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Le jeune Karl Marx

Marx und seine Theorien sind wieder aktuell. Dass ihm Raoul Peck ein Porträt widmet, erstaunt nicht. Doch dass er dabei Revoluzzerpathos mit behäbiger deutscher Literaturverfilmungsaura mischt, überrascht.

Text: Stefan Volk / 10. Mai 2017

Dieser Marx war schon eine coole Socke. Erst setzt er beim gemeinsamen Saufgelage Friedrich Engels schachmatt. Hinterher kotzt er jene These in den Rinnstein, die bis heute in goldenen Lettern über der Treppe der Berliner Humboldt-Universität prangt, nachdem sie auf Anordnung der SED 1953 dort angebracht wurde: «Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.»

Auch vielen Filmemachern, so scheint es, genügt es heute nicht mehr, Geschichten «nur» zu erzählen. Viel lieber möchten sie Geschichte schreiben. Lange allerdings muss man sich in Le jeune Karl Marx fragen, was Raoul Peck mit seiner filmischen Festschrift, die Marx als ein Jahrhundert-Kraftgenie hofiert, eigentlich bezweckt, ehe man mit dem Abspann endlich eine Ahnung davon erhält. Bob Dylan bringt im Off den Stein ins Rollen, während in Archivbildern ein Bogen von Marx über Che Guevara und Nelson Mandela bis zu heutigen Globalisierungskritikern gespannt wird. Der Film will uns also wohl zeigen, wie aktuell Marx und seine kapitalismuskritischen Thesen noch immer sind.

Was dabei aber herauskommt, ist ein anachro­nistisches Kuddelmuddel aus biederem Historien­drama und plakativ anbiedernder Propaganda. Dass am Ende suggeriert wird, Marx und Engels hätten mit ihrem «Manifest der Kommunistischen Partei» quasi im Alleingang die deutsche 1848er-Revolution ausgelöst und zugleich den Samen für alle sozialen Bewegungen gelegt, die da weltweit noch so folgten, als habe es französische und amerikanische Revolutionen gar nie gegeben, passt zu diesem Scheuklappen­heroismus. Aber auch sonst zeigt sich der Streifen auf enttäuschende Weise von einem Zeitgeist durchtränkt, der vor die Wahl zwischen «Polarisieren» und «Differenzieren» gestellt, sich stets fürs «Polarisieren» entscheidet.

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In einem Biopic wie Le jeune Karl Marx, das die inhaltlichen, philosophischen und politischen Debatten, Streitschriften und Theorien fast zwangsläufig auf Stichwortniveau herunterkochen muss, äussert sich das vor allem in der klischeehaften Figurenzeichnung. Der Bourgeois ist wie Engels’ Vater, der in Manchester eine Spinnerei betreibt, ein kaltherzig berechnender Unterdrücker. Mies und fies durch und durch. Die Gegenspieler erscheinen im Vergleich zum konzise, dialektisch denkenden Materialisten Marx allesamt als intellektuelle Leichtgewichte. Der sentimentale, selbstverliebte deutsche Schneider Wilhelm Weitling, den Marx und Engels mitsamt seinen Anhängern aus dem «Bund der Gerechten» drängen, um diesen in den «Bund der Kommunisten» umzutaufen. Der kaum weniger narzisstische französische Anarchist Pierre-Joseph Proudhon, den Marx im Film – anders als in Wirklichkeit – mit einer vernichtenden Replik kurzerhand von der historischen Bildfläche schreibt. Sie alle stolzieren und huschen und poltern als Karika­turen durch den Film. Eindeutig nicht ernst zu ­nehmen. Ebenbürtig sind sich in ihrer unvergleichlichen Männerfreundschaft einzig Marx und Engels, die sich mit süffisantem Lächeln (Marx) und grimmigem Blick (Engels) über ihre Gegner verächtlich machen. Es ist ein unsäglich viriles, stürmisch-drängerisches Duett, das untermalt von folkloristischen Flötenklängen auch mal in einer irritierend komödiantisch montierten Verfolgungsjagd die Polizei zum Narren hält. Im Beisein und Beischlaf mit ihren immerhin selbstbewusst und charismatisch gezeichneten Randfigurenfrauen erweisen sich diese zwei Mordskerle dann als zutiefst romantische Naturen.

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Was aber fast noch mehr stört als eine solch simple Schwarzweisskonfiguration, ist, dass Engels und vor allem Marx völlig aus der Zeit gefallen wirken. August Diehl schlappt durch die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts wie ein zottelbärtiger Hipster, der sich aus Jux einen hohen Hut aufgesetzt hat. Schrecklich lässig und cool-rebellisch schlägt er seine Zelte erst in Paris und dann in Brüssel auf; zwei Städte, die in der sepia-dumpfen Studiokulissenoptik der deutsch-französisch-belgischen Koproduktion nur mit Mühe auseinanderzuhalten sind. Marx’ Familienalltag streift der Film dabei ebenso oberflächlich wie seinen politisch-philosophischen Werdegang. Stets fehlt es an Geld, steckt Marx den Kopf in Bücher, kommt er am Ende doch irgendwie über die Runden; auch dank Engels’ Unterstützung. Als Lebemann, als Ehemann, als Vater und auch als radikaler Denker liefert Marx in diesem Biopic immer nur die passende Pose.

Auf besonders unglückselige Weise paart sich dieses halbseidene Revoluzzerpathos mit einer behäbigen deutschen Literaturverfilmungsaura. Es ist kaum zu glauben, dass ein international renommierter Regisseur wie Raoul Peck, der mit seinem letzten Spielfilm Meurtre à Pacot ein wunderbar vielschichtiges, facettenreich pulsierendes Drama inszenierte, einen derart steifen und provinziell-verstaubten Look aus der cineastischen Mottenkiste zieht.

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Nur in den allerersten Minuten deutet Le jeune Karl Marx ein Potenzial an, das über engstirniges Fernsehspielbetulichkeitsniveau hinausreicht. Erbärmlich verarmte, proletarische Kreaturen sammeln Holz im Wald, als plötzlich berittene Uniformierte heranpreschen, brutal auf die Männer, Frauen und Kinder eindreschen und einige der Ärmsten zu Tode prügeln. Aus dem Off hört man dazu Karl Marx, der diese jähe Kriminalisierung des Gewohnheitsrechts im dialektischen Duktus kommentiert: «Das Volk sieht die Strafe, aber es sieht nicht das Verbrechen, und weil es die Strafe sieht, wo kein Verbrechen ist, wird es schon darum kein Verbrechen sehen, wo die Strafe ist.» Es ist die einzige Stelle im gesamten Film, an der sozialhistorische Wirklichkeit und scharfsichtige Analyse eine Einheit bilden. Eine Synthese, die emotional aufwühlt und zum Nachdenken anregt. Danach verflüchtigt sich all das wieder. Auf der grossen Leinwand sieht der bemüht auf jung, im Sinne von modern, getrimmte Karl Marx dann nur noch fürchterlich altbacken aus.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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