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Anna Karenina (Vronsky’s Story)

Diese Adaption von Leo Tolstois «Anna Karenina» rückt ins Zentrum, was in anderen Verfilmungen wenig Beachtung fand. Es entsteht Monumentalkino in beeindruckend opulenten, wenn auch wenig kritischen Bildern.

Text: Stefan Volk / 18. Dez. 2017

Leo Tolstois «Anna Karenina» zählt neben Flauberts «Madame Bovary» und Fontanes «Effi Briest» zu den grossen Ehebruchromanen des 19. Jahrhunderts. Im Zentrum dieser gesellschaftskritischen Werke stehtjeweils, die Titel verraten es schon, die Ehegattin, die einer Institution entflieht, die ihr keine Freiheit lässt, kein Glück verspricht und keine Perspektive bietet. Es verwundert daher schon sehr, wenn nun im Zuge einer Neuverfilmung von Tolstois Klassiker Kritik laut wird, das «konservative» Frauen- und Fami­lienbild Anna Kareninas füge sich geschmeidig in die derzeitige russische Kulturpolitik.Erklären lässt sich dies allenfalls mit der Person des Regisseurs, der sich dazu entschloss, den unzähligen «Anna Karenina»-Adaptionen noch eine weitere hinzuzufügen. Karen Schachnasarow ist Putin-Anhänger und einer der mächtigsten Männer in der russischen Filmindustrie. Er leitet mit Mosfilm das grösste Filmstudio Russlands. Zwei seiner Filme, Ward No. 6 und White Tiger, wurden von Russland für den Auslands-Oscar vorgeschlagen. Die Annexion der Krim hat er ausdrücklich begrüsst, seine Anna Karenina unter anderem an dortigen Schauplätzen gedreht. Es ist also eine heikle Gemengelage, in der die prestigeträchtige Produktion entstand, die in Russland in einer längeren Fassung auch als Fernsehminiserie ausgestrahlt wurde. Eine cineastische Bewertung fällt da nicht leicht.

Tolstois 1878 veröffentlichter Roman handelt von der sinnlichen, lebenshungrigen Anna, die mit dem älteren, diensteifrigen Staatsmann Alexej Karenin verheiratet ist, den sie weder liebt noch achtet. Als sie zufällig dem jungen Grafen Wronski begegnet, ist es Liebe auf den ersten Blick. Anna opfert dieser übermächtigen Leidenschaft ihren Sohn und Wronski seine Karriere. Doch kaum leben sie als Paar zusammen, entfremden sie sich. Anna, die geächtete Ehebrecherin, klammert sich verzweifelt an Wronski. Ihre Liebe verwandelt sich in selbstmörderischen Wahn.

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Diesen Teil der Geschichte erzählen Schachnasarow und sein Koautor Jurij Poteenko eng der Vorlage entlang. Ausgewählte Dialoge übernehmen sie wörtlich. Dagegen kommt die parallel geschilderte, glückliche Liebesgeschichte zwischen dem Gutsbesitzer Lewin und der unschuldigen Kitty nicht vor. Vor allem jedoch verpuffen die vielfältigen gesellschaftlichen Zusammenhänge zu oberflächlichen, aber immerhin wunderschön funkelnden Kulissen. Für die Aufnahmen in den prächtigen Ballsälen verzichtete das Filmteam weitgehend auf künstliches Licht. Im warmen Flackern Hunderter Kerzen entstehen so schwelgerisch leuchtende Leinwandgemälde.
Grafen und Fürsten küssen aufgeputzten Prinzessinnen ihre gepuderten Händchen. Auf rauschenden Bällen werden vielsagende Blicke gewechselt, wird charmant geplaudert und gelästert, was das Zeug hält. Tolstoi beschreibt das mit sanfter Ironie so anschaulich, als stünde man mittendrin. Aber wie sich die Geschöpfe dieser Scheinwelt auch verstellen, beständig drängt ihre eigentliche Natur nach aussen. Beinah auf jeder Seite des biblisch dicken Schmökers wird jemand rot. Mal aus Ärger, mal vor Eifer oder Freude, meistens aus Scham. Bei Schachnasarow bleibt von diesen Passagen nur noch das opulente Setting.

Dafür aber hat er etwas anderes hinzuerfunden. Anna Karenina (Vronsky’s Story) verdankt seinen Untertitel einer Rahmengeschichte, die 1904 im russisch-japanischen Krieg angesiedelt ist. In einem Lazarett in der Mandschurai trifft Annas Sohn Sergei auf den verwundeten Wronski, den er als Feldarzt behandelt. Sergei möchte mehr über die Zeit erfahren, in der er seine Mutter für immer verlor. Wronski erzählt es ihm. Aus seiner Perspektive. Und mit weitreichenden Folgen für den Film. Die Ehe zwischen Anna und Karenin gerät in den Hintergrund. Karenin, im Buch ein Gefangener gesellschaftlicher Erwartungen, erscheint fast roboterhaft unmenschlich. Witali Kischtschenko verleiht ihm eine zum Frösteln monströse, einschüchternde, aber auch einsame Aura. Das ist grandios gespielt. Sonderlich vielschichtig und tiefgründig ist es nicht.

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Im Zentrum des Films steht die unglückselige Liebe zwischen Anna und Wronski. In Kombination mit der höfischen Glitzerwelt und umrahmt vom Kriegsgetümmel ergibt das einen Monumentalschinken in der Kinotradition von Gone with the Wind. Gut möglich, dass Putin an einer solchen russischen Grossproduktion seinen Gefallen findet. Das politische und gesellschaftskritische Potenzial seines Stoffs lässt Schachnasarow ungenutzt. «Die Beziehung zwischen Mann und Frau liegt im Mittelpunkt unseres Lebens», verbreitet er in seinem Statement zum Film, «alles andere – Politik, Kunst – ist sekundär.»

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Tolstois Roman wurde schon auf viele, oft sehr unterschiedliche Weisen gelesen. Thomas Mann etwa lobte einst den «animalischen» Naturalismus des Werks, nannte Anna eine «edle Stute» und ihren Liebhaber einen «schönen, starken Hengst». Schachnasarow fügt dem nun seine eigene Sicht hinzu. Und das immerhin frei von nationalistischen Untertönen. Auch vermeidet er es, die unkonventionelle Titelheldin in ein reaktio­näres Rollenbild zu pressen. Jelisaweta Bojarskaja, die gemeinsam mit ihrem Ehemann Maxim Matwejew das Liebespaar überzeugend verkörpert, verströmt mit ihrer eher unterkühlten Ausstrahlung zwar nicht dieselbe Sinnlichkeit wie die Anna des Romans, aber auch die Film-Anna geht letztlich daran zugrunde, dass sie nicht in der Lage ist, wider ihre eigene Natur zu handeln. Sie scheitert am Versuch, in einer auf Heuchelei und Doppelmoral aufgebauten Gesellschaft wahrhaftig zu lieben. Und sie scheitert auch als Frau an der Männerwelt. In Schachnasarows Adaption sieht man Anna Karenina viele Tränen darüber vergiessen. Ständig muss sie weinen, hat sie feuchte Augen. Und doch offenbart sich darin keine Schwäche. Sie hält den Rücken gerade, den Kopf hoch. Voller Trotz und Stolz. Eine durchaus angemessene Übersetzung von Tolstois Erröten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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