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Tehran Taboo

Gerade dank der scheinbaren Verfremdung des Animationsfilms gelingt Ali Soozandeh ein realistisches Bild des alltäglichen Lebens im Iran, das geprägt ist von Dogmen und Doppelmoral.

Text: Doris Senn / 13. Nov. 2017

Der Iran ist kein liberales Land. Die Unfreiheit hat System – nicht zuletzt im Filmbereich: Regisseure wie Jafar Panahi werden mit jahrzehntelangen Reise- und Berufsverboten belegt, andere wie Mohsen ­Makhmalbaf oder Marjane Satrapi leben im Exil. Der 46-jährige Regisseur von Tehran Taboo, Ali Soozandeh, war neun, als die Islamische Republik ausgerufen wurde; mit 25 emigrierte er nach Deutschland. Sein Debütfilm nun zeichnet ein selten konzises Bild des heutigen Iran und zeigt eindrücklich, was es insbesondere für Frauen heisst, in einem Staat zu leben, in dem das Patriarchat nicht nur in der Gesellschaft, sondern auch im Regierungssystem verankert ist. Im Zentrum von Tehran Taboo stehen Pari und ihr kleiner Sohn Elias. Ihr Mann sitzt wegen Drogenkonsums im Gefängnis. Ohne seine Einwilligung kann sie sich nicht scheiden lassen, und Alimente zahlt er nicht. So schlägt sie sich mit Gelegenheitsprostitution durch – Elias im Schlepptau. Ein Richter, von dessen Gnaden Pari abhängt, verspricht ihr, das Scheidungsdokument zu unterschreiben, wenn sie seine Mätresse wird. So kommt Pari immerhin vorerst zu einer Wohnung in einem Haus, wo sie Sara kennenlernt, die mit Mann und Schwiegereltern zusammenwohnt. Während diese aber nur darauf warten, dass Sara endlich ein Kind zur Welt bringt, würde sie gerne arbeiten gehen. Der Musiker Babak wiederum, ein weiterer Nachbar, wird überall abgeblockt, weil seine Kompositionen nicht der iranischen Kultur entsprechen (man erinnere sich an [art:raving-iran Raving Iran]). Und dann muss er auch noch Geld auftreiben, weil er an einem Partyabend Sex mit einer jungen Frau hatte und nun für die Wiederherstellung ihrer Jungfräulichkeit zahlen muss.

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Tehran Taboo zeigt den gelinde gesagt problematischen Alltag im Iran anhand der unterschiedlichen Leben seiner Figuren, die alle unter der Repression des religiös-diktatorischen Regimes zu ersticken drohen. Insbesondere Frauen werden dabei wie Menschen zweiter Klasse behandelt: Für alles braucht es die schriftliche Einwilligung ihrer männlichen Angehörigen – für die Abtreibung, die Scheidung, die Einschulung der Kinder, den Job. Sie sind schutzlos der Willkür der Männer ausgeliefert. Tehran Taboo zeigt aber auch subtil und anschaulich die haarsträubende Doppelmoral einer Gesellschaft, die vordergründig nach strengem Sittenkodex funktioniert und in der die Sexualität das grosse Tabu ist. Für die Männer aber lässt sie alle möglichen Schlupflöcher offen, um die Dekrete zu umgehen, auf deren Einhaltung sie lauthals pochen, damit sie ihre Töchter, Schwestern und Frauen kontrollieren und züchtigen können. So werden – obwohl eindeutig die Frauen die grossen Opfer des Systems sind – die Täter ebenfalls wieder zu Opfern: Der Denunziation ausgeliefert, sind sie Profiteure und Leidtragende gleichermassen einer Doktrin, die Korruption und Erpressung fördert und duldet. Wer sich nicht anpasst, dem bleiben als Flucht nur Drogen, die Emigration oder der Tod.

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Ali Soozandeh, der in Deutschland seine Kunst- und Filmausbildung absolvierte, hat sich auf Animation spezialisiert und Tehran Taboo als rotoskopierten Animationsfilm geschaffen – ein Verfahren, bei dem das gefilmte Spiel der Darsteller nachträglich in Zeichnungen übersetzt wird und das insbesondere mit Ari Folmans Waltz with Bashir für Furore gesorgt hat. Das Drehbuch beruht auf eigenen Erfahrungen und Recherchen. Die Entscheidung für den Animationsfilm, der in 13 Monaten entstand, fiel nicht zuletzt deshalb, weil es unmöglich war, ein so pointiert gesellschaftskritisches Drama im Iran selbst zu drehen. In der Animation konnte Soozandeh die Figuren und die Handlung vor einem Greenscreen aufnehmen, um sie dann mit dem Hintergrund, der Stadtkulisse, den Strassenzügen Teherans in einer Mischung aus 3-D-Animation und gezeichneten Bildern zu kombinieren. Die äusserst sorgfältig komponierte und einnehmende Übertragung präsentiert sich in einem Comicstil, der die Atmosphäre der Stadt realitätsgetreu und doch auch mit spürbarer Liebe für die Stadt und deren Bewohner einzufangen versteht. Nicht ohne gleichzeitig eine entlarvende Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse und des Alltagslebens im Iran zu liefern.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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