den Burroughs’ wahnwitziges Leben immer kreiste; die rauschhafte Vergänglichkeit von Howard Brookners Leben und der von der Aids-Epidemie zu grossen Teilen dahingerafften New-Yorker-Künstlerszene der 80er-Jahre – all die Räusche scheinen sich in diesem Film irgendwie zu überlagern. Die Idee, dass Filmaufnahmen stets etwas Geisterhaftes in sich tragen, weil sie im Grunde eine verstorbene Zeit abbilden und diese spiritistisch-technologisch am Leben erhalten, ist keine neue. Selten hat sie sich jedoch so prägnant aufgedrängt, wie in diesem Film.

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