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Kindermachen 15

Kinder machen

Der Dokumentarfilm von Barbara Burger lässt uns in eine faszinierende Welt blicken und die Begeisterung darüber nachvollziehen, was neue Technologien ermöglichen können. Auf der anderen Seite wirft der Film ohne zu moralisieren elementare Fragen auf, die zu beantworten noch niemand im Stande ist.

Text: Tereza Fischer / 10. Nov. 2017

Weisser Nebel kriecht aus einer halboffenen Tür in einen leeren Gang, während ein nicht identifizierbares Rauschen zu hören ist. Das Bild könnte aus einem Science-Fiction-Film stammen, es gehört jedoch ganz in unsere Wirklichkeit. In Kinder machen von Barbara Burger, in dem es um die heutige Fortpflanzungstechnologie geht, mutet gleichwohl vieles futuristisch an. In China gehört künstliche Befruchtung etwa schon zum Lifestyle. Bei uns verbreitet sich das sogenannte Social Freezing rasch. Auch gesunden jungen Frauen soll damit ermöglicht werden, ihre noch gesunden, «frischen» Eizellen für später einzufrieren, um erst nach einer erfolgreichen Karriere im fortgeschrittenen Alter Kinder zu haben.

In der Schweiz wird aber immer noch vor allem jenen Paaren der Kinderwunsch erfüllt, bei denen der natürliche Weg nicht zum Ziel führt. Es soll jedes sechste Paar betroffen sein. Früh in diesem differenziert argumentierenden Dokumentarfilm wird der Wunsch, Kinder zu haben, als menschliches Grundbedürfnis beschrieben und die ausbleibende Wunscherfüllung für die Frauen als eigentlich unzumutbar. Vor diesem Hintergrund scheint Burgers Entscheidung, nicht die Betroffenen zu ihrem Thema zu machen und sie beinahe ganz aussen vor zu lassen, sehr weise. Sie begibt sich stattdessen in die Welt jener, die sich ganz um die Wunscherfüllung kümmern: die Fortpflanzungsmediziner_innen.

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Obwohl Elisabeth Berger in Bern und Jörg Puchta in München schon viel in ihren Praxen erlebt haben und Puchta den Betrieb gar mit einer Fabrik vergleicht, fehlt es den beiden nicht an sympathischer Wärme und grosser Anteilnahme am Schicksal ihrer Patient_innen. Die Freude über gelungene Behandlungen wirkt überzeugend. Vor allem Berger kann warmherzig von den ganz unterschiedlichen Wünschen der Betroffenen berichten und die Nöte nachvollziehbar machen, ohne unnötig zu emotionalisieren.

Der Film oszilliert zwischen den hellen Praxisräumen und den abgedunkelten, sterilen IVF-Labors (In Vitro Fertilisation). In den Labors tut sich unter den Mikroskopen eine ganz andere Dimension auf und lässt uns in ein faszinierendes Universum eintauchen. Während die Embryologinnen mit unter dem Mikroskop monströs wirkenden Pipetten die entnommenen Eizellen mit Spermien befruchten, evozieren die Vorgänge durchaus somatische Emotionen. Man fiebert mit und hofft auf eine erfolgreiche Befruchtung oder fürchtet um die Gesundheit des Embryos, wenn Proben für die pränatale Diagnostik entnommen werden. Das unromantische Kindermachen im Labor erscheint hier so gar nicht gefühllos. In den Bildern von Ueli Grossenbacher wirkt die sterile Umgebung weder kühl noch düster, sondern freundlich bis schön.

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Aus Einzelfällen und nur mikroskopisch beobachtbaren Vorgängen ergeben sich Fragen, die die gesamte Gesellschaft betreffen. Dieser organische Zusammenhang des Einzelnen mit dem Ganzen erhebt Burger zur Struktur ihres Films. So pendelt der Film produktiv zwischen Mikro- und Makroperspektive. Burgers zurückhaltender Off-Kommentar wirkt dabei angenehm authentisch, wenn sie etwa Ihre Bedenken am Social Freezing formuliert. Jörg Puchtas Begeisterung für die Möglichkeit, jungen Frauen Eizellen entnehmen zu können, «sie auf eine Zeitreise mitzunehmen», konfrontiert Burger mit den kritischen Fragen des Deutschen Ethikrates, der Puchta an seine Jahrestagung eingeladen hat.

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Immer wieder diskutiert Elisabeth Berger mögliche Folgen für die Individuen oder für die Gesellschaft mit ihrer Kollegin, Corinna Quantius. Das wirkt aufrichtig und nicht belehrend. Sie führen uns auch durch die riesige internationale Fortpflanzungsmesse, wo ihnen so manche Erfindung abstrus erscheint.

Auch der Physiker Klaus Rink stellt dort seine Lasertechnologien vor, mit denen die pränatale Diagnostik überhaupt erst möglich wird. Während sich daraus weitere gesellschaftspolitische Fragen ergeben, wirkt auf der anderen Seite Rinks Begeisterung für seine Erfindungen ansteckend. Er reist um die Welt, um die Mediziner_innen zu schulen, wie sie mit dem Laser für das Embryo möglichst schonend Proben entnehmen können. Aus den Reaktionen des Messepublikums erhält man eine Ahnung davon, wie vorsichtig und restriktiv diese Technologie in der Schweiz angewendet wird. In Zypern beispielsweise gibt es keinerlei gesetzlichen Restriktionen, sodass auch die Wünsche nach einem bestimmten Geschlecht verwirklicht werden. Dass es ihnen indes darum geht, den Kinderwunsch zu erfüllen und nicht Wunschkinder zu basteln, betonen sowohl Berger als auch Puchta.

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Kinder machen lässt uns in eine faszinierende Welt blicken und die Begeisterung darüber nachvollziehen, was neue Technologien ermöglichen können. Auf der anderen Seite wirft der Film ohne zu moralisieren elementare Fragen auf, die zu beantworten noch niemand im Stande ist: Welche Folgen hat die künstliche Befruchtung auf die Gesundheit der Kinder? Ist ein fünf Tage altes Zellgebilde schon Leben? Welche Auswirkungen hat die pränatale Diagnostik auf die Zusammensetzung unserer Gesellschaft? Auf das Verhältnis von Frauen und Männern? Auf den Umgang mit Behinderten? Werden in Zukunft alle Kinder im Labor gemacht?

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