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Sertschawan 3

«In Kurdistan bedeutet der Fremde im Haus eine Ehre»

Seit 1989 haben Beatrice Michel und Hans Stürm an ihrem Projekt Sertschawan gearbeitet. Walter Ruggle hat sich mit ihnen über Motivation, Erlebnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit den Recherchen und Dreharbeiten zu ihrem Film unterhalten.

Text: Walter Ruggle / 01. Aug. 1992

Seit 1989 haben Beatrice Michel und Hans Stürm an ihrem Projekt Sertschawan gearbeitet. Walter Ruggle hat sich mit ihnen über Motivation, Erlebnisse und Erfahrungen im Zusammenhang mit den Recherchen und Dreharbeiten zu ihrem Film unterhalten und einige Äusserungen aus einem längeren Gespräch unter Stichworten zusammengetragen.

Die ersten Schritte

HANS STÜRM: Im Zusammenhang mit unserer politischen Flüchtlingsarbeit in der Schweiz hatten wir 1989 bei einer Reise durch Ostanatolien die Verhältnisse in türkisch Kurdistan aus eigener Anschauung kennengelernt. Es wurde uns klar, dass ein «kurdischer Film» hier undenkbar wäre, angesichts der zu erwartenden Repression gegen alle Kurden, die uns dabei helfen würden, unverantwortbar. Im Irak stand 1990 der Golfkrieg unmittelbar bevor, und an iranisch Kurdistan hatten wir zunächst gar nicht gedacht. Durch die Vermittlung von Scheich Ajub Peresh Babo Barsani, einem Neffen des legendären Generals Mustafa Barsani, kamen wir in Kontakt mit dem iranischen UNOBotschafter Sirus Nasseri – und wir wussten selbst noch nicht recht, wo uns der Kopf steht, als wir 1990 nach langen Verhandlungen in Teheran zu Recherchen in die iranisch-kurdische Provinz Westasarbaidjan reisten.

BEATRICE MICHEL: Während der Recherchen im Frühsommer 90 waren wir in den Gasthäusern verschiedener Peshmerga-Stationen untergebracht. Die Kurdistan-Front (Vereinigung der irakisch-kurdischen Parteien) stellte uns einen Landrover mit Chauffeur zur Verfügung und kümmerte sich fürsorglich um unser leibliches Wohl, obwohl mittlerweilen allen klar war, dass wir weder kriegerische Aktionen noch Interviews mit den wichtigsten Männern filmen würden. Ein junger Biologe aus Bagdad, nach Gefängnis und Folter zum Widerstand gestossen, verstand unser Anliegen nach einem längeren Gespräch weit besser, als wir uns je geträumt hatten. Geduldig führte er uns von Dorf zu Dorf, zeigte uns die schönsten Landschaften, führte uns auf die Alpweiden bis nahe an die türkische Grenze.

Fraidun Faiza Laak kannte sich bei der iranisch-kurdischen wie auch bei der irakisch-kurdischen Bevölkerung sehr gut aus. Ich lernte mit Verwunderung kennen, was es heisst, in einem weitgespannten, vertrauenswürdigen Beziehungsnetz zu leben. Fraidun kannte über familiäre und freundschaftliche Verbindungen Menschen aus allen Volksschichten, jeden Alters, Zeugen verschiedenster Ereignisse der kurdischen Geschichte der letzten dreissig Jahre. Er hat uns verschiedene irakisch-kurdische Flüchtlinge, die zum Teil seit 1975 im Iran im Exil lebten, zugeführt. Wir suchten Verwandte des Bäckers Omar Chawar. Als es nicht möglich war, Frau und Schwester zu finden, sagte Fraidun, er kenne jemanden aus Malakan, einem Ort in der Nähe von Halabja. Innert dreier Tage war dieser Mann, der selber Opfer eines Giftgasangriffs geworden war, da.

Zwischenmenschliche Beziehungen gehen über alles. Einer über eine Menschenkette abgesandten Botschaft kann in jedem Fall vertraut werden, für ein abgegebenes Versprechen wird das Menschenmögliche getan. Beim Drehen haben wir die einzelnen Leute, die wir bei den Recherchen kennengelernt hatten, wieder gefunden – mit Ausnahme von Fraidun. Er blieb verschollen.

Helikopter-Filme

HANS STÜRM: Es gab zwei Grundprobleme, die wir von der Schweiz aus nicht richtig einschätzen konnten: Bei den offiziellen Stellen überzeugten unsere Methoden von Filmemachen nicht. Sie erzählten uns mit leuchtenden Augen, wie die BBC, die kurze Zeit vor uns im Nordirak weilte, mit Militärhelikoptern der NATO eingeflogen worden war und mit zwei Übertragungswagen via Türkei angereist kam, um innerhalb von vierzehn Tagen eine Riesenkiste zu drehen. Wenn sie uns mit unserer 16-mm-Kamera sahen und hörten, wie wir sprachen, so konnten sie sich darunter nichts vorstellen. Aus Höflichkeit wohl sagten sie nichts dagegen. Im Gegensatz zu den offiziellen und hohen Persönlichkeiten begriffen die betroffenen Leute aber sofort, worum es uns ging. Und das gravierendere Problem: Obwohl wir nach langen Verhandlungen in Teheran über alle Papiere verfügten, darunter ein Visum für fünf Monate in die kurdisch bewohnten Gebiete, stellten wir an der entsprechenden Grenze fest: All die Papiere nützen uns nichts. Weder in Teheran noch in Kurdistan hat man wohl je daran geglaubt, dass da ein Film über die Kurden gemacht werden soll. Andererseits gibt es auch das iranische Phänomen: Am Schluss von Verhandlungen, an denen aus Höflichkeit nicht nein gesagt wird, hast du das Gefühl, die Leute überzeugt zu haben, dabei haben sie nur nicht nein gesagt. Bleib im Land

HANS STÜRM: Im Gossliwil-Film sagen wir: Bleib im Land und nähr dich redlich. Ich habe mich in den letzten Jahren immer wieder gegen Dokumentarfilme ausgesprochen, die in der sogenannten Dritten Welt von Schweizerinnen und Schweizern gemacht werden. Im Zusammenhang mit Kurdistan wurde uns aber sehr rasch klar, dass die Kurden einen Film unmöglich selber realisieren können und dass da ein Unterschied besteht, beispielsweise zu Lateinamerika. Dort gibt es viele begabte Filmerinnen und Filmer, die eigene Stoffe besser realisieren können als Fremde. Es ist in der Regel sinnvoller, man gibt den Leuten vor Ort Geld für ein Projekt, als uns, die dann hinreisen und etwas drehen. In Kurdistan gibt es Film überhaupt nicht. Wenn wir fragten, ob sie nicht selber einen Film über Kurdistan machen wollten, so gab es immer zwei Argumente, die dagegen sprachen: Sie haben keine eigenen Filmschaffenden, und es war klar: Wenn überhaupt jemand eine Drehbewilligung bekommen sollte, dann wären wir es.

Sertschawan 1

BEATRICE MICHEL: Was wir gemacht haben, hat in Kurdistan eine lange Tradition, denn da es den Kurden immer verboten war zu publizieren, taten das immer wieder Fremde, Orientalisten, Russen, Deutsche, auch ein Schweizer (Albert Socin aus Basel), Briten. Sie reisten nach Kurdistan und brachten Texte ausser Landes, um sie in Petersburg oder London zu publizieren. In diesem Sinn setzt unser Film auch eine Tradition fort. Begeisterung für den fremden

HANS STÜRM: Die iranisch-kurdische Bevölkerung empfing uns so herzlich, dass wir, selbst dann, wenn die Hindernisse unüberwindbar erschienen, wieder Mut schöpften und uns sagten: Doch, wir müssen es schaffen. Du kommst in ein kurdisches Dorf, und du stellst sogleich fest: Da gibt es eine nesiqe Begeisterung, wenn ein Fremder ankommt. Das ist sehr verschieden von der Begegnung mit Fremden hier in der Schweiz. Wenn hier ein Fremder ankommt, so fragt man: Wer ist das, wieso ist der gekommen, was will der hier? Dort ist es umgekehrt, und derjenige, der dich beherbergt, ist stolz darauf, dass er dich beherbergen darf. Du bereitest ihm allein schon dadurch Freude, dass du als Fremder zu ihm kommst. Die Frage nach einer Gegenleistung stellt sich nicht mehr, denn deine Gegenleistung ist die Tatsache, dass du sein Gast bist.

Am Anfang war das für uns gar nicht so einfach. Wir dachten lange, wir könnten diese Gastfreundschaft nicht akzeptieren: Das beginnt beim Tee nach der Ankunft, dann folgt das Essen, schliesslich räumen sie am Abend das Haus, begeben sich in den Stall oder irgendwohin zum Schlafen: Das Haus gehört dir! Wenn wir uns dagegen wehrten und sagten, nein, wir schlafen im Stall oder draussen im Freien, so schufen wir damit nur ein Problem. Die Gastgeber glaubten dann, dass irgendetwas nicht in Ordnung sei. Diese Gastfreundschaft liess uns alle Mühen und die manchmal fast unüberwindbar scheinenden Schwierigkeiten vergessen. Es ging so weit, dass Bea sagte: Es ist so schön hier, wieso müssen wir unbedingt einen Film machen.

BEATRICE MICHEL: Ich ringe immer noch darum, mir eine souveränere Meinung zum Iran zu erarbeiten. Je mehr ich lese und mich mit diesem Land beschäftige, um so erstaunlicher erscheint es mir, dass es überhaupt möglich war, diesen Film zu realisieren. Wir hatten die Bürokratie unterschätzt. Aber das ist überall so. Jedes derartige Projekt stösst auf vergleichbare Schwierigkeiten. Jeder Beamte hat Angst, etwas falsch zu machen, Papiere werden umhergeschoben, niemand will etwas riskieren. Wie in jeder überdimensionierten Bürokratie triffst du aber auch immer wieder auf Menschen, die dir wirklich helfen. Schwierig ist es für uns Schweizer, die Willkür zu akzeptieren. Erst seit ich wieder zurück bin, ist mir klargeworden, wie gross diese Willkür auch bei uns ist.

Kurdistan zum Beispiel

HANS STÜRM: Wir wollten zu keinem Zeitpunkt einen Dokumentarfilm über die Kurden machen. Dafür sind wir nicht kompetent. Selbst wenn wir fünf Monate unter Kurden gelebt haben, ist das noch lange keine Legitimation, einen Film über die Kurden zu machen. Die Idee war immer: Es soll ein europäischer Film werden, der aber in Kurdistan gedreht wird und der mit Kurden viel zu tun hat. Ich habe versucht, einen Film zu machen, der meinen Gedankengängen entspricht und gleichzeitig auch dem möglichst gerecht wird, was die Kurden dringend brauchen. Es ist ein Film über das Leben und Sterben bei den Kurden – das könnte auch anderswo sein. Dramaturgie im Dokumentarfilm

HANS STÜRM: Eine weitere Dimension zum Film kam mit dem Gedanken dazu, dass wir das kurdische Nationalepos erzählen wollten. Mam u Zin ist ein Stück Weltliteratur wie «Iristan und lsolde- oder «Romeo und Julia». Es erschien uns als Bindeglied attraktiv, denn in dieser Geschichte finden 66 sich für mich sehr viele Elemente, die auch in bezug auf die kurdische Geschichte interessant sind. Mich hat spätestens seit Es ist kalt in Brandenburg (Hitler töten) die Frage beschäftigt, wie der Schweizer Dokumentarfilm zu einer erzählenden, dramaturgischen Form finden könnte. Im Zusammenhang mit dieser Mam u Zin-Geschichte haben wir uns viele Dinge vorgestellt, wie man über die normale dokumentarische Beschreibung hinaus Verbindungen schaffen könnte zwischen dem alltäglichen Leben und der Literatur. Schon bei den Recherchen, endgültig aber während der Dreharbeiten, wurde uns klar, dass wir mit unseren Vorstellungen vom Filmemachen vollumfänglich in der Luft schweben würden. Aus sehr einfachen und doch grundlegenden Verschiedenheiten zwischen den Kurden und uns heraus: Du kannst nicht inszenieren, weil die Menschen dort absolut keine Vorstellung vom filmischen Bild haben. Sie kennen das fotografische Porträt, und dieses entspricht einer ganz anderen Form der Darstellung. Es hat ihnen nie eingeleuchtet, dass wir sie bei der Arbeit filmen wollten. Nur über die Ebene der Gastfreundschaft war es möglich. Ihre Vorstellung vom Bild ist eine der Repräsentation der Person und des Wertes der Person. Es gilt, den Wert des Menschen darzustellen. Wenn du jemanden fotografierst, so ist das ein Geschenk des Fotografierten an den Fotografen.

Sertschawan 2

lnschallah

HANS STÜRM: Dann gibt es da dieses ganz andere Lebensgefühl. Film ist eine organisierte, technische Arbeit. Das ist den Kurden völlig fremd. Die Vorstellung, dass du planst, dass du Dinge vorausbestimmst, ist ihnen fremd. Sie haben ganz präzise Vorstellungen darüber, was ihr eigenes Alltagsleben anbelangt. Alles andere ist lnschallah! («Allah weiss» oder «So Gott will») Ich habe begriffen, dass dahinter eben eine ganz andere Lebenshaltung steht. Film ist auch lnschallah. Geplant war, hundert Filmrollen zu belichten; wir sind mit dreissig Rollen heimgekehrt.

Positive Neugier

BEATRICE MICHEL: Dass es nur dreissig Rollen Film geworden sind, hat aber auch damit zu tun, dass die Kurden eine derart starke Identität haben, dass sie keine Probleme haben, sich vor der Kamera zu bewegen. Ihr «positiver Gwunder», ihre positive Neugier, ist mir aufgefallen. Sie unterscheidet sich radikal von der negativen Neugier von uns Schweizern. Wir sind ja auch ein neugieriges Volk, aber wir beobachten andere darauf hin, was sie für Fehler machen. Bei den Kurden habe ich eine positive Neugier erlebt: Alles nimmt sie wunder. Sie waren derart interessiert und fasziniert, dass sie unseren Anweisungen mit grossem Engagement folgten und wir praktisch nie etwas wiederholen mussten. Sie sind unglaublich intuitiv.

Montage

HANS STÜRM: Wir wussten lange nicht, welche Qualität die Originale hatten, da die Negative zunächst noch in Teheran zurückbehalten wurden und wir nur mit einer sehr schlechten Arbeitskopie montieren konnten. Das Drehverhältnis war eins zu zwei. Am Anfang war ich skeptisch, weil unsere Vorstellungen des geplanten Films ursprünglich etwas andere waren. Beim Betrachten des Materials wurde mir klar, dass es vor allem darum gehen würde, den Rhythmus zu finden, da der Spielraum beschränkt bliebe. Beim Filmemachen ist immer wieder eine der grossen Schwierigkeiten, dass zwischen dem Traum, den du von einem Film hast, und dem Material, welches du schliesslich aufnehmen konntest, eine Diskrepanz besteht, die es zu verarbeiten gilt. Nach der Rohmontage war mir aber klar, dass es aufgehen würde, obwohl sich das Projekt verändert hatte. Die reine Montagezeit betrug lediglich zweieinhalb Monate. Das ging also sehr schnell.

Nähe – Distanz

HANS STÜRM: Mir scheint nicht, dass unsere Filme an zuviel Nähe leiden. Nähe und mangelnde Distanz sind nicht das gleiche. Es besteht immer die Gefahr, vor allem auf der Ebene der Montage, dass der Autor aus fehlender Distanz Dinge sieht oder nicht sieht, die der Zuschauer aus seiner Sicht nicht oder nicht so wahrnehmen kann. Ich habe mich bei der Montage von eigenen Filmen aber immer auch als mein eigener Zuschauer verstanden. Im Prinzip ist es dasselbe wie beim Schreiben oder beim Sprechen: Je besser du ein Thema durchdacht hast, umso besser kannst du es formulieren. Filmen ist eine Arbeit, die aus der Nähe zu leisten ist. Für mich haben die meisten Filme zuviel Distanz. laufend werden doch Filme zu Themen gemacht, obwohl gar nicht das Thema, nicht das Sujet, sondern seine Bearbeitung entscheidend ist. Themen, die spannend sind, gibt es unzählige. Je stärker die Beziehung zwischen Autor und Gegenstand des Filmes ist, umso grösser scheint mir die Chance, dass ein spannender Film entsteht.

Filmende Frau im Iran

BEATRICE MICHEL: Ich kann nicht über dieses riesige, vielfältige Land sprechen, ich war viermal in Teheran und insgesamt sieben Monate in den iranisch-kurdischen Provinzen. Natürlich trage ich ein Kopftuch dort als erwachsene Frau und bedecke Arme und Beine. Die Kleidung der kurdischen Frauen, die ich mehr oder weniger übernahm, erschien mir zweckmässig und schliesslich über Jahrtausende klimatisch erprobt. Wehe, ich vergass in der Aufregung einmal, die Pluderhosen unter den Rock zu ziehen, Insekten und stachliges Gewächs zahlten es heim! Ich war sehr fremd und mit den grössten Privilegien ausgestattet, die Vorteile der muslimischen Kultur kumulierten mit denen meiner eigenen Kultur. So genoss ich die Herzlichkeit und Fürsorge der Frauen, wurde oft unter die Fittiche genommen, verwöhnt. Nie hab ich meiner Lebtag so gelacht wie mit den Frauen in ihren Bereichen. Anderseits war ich völlig frei, mich in der Männergesellschaft zu bewegen, mitzureden, mitzubestimmen. Überall begegnete ich grösstem Respekt. Als Frau allein unter hundert jungen Peshmergas zu weilen, stellte nicht das geringste Problem dar, das war eine einmalige Erfahrung. Ich musste mir angewöhnen, abends nicht zu gähnen, weil dann der Raum fluchtartig verlassen wurde in der Annahme, ich bekunde Müdigkeit, nicht an einer im Freien Siesta machenden Gruppe vorbeizugehen, weil sonst alle aufsprangen und sich verbeugten. Nun war ich ja nicht «allein» dort. Die grösste Neugier weckten wir als «westliches Paar», das amüsiert beobachtet, geneckt, befragt wurde. Wenn wir heftig diskutierten, werteten sie das als Streit und entfernten sich diskret, kulturelle Missverständnisse waren Anlass zu viel Gelächter.

Filmender Mann im Iran

HANS STÜRM: Spannend war zunächst einmal das Verhältnis zu den Männern, und das erste, was mir auffiel: Da gibt es keine Kumpanei, keine aufgekratzte Freundlichkeit, kein Tun-als-ob. Es gibt sehr intensive Begegnungen, wie ich sie beispielsweise mit dem Vater des krebskranken Sohnes hatte. Kurz nach dessen Tod kamen wir ins Dorf zurück, und bei einem abendlichen Spaziergang kam der Vater uns entgegen. Er umarmte mich längere Zeit und lud mich in sein Haus zum Tee ein. Diese Art von Begegnung unter Männern erlebe ich hier nicht. Mit den Frauen ist es aber eigentlich noch viel spannender. Berivan hat mich als Frau fasziniert, und ich wollte, dass sie die Erzählerin von Mam u Zin wäre. Sie durfte mich anfänglich aber überhaupt nicht wahrnehmen, musste Distanz halten. Über Bea kamen wir uns allmählich näher, mit der Zeit schaute auch sie mich an. In ihren Blicken war eine Intensität, und am Schluss gab sie mir sogar die Hand.

Dieser Prozess einer Begegnung unterscheidet sich sehr stark von dem, was wir uns gewohnt sind. Hier fragt man sofort, wie geht's, und interessiert sich eigentlich nicht dafür.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/1992 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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