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Hell or high water pine

Hell or High Water

Text: Philipp Brunner / 23. Aug. 2017

Irgendwo in Texas. Eine gottverlassene Gegend, in der die schiere Perspektivlosigkeit herrscht. Hie und da eine Tankstelle, ab und zu ein Kaff samt Diner und Bank. Am Strassenrand Plakate, die den schnellen Kredit versprechen. Gut geht es hier den wenigsten, und längst ist die Kargheit der Gegend ihren Bewohnern in Fleisch und Blut übergegangen: Niemand verliert auch nur eine Silbe zu viel. Wer dennoch spricht, tut es wie aus der Pistole, mit einer Direktheit, die bestenfalls entwaffnend ist und oft einen ironischen Unterton hat. Mag sein, dass der eine oder andere einen weichen Kern hat. Eine harte Schale haben sie alle.


Das gilt auch für die Brüder Tanner (Ben Foster) und Toby (Chris Pine), denen der Verlust der kleinen Familienranch droht, weil die örtliche Bank auf der Begleichung der Hypothekarzinsen beharrt. Während der Draufgänger Tanner eben aus dem Gefängnis entlassen wurde, hat sich der stille Toby einen raffinierten Coup ausgedacht: Gemeinsam rauben sie die Filialen ihrer eigenen Bank aus, waschen das erbeutete Geld im Casino und zahlen damit eben jenem Institut die Schulden zurück, dessen Ableger sie überfallen haben. Der Plan funktioniert zunächst, und man gönnt den Brüdern den anfänglichen Erfolg: weil sie auf sympathische Art unprofessionell vorgehen und sich im Grunde nicht bereichern, sondern nur Bedingungen erzwingen wollen, unter denen ein Leben in Würde wieder möglich ist. Doch es geht nicht lange gut. Denn der Ranger Hamilton (Jeff Bridges) heftet sich an ihre Fersen, ein alter Fuchs, der weiss, dass er nur Geduld haben muss: Irgendwann wird den Brüdern ein Fehler unterlaufen.

Obwohl Hell or High Water in der Gegenwart spielt, ist der Film des Schotten David Mackenzie in mehr als einer Hinsicht ein Western. Tanner und Toby sind Outlaws, die auf staubigen Strassen und in sengender Hitze dem Schicksal auf die Sprünge helfen wollen. Dass der Tonfall des Films so lakonisch wie melancholisch und sein Humor mehr als spröde ist, liegt einerseits am präzis zurückgenommenen Spiel eines Darstellerensembles, das bis in die Nebenrollen hervorragend besetzt ist. Andererseits ist es Giles Nuttgens zu verdanken, durch dessen Kamera die Landschaft zwar berückend schön erscheint, aber nie ihre Kargheit verliert oder zur grandios-romantischen Kulisse verkommt. Drehbuchautor Taylor Sheridan wiederum legt nach seinem Script zu Denis Villeneuves Sicario (2015) auch mit Hell or High Water eine Geschichte vor, deren unterkühlte Spannungskurve unmerklich, aber unaufhaltsam ansteigt, um am Ende in einem eigentlichen Anti-Showdown zu gipfeln.

Bei aller Lakonik ist Hell or High Water keineswegs gefühllos, er dosiert seine Emotionen einfach nur so sparsam wie effizient. In seinen berührendsten Momenten schimmert daher etwas durch, was weit über das Einzelschicksal der Brüder hinausgeht: eine Ahnung von lebenslanger Entbehrung und aufgestautem Frust, von Angst und Ausweglosigkeit. Und von einer ungebrochenen Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Das Verdienst dieses erstaunlichen Films liegt letztlich darin, dass er es überzeugend schafft, im althergebrachten Gewand des Western den Finger auf die sehr gegenwärtigen sozialen Wunden Amerikas zu legen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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