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Der himmel ueber berlin

Bruno Ganz: «In den nächsten zwei Stunden macht Henri Licht»

Ganz meint, es sei für einen Schauspieler sehr, sehr anstrengend, mit einem Kameramann wie Alekan zu arbeiten. «Berücksichtigt man aber, was dabei entsteht, ist es dennoch gerechtfertigt mitzuwirken.»

Text: Walt R. Vian / 01. Okt. 1987

War es eine gute Erfahrung für Sie als Schauspieler, mit einem so berühmten Kameramann wie Henri Alekan zu arbeiten?

Zunächst sehr rüde: Es war äusserst mühsam, weil man enorm lang warten muss, bis das Licht eingerichtet ist. Man steht da und wartet, kann gehen und wartet noch einmal eine Stunde, kommt wieder für «letzte» Korrekturen – und wartet. Es erfolgt eine Probe, und jetzt korrigiert Alekan noch einmal: also es dauert wahnsinnig lang. Zwar gab es für alle tragenden Rollen Lichtdoubles, denn für den ersten Aufbau des Lichts kann sich auch ein anderer mit ähnlichen Kleidern in Position stellen. Aber für die Feinabstimmung muss man sich dann eben doch noch selber hinstellen. Es ist für einen Schauspieler sehr, sehr anstrengend, mit einem Kameramann wie Alekan zu arbeiten. Berücksichtigt man aber, was dabei entsteht, ist es dennoch gerechtfertigt mitzuwirken. Wir haben uns in der Vorbereitung gemeinsam La belle et la bête angesehen. Dabei habe ich begriffen, was der Mann für ein Format hat. Ich habe auch seine Filmografie durchgesehen: Alekan ist der absolute Spitzenexperte für schwarzweiss. Als wir in der ersten Woche im Zirkus drehten, habe ich dann einfach so zugeschaut: Alekan arbeitet mit einem Assistenten, der genauso alt ist wie er, und zunächst einmal ist man einfach unglaublich gerührt über den Anblick dieser beiden alten Herren. Wie die da in der Zirkusarena herumstehen mit ihren Apparaten – der Assistent hat so ein Holzkästchen in den Händen, wie ein Heiligtum herumgetragen, und Alekan einen modern aussehenden Apparat, von dem sich aber herausstellte, dass er ihn selbst erfunden hatte, damals als er nach Hollywood ging – und wie sie ganz leise miteinander diskutieren, was sie da messen – da kann man stundenlang zusehen, das ist wunderbar. Da hat man das Gefühl, dass die Filmgeschichte wenigstens einen Sinn hat – ein fortschreitendes künstlerisches Ereignis ist, das immer weitergestrickt wird, und Leute, die schon ganz früh dabei waren, jetzt noch einmal etwas Wichtiges tun. Alekan hatte jetzt aber auch ungeheure Möglichkeiten: von der Zeit her, auch wenn ihm das geringste Detail missfallen hat, wenn sich bei der Aufnahme etwas verschoben hat, wenn Henri eben doch auch einen Fehler gemacht oder zuviel riskiert hat, dann wurde das nachgedreht. Das war gar keine Frage – da war Wim enorm grosszügig. Wenn Wim schon damals bei Der amerikanische Freund dem Kameramann Robby Müller unendlich viel Zeit gelassen hat, auch Aufnahmen auf sein finanzielles Risiko nachdrehen liess: jetzt bei Alekan hat sich das noch gesteigert.

Abgesehen von den langen Wartezeiten, wie war die Arbeit mit Alekan im Vergleich zu anderen Kameramännern?

Da sind mir andere Kameramänner lieber, weil man stärker das Gefühl hat, am Herstellen eines Films beteiligt zu sein. Bei Alekan wartet man, und wartet, hält die Nase hin fürs Licht, aber beteiligt ist der Schauspieler nur im Augenblick, in dem gedreht wird. Da arbeite ich lieber etwa mit Robby, weil man mit ihm auch über Einstellungen diskutieren kann und diese Auseinandersetzung nicht nur zwischen Wim und mir stattfindet. Alekan scheint sich das überhaupt nicht gewohnt, da gibt es keine Diskussionen mit den Schauspielern.

War wenigstens Alekans Lichtführung überzeugend?

Das hingegen ist einfach unglaublich. Schwarz ist schwarz und weiss ist weiss, aber dazwischen gibt es unendliche Nuancen – wenn man 2000 Lämpchen hat, kann man auch 2000 Grautöne herstellen. Und genau das macht Alekan auch. Da ist er einfach grandios. Wenn man ihm Zeit gibt, stellt er lieber noch einmal eine Lampe mehr hin, als dass er eine wegnimmt. Ich kann das technisch zwar nicht erklären, aber das Licht war im Aufbau immer ähnlich: Ganz starke Lichter von aussen – sagen wir mal auf so ein Fenster-, mit viel Papier abgedeckt, damit das Licht milchig wird; innen ein einfaches Grundlicht, aber unzählige, kleine Lämpchen mit ganz schmalem, präzise gerichtetem Licht, nur fingerdick und zum Teil noch abgedeckt, so dass es irrsinnig differenzierte Zeichnungen gab: alle drei Zentimeter verändert sich der Grauwert und dadurch bekommt die Einstellung einen Sog, wird beinahe magisch. Bei Aussenaufnahmen konnte er natürlich nicht ganz soviel Licht machen, aber in sehr engen Räumen kam es vor, dass er sogar drei Stunden Licht eingerichtet hat. Dieser Zirkuswagen der Trapezkünstlerin, die der Engel besucht, war im Studio aufgebaut. Obwohl die Wände entfernt werden konnten, war es in diesen Szenen sehr eng, aber da war Henri in seinem Element: je enger es war, um so mehr kleine Lichter hat er eingesetzt.

Das war in einem Berliner Studio?

Der Film wurde vollständig in Berlin gedreht, im Studio und draussen, zum Teil auch in Innenräumen, die nicht im Studio nachgebaut wurden – wie dieser Bunker. Der kann nicht gesprengt werden, weil die Mauern zu dick sind. Bei einer Sprengung würden in diesem Stadtteil etwa dreissig Häuser zerstört, deshalb bleibt er stehen, und es wird darüber gebaut. In die Dekken, die weniger dick sind, wurden aber riesige Löcher gesprengt. Als wir im vierten Stockwerk drehten, konnte man bis in den Keller hinuntersehen – wahnsinnig. Wie Alekan diesen Vier-Stockwerk-Bunker ausgeleuchtet hat, ist mir ein Rätsel.

Inwiefern ein Rätsel?

BRUNO GANZ: Es ist keins. Wim hat für drei Tage zusätzliche Ausrüstung gemietet, und plötzlich kamen sechs Beleuchter mehr zur Arbeit. In dieser Szene wird ein Film gedreht – und wenn man da so zuschaut, vom vierten Stock hinunter, und in jeder Etage spielt sich lichtmässig etwas leicht Verschiedenes ab: das war schon gigantisch. Vielleicht würde Alekan zwar sagen, dass es für ihn viel einfacher sei, so einen riesigen Bunker sauber auszuleuchten, als in einem Zirkuswagen eine Wand, ein halbes Bett mit einer Frau.

Gab es Unterschiede im Lichtaufbau, je nachdem ob farbig oder schwarzweiss gedreht wurde?

Der Aufwand war viel kleiner, wenn in Farbe gedreht wurde. Ich habe in der Qualität einen eklatanten Unterschied erwartet, aber das hat sich eigentlich nicht bestätigt. Zwar wirkt der Farbteil viel anonymer als der schwarzweisse – der wohl unverwechselbar ist –; man wird nicht sagen, das muss jetzt von dem und dem Kameramann sein, aber er hat doch hohe Qualität.

Werden am Set noch Kamerawinkel gesucht?

Da hat Wim Vorstellungen und weiss, was er für Bilder braucht. Wahrscheinlich hat er auch eine Abfolge im Kopf, jedenfalls merkt man, dass er auch ans Schneiden denkt. Obwohl er insgesamt sogar mehr riskiert als früher, hat er sich in der Technik entwickelt. Er «covered» schwer, dreht dieselbe Einstellung mit fünf verschiedenen Objektiven. Früher blieb es bei 35, wenn er sich einmal dafür entschieden hatte, heute wird 50 automatisch nachgeliefert und noch eine Totale aufgenommen. Er zieht das zwar nicht ganz so stur durch wie in Amerika, wo das bei jeder Einstellung gemacht wird, aber er macht das relativ oft. Wim sucht also die Bilder und legt die Einstellungen fest. Auch da wird nicht gross mit Alekan diskutiert, sondern Wim schaut sich lange mit dem Sucher um. Sobald er eine mögliche Einstellung gefunden hat, lässt er die Kamera aufbauen, wechselt die Höhe, die Objektive – bis er ein Bild sieht. Dann fragt er: Henri, wie findest du das, und der sagt fast immer ja. Die Schauspieler können jetzt gehen, denn in den nächsten zwei Stunden macht Henri Licht.

Wurde auch zwischen ähnlichen Einstellungen die Beleuchtung jeweils noch umgebaut?

Wenn die Linse gewechselt wurde, gab es meistens einen Umbau der Beleuchtung; wenn von einem 25er auf ein 50er gewechselt wurde, wurden immer Veränderungen vorgenommen. Bei Close-ups von den Engeln hat Alekan immer auch Filter eingesetzt, damit die Gesichter möglichst schön aussehen. Dasselbe Prinzip, wie früher die Seidenstrümpfe mit den Löchern für die Augen der Frauen, nur sind das heute Scheiben. Ich finde, dass das mit diesen Filtern auf meinem Gesicht nicht funktioniert, aber beim Drehen war das ganz lustig. Je näher man aufgenommen wurde, um so mehr Filter wurden verwendet und dementsprechend musste das Licht intensiviert werden. Meistens musste über der Kamera sogar noch ein extra Licht für die Augen aufgebaut werden.

In einem frühem Gespräch hast Du gesagt: so wie mein Gesicht nun einmal ist, bin ich extrem abhängig vom Licht.

Das ist schon richtig. Ich sehe nicht von Natur her – egal in welchem Licht – gut und anziehend aus. Wenn mein Gesicht schlecht beleuchtet ist, kann das grauenhaft aussehen. Mit Licht kann bei meinem Gesicht sehr viel gemacht werden. Alekan ging aber nicht besonders auf die Probleme meines Gesichtes ein. Eher hatte er eine abstrakte Vorstellung, wie ein Engel auszusehen hat: Engel müssen schön sein, wenn die Falten nicht mehr mit Schminken wegzudecken sind, werden Filter reingehängt – je näher, je mehr. Sonst hat er einfach klassische Regeln befolgt, etwa dass auf die Nase aufgepasst wird. Weil Otto und ich immer graue Kleider tragen, achtete Alekan besonders darauf, dass das Licht auf der Schulter in einem bestimmten Verhältnis zum Licht in den Augen steht – das war für mich eine Rechenschieber-Geschichte, unglaublich technisch, aber weniger um jetzt mir persönlich als Bruno Ganz zu helfen.

Alles in allem würdest Du wieder mit ihm arbeiten?

Ich habe zwar ein paar böse Dinge über ihn gesagt, dass er bösartig sein kann, ein Schürzenjäger ist – aber ich würde sofort wieder mit ihm arbeiten.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/1987 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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