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Still porto

Porto

Text: Philipp Stadelmaier / 29. Aug. 2017

Porto ist der erste Spielfilm von Gabe Klinger, der auch Filmkritiker sowie Kurator ist. Sein erster Langfilm war Double Play (2013), ein Dokumentarfilm mit und über Richard Linklater und James Benning. Link­later wurde als Spielfilmregisseur bekannt, Benning als Avantgarde-Dokumentarfilmer. Hatte Klinger 2014 in Montréal eine Screening-Reihe zu Benning organisiert, so ist Porto nun vor allem von Linklater beeinflusst.


Der Film erzählt von der Liebe zwischen Mati und Jake. Sie eine französische Archäologin, er ein in Portugal gestrandeter amerikanischer Diplomatensohn, der sich mit Kleinjobs über Wasser hält. Der Film hat drei Kapitel: Jake, Mati und Jake & Mati, wobei wir im nicht linearen Verlauf der Erzählung erst nach und nach die einzelnen Teile zusammenfügen können. Grob gesagt, skizziert Klinger zunächst das Leben der beiden Figuren nach ihrer Trennung, während Flashbacks die Erinnerung an das eigentliche Ereignis des Films andeuten, das er im letzten und längsten Teil des Films auslegen wird: eine zufällige Begegnung, eine einzige gemeinsam verbrachte Liebesnacht in Porto.
Der Linklater-Touch – man denkt natürlich an die Begegnung von Ethan Hawke und July Delpy in Before Sunrise und Before Sunset – liegt darin, dass sich Porto um diesen einzigen Moment dreht, um diese erste und letzte gemeinsame Nacht. Sie ist durch die Struktur des Films immer schon Erinnerung. Zuerst wird diese Nacht in Flashbacks erinnert, weswegen sie später, wenn sie zur Gegenwart wird, schon ein melancholisches «Das wird es gewesen sein» in sich trägt. Wenn die beiden nebeneinander auf dem Bett liegen, machen sie sich klar, dass alles so passieren musste, wie es passierte; dass jeder schon weiss, was der andere sagen wird, bevor er es sagt. Als würde dieser Moment gerade in der Erinnerung noch einmal durchlebt, wiederholt.


Diese Nacht umfasst ein ganzes Leben. Vom wilden, jugendlichen Kopulieren gelangen sie beim Sonnenaufgang zum Händchenhalten im hohen Alter: «Let’s do it like a couple in their eighties.» Der Moment ist ephemer und reines Versprechen eines Glücks, das sie über diese Nacht hinaus nicht haben werden, er ist Anfang und Ende der grössten Liebe zweier Leben, die jenseits dieses Moments keine Bedeutung mehr hat. Man kann ihn nur in der Erinnerung ausdehnen. Daher die lange, ausgedehnte Kamerafahrt, in der Jake eine Bar betritt und dann mit Mati, die ein paar Tische entfernt sitzt, regelrecht verwoben wird. Sie nimmt ihn mit nach Hause und bittet ihn, Möbelkisten in ihr Appartement zu tragen, bevor sie miteinander schlafen. Auch hier filmt Klinger in einer langen Bewegung, wie Jake eine schwere Kiste schleppt. Eine wunderbare Weise, um zu zeigen, dass diese Erinnerung körperlich ist, also das Gewicht ihrer Körper hat oder einfach dieser Kiste. Dass dieses Gewicht eine zeitliche Ausdehnung bekommt, dass die beiden die ganze Nacht immer wieder Sex haben werden, dass die Kiste immer weiter getragen werden will. Und dass es eben diese Ausdehnung ist, die den Körpern erst ihr Gewicht verleiht: Der Moment und das Gewicht seiner Erinnerung entstehen eben nur durch die Kamera, durch die Mise en Scène, die sie ausdehnt.

Still porto 2

Der Zuschauer erinnert diese Liebesgeschichte beim Sehen, weil er sie schon tausendfach gesehen hat. Vor allem natürlich bei Linklater. Sie gehört weniger den beiden Hauptfiguren als dem Kino, da es nur das Kino ist, das sie bislang erzählt hat, da sie ausserhalb des Kinos nicht existieren konnte. Der Film erzählt kaum eine Geschichte, eher eine Zufälligkeit, eine intime Regung; inhaltlich schwerelos, gewichtig nur durch die filmische Form. Daher kann man sich, während man Porto sieht, durch seine eigenen filmischen Erinnerungen treiben lassen: an Jim Jarmusch, der hier ausführender Produzent ist, oder an An Affair to Remember von Leo McCarey (1957), auf die Klinger selbst als Vorbilder verwiesen hat. Anton Yelchins Darstellung als von der Liebe versehrter Amerikaner in Europa erinnert an Vincent Gallos Performance in Claire Denis’ Trouble Every Day (2001). Und Porto war schon der Schauplatz in Werner Schroeters letztem Film Nuit de chien von 2008, eine weitere romantische Geschichte einer Nacht, die in Porto so dunkel ist wie nirgendwo.
An all diese Filme aber erinnert Porto nicht explizit. Eher evoziert der Film eine Gedächtnisstimmung, in der man zu diesen oder anderen Assoziationen gelangen kann. Worin etwas von einer grundlegenden Ambivalenz liegt, die das Kino heute bestimmt. Porto ruft das Kino via Zelluloid auf, gedreht hat Klinger vor allem auf 35 mm und Super 8. Da sind einmal die weiträumigen 35-mm-Aufnahmen im Breitwandformat. In ihnen filmt Klinger die Zusammenkunft von Mati und Jake – in kunstvollen Kamerabewegungen, mit denen die schweren Apparate das Universum an einem Ort bündeln, einem unbedeutenden Moment Schwere und Ausdehnung geben. In Super 8 filmt Klinger das Ausein­anderdriften von Mati und Jake – in flüchtigen Handkamera-Miniaturen, in denen die unbeschwerten Bilder in Raum und Zeit auseinanderfliegen, gegen andere getauscht werden: Impressionen der Stadt, Möwen vor dem Himmel, Feuerzeuge, die sich in Händen drehen.


Porto erinnert also einerseits an den grossen Apparat des Kinos, an die Kunstform, in der manche Momente nur durchs Kino existieren; an die Mise en Scène, an bestimmte Filme und distinguierte Filmemacher, denen der Cinephile und Filmkritiker Klinger in seinem Debütfilm Reverenz erweist. Und gleichzeitig mahnt er, dass heute das Kino selbst nur noch unter all den anderen Bildern und Aufnahmen besteht, die überall zirkulieren, und von denen es sich mal absetzt, um sich alsbald wieder mit ihnen zu vermischen, sodass es sich nur für einen Moment versammeln kann, um dann wieder auseinanderzutreiben, wie Mati und Jake in dieser Nacht in Porto.
Das Gewicht einer Kunst ragt auf und gleitet dann zurück in die Volatilität der heutigen Bilder. Sie behauptet sich und weiss gleichzeitig, dass sie längst untrennbar geworden ist von allen anderen möglichen Bildern und intimen Erinnerungen in den Köpfen seiner Akteure und Zuschauer. Denkt es etwa an seine Toten, dann erinnert es zudem daran, dass diese auch, aber nicht nur Tote des Kinos sind. Im Abspann werden die 2015 gestorbenen Chantal Akerman und Manoel de Oliveira genannt. Zu ihnen hat sich auch der junge Hauptdarsteller Anton Yelchin gesellt, dem der Film gewidmet ist und der letztes Jahr tragischer- und absurderweise von seinem zurückrollenden Auto am Tor seiner Garageneinfahrt erdrückt wurde. Das Kino löst sich auf und erinnert an alles mögliche andere; aber dann ist es auch so, dass alles mögliche andere wiederum ans Kino erinnert.

Still porto

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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