«Es sind die allerersten Worte, die er spricht. Und entsprechend bedeutsam. «Let’s fall in», sagt Pike Bishop in The Wild Bunch (1969), wenn er im staubigen Städtchen vom Pferd steigt und sich mit seinen Soldaten auf den Weg ins Büro der Eisenbahn auf der anderen Strassenseite macht. Es ist eine Vorrede zum Exzess. Noch ahnt der Zuschauer nur vage das Massaker, das sich gleich entfesseln wird, spürt erst, wie heftig die sich entspinnende Geschichte abweicht von dem, was bis anhin im Western gegolten hat. Alles ist anders: Die Kinder, die man noch während des Vorspanns am Eingang des Städtchens spielen sah, sind nicht unschuldig. Sie lassen in einem Korb Ameisen auf einen Skorpion los und lachen über die Aussichtslosigkeit dieses Zweikampfs. Später, wenn das Spiel langweilig geworden ist, werden sie Stroh auf das Gerangel legen und alles anzünden: Sinnbild jener grausig absurden Welt, in der wir uns hier befinden. Die Zeit ehrenvoller Duelle ist vorbei. Gekämpft wird hinterhältig und ohne Sinn, und alle gehen dabei drauf. Das grosse Spiel des Westerns, wie es Raymond Bellour in Bezug auf Anthony Mann genannt hat, kennt keine Gewinner mehr. (...) Hat man schockiert begriffen, wie anders hier alles läuft, wird man nachträglich auch in den Worten des Anführers unweigerlich deren Gegenstück heraushören: Wenn Pike sagt «Let’s fall in», heisst das zugleich auch «Let’s fall out». Wir brechen ein, wir stürzen ab.
Fall out – so müsste die Losung lauten, nicht nur dieses Films, sondern des ganzen Œuvres von Sam Peckinpah. Eine Losung, die gerade in ihrer Mehrdeutigkeit so treffend ist. So bedeutet «fall out» im Englischen nicht nur wörtlich «herausfallen», sondern meint zugleich auch die Entzweiung, den Kampf. «To fall out with someone», sagt man, wenn zwei gewaltsam aneinandergeraten. Und schliesslich wird mit Fall-out auch der gefährliche Abfall bezeichnet, der radioaktive Staub, der zurückbleibt, nachdem die Bombe explodiert ist. Fall-out, das ist die verbrannte Erde, der Überrest, der Schaden, der zurückbleibt. All diese semantischen Felder hat Peckinpah mit seinen Filmen kartografiert. Fall out – das war bei Peckinpah Thema, Vermächtnis und Arbeitsprinzip zugleich, der auch selber immer mit allen aneinandergeriet und berüchtigt war für seine Ausfälligkeiten gegenüber den Produzenten und Studiobossen wie auch seinen Schauspielern und Crew-Mitgliedern.
Peckinpah ist von allem Anfang an ein Aussenseiter, einer, der herausfällt aus dem System. Er beginnt genau in dem historischen Moment Kino zu machen, als das alte Hollywood endgültig im Untergang begriffen ist. Nicht zuletzt Peckinpahs The Wild Bunch gilt neben Arthur Penns Bonnie and Clyde (1967) als jenes filmhistorische Ereignis, das Ende der sechziger Jahre das Schicksal des alten Hollywood endgültig besiegelte. Im Kugelhagel dieses gewalttätigen Films, das haben die Zuschauer gleich gemerkt, ging eine ganze Tradition des Filmemachens vor die Hunde. Allerdings gehört Peckinpah auch nicht zum intellektuellen Kreis jener Filmstudenten, die in den siebziger Jahren New Hollywood prägen werden. Mögen sich auch Martin Scorsese und Francis Ford Coppola, Paul Schrader oder John Milius noch so sehr auf ihn berufen, Peckinpah ist keiner von ihnen. Er fällt ins Dazwischen. Wenn auf dem Schild an jener Brücke in The Wild Bunch, über die die Gang von Amerika nach Mexiko reitet, «bridge unsafe» steht, ist damit auch Peckinpahs eigene problematische Position in der Filmgeschichte beschrieben: Sein Brückenschlag ist gefährlich und fragil. Er fällt unweigerlich hinaus, zwischen die Positionen, und ist ohne festen Platz, weder im alten noch im neuen Hollywood, er scheint geradezu verdammt, Regisseur des Übergangs und der Überschreitung zu werden.»
Auszug aus «Fall out: zum Kino von Sam Peckinpah», Johannes Binotto in Filmbulletin 5.15
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