Als «Navigationssystem, das die Leute durch die weite Welt des Kurzfilms» führt, bezeichnet John Canciani, künstlerischer Leiter der Kurzfilmtage Winterthur, im Gespräch mit Susie Trenka sein Festival. (Das Interview erscheint am 2. November in Filmbulletin 7.16.)
Von der Bandbreite des Kurzfilms an Genres, Formen und technischen Formaten zeugt denn auch die diesjährige zwanzigste Ausgabe. Das Jubiläum wird mit einem CinéConcert in Zusammenarbeit mit dem Musikkollegium Winterthur gefeiert: Präsentiert werden historische Filme zur Technik und Innovation der Eisenbahn bzw. der «Fascination ferrique», live orchestriert mit Musik aus dem Archiv von Reto Parolari, Kollegiumsdirigent und Spezialist für historische Unterhaltungsmusik.
Der «grossen Fokus» richtet den Blick auf die «nordischen Länder» Schweden, Norwegen, Dänemark, Island und Finnland. Sie gelten als besonders fortschrittlich (Sozialstaat, Gleichberechtigung, Lebensqualität) und sind bekannt für ihre innovativen Filmwunder (vielkopierte TV-Serien, Autorenfilme, Nordic Noir, Dogma95). Was sie im Bereich Kurzfilm zu bieten haben, lässt sich in neun Fokusprogrammen entdecken, die gleichzeitig deutlich machen, dass so etwas wie ein (einheitliches) «nordisches Erfolgsmodells» nicht existiert, die Realität ist viel differenzierter.
Einen geopolitisch hochaktuellen Akzent setzt das Programm «Land im Fokus» mit der Wahl Kolumbiens, dessen jüngste Entwicklung – Friedensinitiative, verbesserte Sicherheit und Wirtschaftsentwicklung – zusammen mit neuen Ausbildungsstätten ein günstiges Umfeld für die Filmindustrie geschaffen haben. Der dreiteilige Schwerpunkt präsentiert dokumentarische und fiktionale Filme unterschiedlicher Genres, die mit neuen narrativen Dynamiken und ästhetischen Zugängen arbeiten und sie den dominanten Diskursen der gesellschaftlichen und politischen Realität des Landes gegenüberstellen.
Als «Person im Fokus» ist dieses Jahr die portugiesische Künstlerin und Filmemacherin Salomé Lamas eingeladen, die in ihren experimentellen Arbeiten die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion ebenso auslotet wie sie mit den Erwartungshaltungen der Zuschauer arbeitet. Ihr sind zwei Programme gewidmet, sie hält zudem eine Masterclass.
Neben diesen Hauptsektionen und den Wettbewerben befasst sich ein zweiteiliges Programm unter dem Titel «Post Internet» mit unserem Verhältnis zum Internet: Wie beeinflusst es unsere Identität, welchen Effekt hat es auf künstlerische Auseinandersetzungen und auf das Weltgeschehen? In die audiovisuelle Vergangenheit eintauchen lassen uns zwei weitere Schwerpunkte: «Early Black Jazz Shorts» (1929–1935) präsentiert mit ausgewählten «musical shorts» einige der frühsten filmischen Erzeugnisse aus Hollywood, in denen sich Afroamerikaner nicht mehr nur mit Statisten- oder Dienerrollen begnügen mussten, sondern sich als Musik- und Tanzstars eine Nische in der von Weissen dominierten Filmindustrie erobern konnten. Ausserdem kommt den Kurzfilmtagen die Ehre zu, die erste Etappe eines gross angelegten Archivierungsprojekts des Schweizerischen Bundesarchivs und der Cinémathèque suisse zu präsentieren. Es heisst «Die ‚offizielle Schweiz’ im Kurzformat» und hat die sukzessive Online-Veröffentlichung der Schweizer Filmwochenschau (1940–1975) zum Ziel (auf www.memobase.ch und www.swiss-archives.ch). Die Kurzfilmtage öffnen das Wochenschaufenster auf markante Ereignisse des Jahres 1956.
Gefällt dir Filmbulletin? Unser Onlineauftritt ist bis jetzt kostenlos für alle verfügbar. Das ist nicht selbstverständlich. Deine Spende hilft uns, egal ob gross oder klein!