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Demain/Tomorrow

Ein Puzzleteil fügt sich reibungslos ans andere, als letztes das Bild von Kindern, die fröhlich ins Wasser springen. Ist das, was der französische Dokumentarfilm Demain als Vision entwirft, zu schön, um wahr zu sein? Am Anfang steht die Prognose: Zusammenbruch unseres Ökosystems zwischen 2040 und 2100. Die Schauspielerin Mélanie Laurent und der französische Aktivist Cyril Dion machen sich, Lösungen zu suchen.

Text: Irène Unholz / 25. Apr. 2016

Ein Puzzleteil fügt sich reibungslos ans andere, als letztes das Bild von Kindern, die fröhlich ins Wasser springen. Ist das, was der französische Dokumentarfilm Demain als Vision entwirft, zu schön, um wahr zu sein? Der Anfang des Films lässt noch anderes vermuten. Zu schwarzer Leinwand tragen Stimmen Fakten vor, an die sich unsere Ohren schon derart gewöhnt haben, dass wir sie problemlos hinnehmen und verdrängen können. Dabei geht es um nichts Geringeres als um das Ende der Menschheit in naher Zukunft. Eine Professorin und ein Professor treten ins Bild und erläutern, es blieben noch zwanzig Jahre, um uns dagegen in Bewegung zu setzen. Sie beziehen sich auf eine Studie, die den wahrscheinlichen Zusammenbruch unseres Ökosystems zwischen 2040 und 2100 voraussagt. Dieser alarmierende Befund veranlasste die Schauspielerin Mélanie Laurent und den französischen Aktivisten Cyril Dion dazu, Demain zu drehen, einen Film, der Lösungen sucht.

Am Anfang ertönen düstere Klavierklänge und eine zarte Frauensingstimme, die eindringlich daran erinnert, was wir angerichtet haben und dass uns keine weitere Welt zur Verfügung stehe. Sie runden das erste schwarzmalerische Kapitel ab. Es wird das einzige dieser Art bleiben. Danach erklingt optimistisch stimmende Musik mit so mancher Songzeile, die sich als Weltverbesserungshymne eignen würde. Die Klänge von Singer-Songwriterin Fredrika Stahl dienen als Soundtrack für eine Reise, die in zahlreiche Länder zu Projekten führt, die verschiedene Möglichkeiten aufzeigen sollen, den Kurs noch rechtzeitig zu ändern.

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Dabei erscheinen Laurent und Dion immer wieder selber auf der Leinwand und beissen auch mal in einen Burger oder richten die Kamera in «Selfie»-Manier auf sich selbst. Diese «Follow me around»-Ästhetik, wie man sie von Youtube-Videos kennt, vermittelt nicht nur Nähe zum Zuschauer, sie signalisiert auch, wann er mal durchatmen darf. Denn über einen grossen Teil des Films reihen sich Fakten aneinander mit so vielen Zahlen, dass die Aufnahmefähigkeit zwischenzeitlich an ihre Grenzen stösst und einem leicht schwindlig wird. Der klaren Sicht auf das Gezeigte ist auch der punktuell etwas grosszügig verwendete Weichzeichner nicht dienlich, ob er nun als Stilelement oder zur Verschlimmbesserung einiger Aufnahmen von geringer Bildqualität eingesetzt wurde.

Für Halt und Orientierung sorgt dafür der klare Aufbau des Films. Eine krakelige Schrift dient nicht nur der Beschriftung der Kapitel und Ortschaften, sie weist auch auf Namen von Pflanzensorten hin. Durch Einsätze wie diesen und den liebevollen Blick weckt sie Assoziationen an Do-it-yourself»-Anleitungen und verstärkt die Aussage: Das kannst du auch. Zwar bietet der Film kein Rezept, wie Schritt für Schritt vorzugehen sei, doch die vielen konkreten Ideen bestärken darin.

Reisebilder aus dem Flugzeug, im Auto und zu Fuss unterteilen die inhaltlich aufeinander aufbauenden Kapitel. Die Filmemacher liessen sich dennoch nicht beirren, die starre Struktur wenn nötig aufzugeben und einen Schritt zurück zu einer der vorherigen Stationen zu gehen. So fügt sich der Film zu einer einleuchtenden Argumentation, bei der lediglich der Schluss einen Moment der Verwunderung hervorruft. Der letzte Satz «We can all change the world – tomorrow» wirkt wie ein Versuch, den Film mit einem Statement abzurunden. Warum aber erst morgen? Die ansonsten durchgehende Aufbruchsstimmung gerät hier einen Augenblick ins Stocken, was vom insgesamt äusserst aufrüttelnden, optimistisch stimmenden und motivierenden Gesamteindruck allerdings nicht wirklich ablenkt.

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Insgesamt ist der Film eine Freude fürs Auge. Die Illustration von Fakten und Zitaten meistern die Filmemacher auf vielfältige, oft visuell eindrückliche Weise. So dienen beispielsweise Bilder eines weitflächigen Waldbrands der Verbildlichung der Folgen einer fallen gelassenen brennenden Zigarette, die wegen der dominierenden Monokulturen ausreiche, um unser Ökosystem schwer zu schädigen. Dieses wiederum wurde kurz davor durch einen sattgrünen Wald evoziert. Dagegen erscheinen die einen Grossteil des Films ausmachenden Porträtaufnahmen der zahlreichen Protagonistinnen und Protagonisten angenehm schlicht. Sie alle erzählen von übersichtlichen und lokal umgesetzten Projekten. Eine Permakulturfarm, die pro Quadratmeter mehr Nahrung produziert als eine herkömmliche industrielle Farm, oder ein von der Schweizer WIR-Bank und inländischen Betrieben verwendetes Parallelwährungssystem sind nur zwei von vielen. Allen gemeinsam sind der ansteckende Optimismus und Tatendrang. Das erinnert zwischendurch an Werbespotphrasen. Die Message ist so positiv, dass sie bisweilen verdächtig erscheinen mag. Doch die Fakten und noch mehr die Anschauungsbeispiele machen es schwierig, fundiert etwas daran auszusetzen.

Irène Unholz ist 21 Jahre alt und studiert Medien- und Kommunikationswissenschaft, Kunstgeschichte und Psychologie an der Universität Fribourg. Sie ist die Gewinnerin des Filmkritikwettbewerbs, der von Filmbulletin im Rahmen des Ateliers Filmkrititk der Schweizer Jugendfilmtage ausgeschrieben wurde.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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