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Mit der Verfilmung von Shūsaku Endōs Roman hat sich Scorsese einen Herzenswunsch erfüllt. Es ist nicht sein bester Film geworden, aber sein persönlichster, und einer, in dem viele seiner früheren Werke zusammenfinden.

Text: Oswald Iten / 01. Mär. 2017

Als Shinoda Masahiro 1971 mit dem katholischen Autor Shūsaku Endō dessen historischen Roman «Silence» (1966) adaptierte, erklärte er dem japanischen Kinopublikum im Prolog, dass die Jesuiten nach der Reformation aus einer Krise des Katholizismus hervorgegangen und 1549 nach Japan gekommen sind. Weil mit ihnen herrschaftsgefährdende Vorstellungen und nicht zuletzt Feuerwaffen ins Land kamen, begannen die regierenden Shogūn, die Ausbreitung des Christentums mit Gewalt zu verhindern. Die eigentliche Handlung setzt 1639 ein, als zwei portugiesische Priester in Japan landen, um ihren Mentor, den angeblich «gefallenen Priester» Cristovão Ferreira, zu suchen. Im Gegensatz dazu lässt uns Martin Scorsese in Silence zuallererst mit ebendiesem Pater Ferreira die Folterung seiner Glaubensbrüder mitansehen und leitet dann nach Portugal über, von wo aus sich die Jesuiten Rodrigues und Garpe nach Japan aufmachen. Obwohl Scorsese der japanischen Reaktion auf den Imperialismus durchaus das nötige historische Verständnis entgegenbringt, werden in Silence nur jene sozio-ökonomischen Aspekte thematisiert, die für den jungen Protagonisten einsehbar sind. So lässt der Filmemacher sein Publikum, dessen Verständnis für christliche Traditionen vorausgesetzt werden kann, das feudale Japan konsequent mit den Augen der europäischen Figuren entdecken.

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Immer wieder tauchen Küsten, Felsen oder feudale Herrscher aus bewegten Nebelschwaden auf. Bisweilen verschwinden die einfachen Menschen gar im hohen Gras und werden erst aus der Vogelper­spektive sichtbar. In Rodrigo Prietos gemäldeartigen Cinemascope-Totalen, die immer wieder japanische Filmklassiker anklingen lassen, wird die von den Japanern verehrte (und in Taiwan gefilmte) Natur als ebenso schöne wie unerbittliche Kraft spürbar. Wo im Bild die grossen, grünen und trotzdem karg wirkenden Formen dominieren, macht die Tonspur die titelgebende Stille mit einer subtilen Orchestrierung von Naturgeräuschen hörbar. Diese vornehmlich aus Grillen, Wind und vereinzelten Trommelschlägen geschaffene musique concrète von Kathryn und Kim Allen Kluge übernimmt denn auch immer wieder gängige Filmmusikfunktionen, wenn etwa beim Sprung ins Wasser plötzlich ein dominantes Zirpen einsetzt.

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Inhaltlich fokussieren Scorsese und sein Koautor Jay Cocks ganz auf Rodrigues’ Hadern mit seinem einst so sicheren Glauben an einen Gott, der dem irdischen Leiden doch immer nur Stille entgegensetzt. Männer, die an ihrer eigenen Unzulänglichkeit leiden, beschäftigen den Regisseur seit den Tagen von Mean Streets (1973), wo es hiess: «You don’t make up for your sins in church. You do it in the streets.» Es erstaunt deshalb nicht, dass die Vergebung der Sünden auch in Silence im Zentrum steht. Nur ist es diesmal der Protagonist selbst, der den Sündern die Beichte abnimmt und dabei zunehmend in seiner Nächstenliebe geprüft wird. Immer wieder bittet ihn nämlich der getriebene Kichijiro um Vergebung. Der von Kubozuka Yosuke schakalhaft gespielte Opportunist mit den brennenden Mandelaugen entpuppt sich zudem als Judas-Figur, deren Handeln im Gegensatz zu Harvey Keitels standhaftem Judas in The Last Temptation of Christ (1988) keineswegs politisch, sondern von der eigenen Schwäche motiviert ist.

In Scorseses umstrittenem The Last Temptation of Christ musste sich Jesus als Mensch mit seiner eigenen Göttlichkeit und Fremdbestimmung zurechtfinden. In Silence hingegen stilisiert sich der Missionar Rodrigues zum Christus ähnlichen Erlöser jener versteckten Christen, die ihren von den Jesuiten eingepflanzten Glauben trotz drohender Todesstrafe praktizieren. Hier entwickelt sich auch die einzige emotional bewegende Beziehung des Films zwischen Rodrigues und dem älteren Gläubigen Mokichi. Aus dessen hingebungsvoller Selbstlosigkeit bezieht der Priester mehr Kraft, als er dem Todgeweihten zu geben vermag. Bevor Mokichi zum Märtyrer wird, schenkt er Rodrigues ein selbstgeschnitztes Kreuz, dessen Übergabe Scorsese mit einer Detailaufnahme der Hände und einer innigen Kopfberührung der ungleichen Glaubensbrüder inszeniert. Erst viel später wird klar, wie prägend dieser Moment für Rodrigues’ religiöse Selbstfindung war. Zuerst muss er jedoch zusehen, wie Mokichi und seine Gefährten öffentlich dem Glauben abschwören, indem sie auf ein Abbild Jesu treten und dann trotzdem am Strand gekreuzigt werden, wo sie von den Wellen des aufgewühlten Meeres über mehrere Tage qualvoll ertränkt werden. Dass Scorsese Mokichi mit dem von ihm bewunderten Regisseur Tsukamoto Shin’ya besetzt hat und dessen Schicksal viel näher verfolgt, als es aus Rodrigues’ Versteck möglich wäre, deutet darauf hin, wie wichtig ihm diese relativ frühe Szene ist, in der zum Ausdruck kommt, dass Silence die Stärke eines Menschen daran misst, wieviel Schmerz er für seine Überzeugung erdulden kann.

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Obwohl Rodrigues den Gläubigen erlaubt, zur Rettung ihres Lebens auf das Heiligenbild zu treten, gesteht er sich dies als Priester nicht zu, selbst wenn er damit Leben retten könnte. Indem er sich über seine Anhänger stellt, fühlt er sich Jesus paradoxerweise besonders nahe. Unmittelbar bevor ihn Kichijiro für Geld an den Fürsten Inoue verrät, überlagert sich Rodrigues’ Spiegelbild in einer Pfütze mit El Grecos Jesus-Bild, woraufhin der zerzauste Priester im Gegenlicht in irres Lachen ausbricht. Aus der für einen Jesuiten wichtigsten Beziehung zu Jesus scheint Narzissmus geworden zu sein. Von früheren Scorsese-Helden, die an ihren Ambitionen zerbrechen, unterscheidet sich Rodrigues vor allem durch das offene Gesicht und die sanfte Stimme, mit der er uns im Flüsterton an den einseitigen Gesprächen mit Jesus teilhaben lässt. Insofern ist die unerwartete Besetzung mit Andrew Garfield, der für diese Rolle die Ignatianischen Exerzitien durchlaufen hat, gut nachvollziehbar, zumal Scorsese dem Klang des Dialogs seit jeher aussergewöhnliche Aufmerksamkeit widmet. So spricht auch der Fürst Inoue, der sich mit dem Christentum deutlich besser auskennt als Rodrigues mit der japanischen Kultur, mehrheitlich Englisch. Hinter dem verzerrten Lächeln und Lispeln des gebrechlichen Inquisitors versteckt sich ein Taktiker mit Sinn fürs Theatralische. Ogata Issei verkörpert diesen japanischen Pontius Pilatus mit einer Präsenz, die sowohl an kultivierte Hollywoodnazis erinnert. Anders als der dogmatische Mao Zedong in Kundun, der dem Dalai Lama gegenüber alle Religion als Gift bezeichnet und mit seinen schwarzen Lackschuhen metaphorisch eine ganze Kultur zertrampelt, zermürbt Inoue den jungen Missionar mit Parabeln und weltanschaulichen Fragen, auf die der Glaube an eine universelle Wahrheit keine Antworten liefert.

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Inoues ebenso perfide wie erfolgreiche Methode zur Marginalisierung des Christentums liegt darin, dass er die Gläubigen nicht zu Märtyrern macht, sondern solange öffentlich foltert, bis die Priester aus Nächstenliebe Gott abschwören. So hält Inoue Rodrigues in einer käfigartigen Holzhütte im Hof gefangen, von wo aus dieser die Peinigung seiner ihn verehrenden Mit­gefangenen mit ansehen und -hören muss. Im Gegensatz zu Shinoda, der immer wieder mitten ins gewalttätige Geschehen schneidet, bleibt die Kamera in diesem Teil von Silence konsequent bei Rodrigues. Dabei wirken die vertikalen Latten des Käfigs wie die visuelle Umkehrung der dünnen Lichtstreifen im anfänglichen Versteck der beiden Priester.

Schliesslich wird Rodrigues endlich zu Pater Ferreira geführt, der unterdessen eine japanische Identität angenommen hat und dadurch erneut zu Rodrigues’ Mentor wird. Leider verblasst der stoische Liam Neeson gegenüber dem faszinierenden Inquisitor. Das ist deshalb schade, weil sich Scorsese offensichtlich besonders für diesen an Colonel Kurtz erinnernden kulturellen Grenzgänger interessiert. Dass die Sympathien des Filmemachers letztendlich trotz allem Rodrigues gelten, zeigt sich im visuell nüchternen Epilog, der anders als Shinodas Erstverfilmung davon berichtet, dass Rodrigues mit sich im Reinen sei und japanisch gelernt habe. Mit dem Erlöschen des inneren Feuers ist jedoch auch der mitfühlende Blick aus Garfields Gesicht verschwunden.

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Eigentlich böte der Gewissenskonflikt eines Kolonialisten, der nach bestem Wissen und Gewissen Gutes tun will, damit aber das Schicksal der bei ihm Hilfesuchenden von seiner Ignoranz und Eitelkeit abhängig macht, einiges an Spannungspotenzial. Trotz zusätzlicher Innensicht fällt die Identifikation mit Rodrigues nicht leichter als bei Shinoda. Der bewusste Verzicht auf den formalen Furor, mit dem Scorsese normalerweise die Distanz gegenüber seinen kontroversen Protagonisten überbrückt, lässt die offene Auseinandersetzung mit dem Glauben zu einem blutleeren intellektuellen Gottesdienst verkommen, dessen rituelle Variationen oft zu subtil sind, um sie ohne vorgängige Beschäftigung mit dem Thema zu verstehen. Über die differenzierten historischen und religiösen Ansichten des artikulierten Regisseurs erfährt man letztendlich mehr in den Interviews, die er seinem jesuitischen Berater James Martin gewährt hat.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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