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Gnant portraet

«Vorausahnen, dass es kommt»

«Ich war in meiner Jugend sehr filmbegeistert. Es gab es diese Lebensmittelcoupons, und im gleichen Haus wohnte ein Filmoperateur. Gegen die Lebensmittelcoupons bekamen wir Kinobillette, und so habe ich schon sehr früh eine Kinobildung erhalten.»

Text: Walt R. Vian / 01. Okt. 1993

FILMBULLETIN Ihr erster Film als Kameramann und Ihr erster Film mit Alexander J. Seiler war In wechselndem Gefälle.

ROB GNANT Ich war etwa dreissig und hatte so langsam die Nase voll von der Arbeit in der Schweiz, die ich eher als kleinkariert empfunden habe. Und dann kam der Seiler und fragte, ob ich Kamera für ihn machen würde.

Xandi Seiler hatte einen Auftrag von der Schweizerischen Verkehrszentrale, und er wollte diesen Film eigentlich mit Andreas Demmer als Kameramann realisieren, aber das klappte irgendwie nicht, und Xandi suchte deshalb einen Kameramann.

Ich hatte damals mit der Journalistin Laure Wyss zusammen einen Kinoroman geschrieben, für ein Magazin, das sie betreute, welches am Wochenende fünf, sechs Tageszeitungen beigelegt wurde. Dieser Roman handelte so von meinem Leben in der «Kohlengrube», von meinem Dasein als Fotoreporter. Und die Moral von der Geschichte, die wir da geschrieben hatten, war: der Reporter verkauft sein Rennauto und schafft sich eine Filmkamera an.

June Seiler hatte gelesen, der Gnant hätte seinen Rennwagen verkauft und dafür eine Filmkamera erstanden. Ich fuhr dann zu Seilers nach Stäfa, wir haben über das Projekt gesprochen, und da erwähnte ich auch: «Eben, die Kamera müssen wir natürlich mieten.» «Ja, Sie haben doch eine Kamera?» «Nein, ich habe keine. Das haben wir nur geschrieben, um ein bisschen Moral in die Geschichte zu bringen.» Aber die Zusammenarbeit kam dann doch zustande.

Die Geräte haben wir tatsächlich gemietet, und ich muss gestehen, dass wir für diese zwölf Minuten Film ein halbes Jahr gedreht haben. Der Sommer war sehr schlecht, und wir haben von Frühjahr bis Herbst gedreht: 35mm in Farbe.

FILMBULLETIN War die Verwendung von Farbmaterial eine Bedingung der Verkehrszentrale, oder waren gestalterische Gründe ausschlaggebend?

Rob GNANT Ich habe Schwarzweiss sehr gern, finde aber, wenn schon ein Film über das Wasser, dann farbig. Wir haben die Farbe auch richtig eingesetzt – nicht einfach naturalistisch – wir versuchten durchaus zu einer Abstraktion zu kommen.

Für ein so altes Ding ist In wechselndem Gefälle durchaus bemerkenswert. Man kann heute noch stolz auf diesen Film sein. Wir haben 1963 in Cannes dafür auch die Goldene Palme für den besten Kurzfilm erhalten.

FILMBULLETIN Alexander J. Seiler war dieser Auftrag wohl ein Schritt auf dem Weg, zu eigenen Filmen zu kommen.

ROB GNANT Er hat vorher einen Film mit Kurt Blum als Produzent und Fritz Maeder als Kameramann gedreht. In wechselndem Gefälle war dann ein weiterer Auftrag, den Seiler in eigener Produktion realisieren konnte. Wir waren absolut frei in allem, lediglich im Abspann stand «Dieser Film wurde gedreht in der Schweiz» und dann «Im Auftrag der Schweizerischen Verkehrszentrale».

FILMBULLETIN Und für Sie, der Sie 1932 geboren sind, war es ebenfalls ein weiterer Schritt «zum Film». Haben Sie übrigens ihre Fotografenlehre bereits im Hinblick darauf absolviert, einmal im Filmbereich tätig zu werden, Kameramann zu werden?

ROB GNANT Ja, ich war sehr filmbegeistert. In meiner Jugend gab es diese Lebensmittelcoupons, und im gleichen Haus wohnte ein Filmoperateur. Gegen die Lebensmittelcoupons bekamen wir Kinobillette, und so habe ich schon sehr früh eine Kinobildung erhalten. Mit etwa vierzehn Jahren wollte ich Kameramann werden oder eine andere Funktion im Film erlernen. Ich ging zur Berufsberatung, aber es war damals absolut unmöglich, in der Schweiz eine Lehre in diesem Bereich zu machen. Schulen gab es zwar in London, Paris, Rom, aber für einen Schweizer noch keine Möglichkeit, eine dieser ausländischen Schulen zu absolvieren. Die ersten waren dann einige Jahre später Tanner und Goretta, die nach London gingen, aber keine Abschlussarbeit machen konnten und damals als Schweizer auch kein Diplom erhielten.

Also habe ich Fotograf gelernt, und nachdem ich ein, zwei Jahre auf dem Beruf gearbeitet hatte, fand ich bei Kern-Film in Basel – die haben wissenschaftliche Filme, Dokumentarfilme, aber auch Auftragsfilme gedreht und waren damals eigentlich führend in der Schweiz – eine Stelle als Kamera-Assistent. Wie so viele Schweizer Filmer habe also auch ich bei Kern-Film begonnen.

Allerdings war ich dann bei der Kern-Film nicht sehr glücklich. Verdient habe ich vierhundert Franken im Monat, und dann kam ein anderer junger Mann, der für den halben Lohn gearbeitet hat. Es hiess: «Sie können nur bleiben, wenn Sie ebenfalls für den halben Lohn arbeiten.» Da hab ich aufgegeben und fand, in der Schweiz sei Film etwas Unmögliches.

FILMBULLETIN Und die beruflichen Erfahrungen?

ROB GNANT Gelernt habe ich viel. Kameramann der Kern-Film war Andreas Demmer, bei dem viele junge Assistenten gelernt haben, die nachher als Kameramänner arbeiteten und heute noch arbeiten. Ein grosser Vorteil war auch, dass ich in den Ferien fast sämtliche Leute ablösen musste, im 16mm-Labor, im 35mm-Labor, in der Buchführung, im Negativschnitt – ich musste ganz schnell und sehr viel lernen. Ich finde das gut, wenn man möglichst viel Einblick hat und keine so enge Ausbildung bekommt.

In wechselndem gefaelle

(Bild: In wechselndem Gefälle)

FILMBULLETIN Ihr nächster gemeinsamer Film mit Alexander J. Seiler war Siamo italiani.

ROB GNANT Das war so der Gegenschwung. Bei diesem «Wasserfilm» sieht man eigentlich nur klares Wasser, blaues Wasser, schönes Wasser, herrliches Wasser, obwohl es um 1962 noch fast keine Kläranlagen und sehr viel verschmutztes Wasser gab. Je nach Wind konnte man drehen oder musste die Aufnahme abbrechen. Es war ungeheuer schwierig, die Bilder, die wir wollten, überhaupt aufzunehmen. Diese Umstände behagten mir nicht so ganz, und die Beschränkung auf die schöne, die helle Seite entsprach irgendwie nicht meiner Vorstellung von Filmarbeit. Wir kamen dann ganz schnell auf die Idee, etwas über die Fremdarbeiter in der Schweiz zu machen – und das waren natürlich dannzumal die Italiener.

FILMBULLETIN Haben sie gemeinsam diskutiert, wie sie vorgehen wollen, oder hatten Sie einen klaren Auftrag als Kameramann, jetzt diese und diese Aufnahmen zu machen?

ROB GNANT Zu jener Zeit ist das weitgehendst gemeinsam entstanden, von der ersten Idee weg in gemeinsamer Diskussion. So etwas ist heute kaum noch möglich, was sehr zu bedauern ist. Ein Filmautor hat heute durch seine Recherchen meistens einen so unheimlichen Wissensvorsprung und seine Filmidee ist schon so weitgehend ausgearbeitet, dass der Kameramann fast nur noch ein ausführendes Organ ist.

Ganz im Gegensatz zu In wechselndem Gefälle, wo ich meistens selbständig mit dem Assistenten – mit einem kleinen Stationswagen und mit dem Schlauchboot – unterwegs war und in Absprache nach den Bildern suchte, diese aufnahm und nach Hause brachte – das war auch sehr schön, diese Freiheit – hatten wir bei Siamo italiani dann eine andere Arbeitsweise. Wir standen in ständigem Kontakt, und Xandi, aber auch June Kovach, war beim Drehen meistens dabei. Man hat diskutiert, und nach der Diskussion hat man versucht, das einzufangen, was man brauchte. Jedenfalls fanden wir es richtig, «Seiler, Gnant, Kovach» als Autoren zu nennen, und das hat, meine ich, unserer Arbeitsweise entsprochen. Später dann, zum Beispiel bei Unser Lehrer, bei dem Peter Bichsel sehr wichtig war, war meine Arbeit dann sehr viel weniger einflussreich.

FILMBULLETIN War es eine ästhetische oder eine finanzielle Entscheidung, den Film in Schwarzweiss zu drehen?

ROB GNANT Wahrscheinlich beides. Ich glaube, wir diskutierten nie, ob er in Farbe gedreht werden könnte. Es gab auch kein Farbmaterial, das so hochempfindlich war wie das Schwarzweiss-Material.

Wir haben eigentlich fast alles ohne künstliches Licht mit einer stummen Arri gedreht – alles mit Dreissig-Meter-Spulen, alles aus der Hand. Wir haben den Kodak Plus X Umkehrfilm benutzt, der dann bei Schwarz-Filmtechnik in Bern entwickelt wurde, und wir haben einfach, wenn wir wieder am Ende waren, 1600 ASA auf die Büchse geschrieben, und es war meistens noch etwas zu sehen.

FILMBULLETIN 35mm stand nie zur Debatte, aus Kostengründen oder wegen der Beweglichkeit?

ROB GNANT Der Wunsch war schon, mit einer möglichst – ich will nicht sagen versteckten Kamera, mit einer versteckten oder getarnten Kamera haben wir nie gearbeitet–, aber mit einer diskreten Kamera zu drehen. Die stumme Arri 16mm ist so eine «Handvoll» Kamera. Sie hatte einen ganz bescheidenen Zoom, also keine sehr langen Brennweiten. Da der Zoom sehr schlecht war, mussten wir mehrheitlich im Telebereich arbeiten, sonst war alles ziemlich unscharf. Das haben wir irgendwie nie besser hingekriegt.

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(Bild: Siamo italiani)

FILMBULLETIN Wurde Siamo italiani teilweise nachsynchronisiert?

ROB GNANT Nein, nachsynchronisiert haben wir nichts. Es gibt nur ganz wenige Stellen, die wirklich synchron sind, aber die wurden auch synchron aufgenommen. Der grösste Teil des Tons ist, wie soll man dies nennen, Ton, der nicht unbedingt zum Bild gehört, sondern frei verwendet wurde – leider macht man das heute nicht mehr. Wenn ein Tram im Bild war, haben wir auch akustisch ein Tram aufgenommen und das dann irgend wie angelegt. Es hat sehr viele Interviewstimmen, die zum Bild sprechen, aber nicht im Bild. Es gibt auch Aufnahmen, die sind so ein bisschen pseudosychron, also irgendwelche Ambiancen, in der einer einen Moment lang lauter spricht, im Bild gestikuliert vielleicht ein Italiener, und die Spitze haben wir dann auf das Gestikulieren angelegt.

Wirklich synchron aufgenommen wurde die Szene, in der man an einem Sonntagmittag den Vater mit dem Kind sieht, das ein bisschen brüllt, das ein bisschen auf den Hosenboden geklopft wird. Das haben wir mit dem neusten Mikrofon – das eine Keulencharakteristik hatte – von Dr. Schöps aufgenommen, das am Ende der Drehzeit noch eingetroffen ist. Man hört aber die Kamera im Hintergrund, und die Aufnahme hat so ein bisschen einen Badewannenton, aber immerhin, das ist synchron. Die Einstellung, in der die Einzelnen «mi chiarna» oder «rni chiarno» sagen, haben wir mit einem Objektiv mit zwanzig Zentimetern Brennweite gedreht, durch einen schmalen Türspalt hindurch, damit das Bild ein bisschen atmet. Im andern Zimmer sassen die Leute, die das ganz kleine Interview machten.

FILMBULLETIN Das Bild atmet?

ROB GNANT Das Bild kann auf verschiedene Arten atmen. Wenn Sie eine Handkamera machen, gibt es nie einen absoluten Stand, und gerade wenn es um Menschen geht, finde ich das sehr schön, wenn es allerdings um eine Landschaftstotale geht, ist es eher hässlich. Bei Siamo italiani haben wir nie Stative benutzt. Früher hab ich mir immer mal wieder vorgenommen, mit Stativ zu drehen, und dann gings eine halbe Minute und die Kamera war wieder in meiner Hand. Das ist auch eine Temperamentsfrage. Heutzutage filme ich eigentlich nur noch mit dem Stativ, auch weil ich mehr Ruhe gefunden habe. Bei der Zwanzig-Zentimeter-Brennweite fand ich, wenn die Aufnahme jetzt plötzlich ganz fix steht, nur weil sie aus der Hand heikel ist, wirkt das inkonsequent. Deshalb haben wir auch sie von Hand gedreht – die Auflagefläche war eine Stuhllehne.

FILMBULLETIN Die Tonaufnahmen wurden aber nicht mehr mit Lichtton gemacht?

ROB GNANT Neinnein, wir hatten eins der ersten Nagra in der Schweiz. Da sind wir noch zu dritt, an einem Samstag oder Sonntag nach Lausanne gefahren, zu Kudelski, und er sass da an einer Werkbank und hat «gebastelt». Wir haben dann trotz einer Lieferfrist von ein bis zwei Jahren ganz kurzfristig ein Nagra bekommen.

FILMBULLETIN Das Verfahren, den Film für die Kinovorführung auf 35mm aufzublasen, war das schon üblich oder war das noch eher im experimentellen Stadium?

ROB GNANT Ich glaube fast, das Blow-up war eine Idee von der Schwarz-Film. Jedenfalls stand der Schwarz, meistens am Sonntagmorgen im Pijama, im Labor und hat dieses Blow-up selber gemacht.

FILMBULLETIN Hat man überlegt, Siamo italiani als Spielfilm zu realisieren, oder war aus den Gegebenheiten der Filmförderung von Anfang an klar, dass es ein Dokumentarfilm werden muss?

ROB GNANT Tatsächlich war es damals so, dass die Filmförderung nur Dokumentarfilme berücksichtigte. Und so waren wir eigentlich auf Dokumentarfilm festgelegt – allerdings finde ich einen guten Dokumentarfilm auch heute noch etwas vom Grössten und Spannendsten.

Man muss da aber etwas einschieben, was heutzutage vielen, die über eine unzureichende Filmförderung klagen, gar nicht mehr bewusst ist: Xandi Seiler hat über Jahre hinweg eine immense Arbeit in der Schweizerischen Filmpolitik geleistet. Ich würde meinen, dass er in jenen Jahren fünfzig Prozent seiner Arbeitskraft für die Filmpolitik aufgewendet hat. Damals gab es eigentlich keine Filmförderung, die kam erst langsam in Gang, vor allem auch dank der Arbeit von Xandi – die Zeit war zwar irgendwie reif, das ist klar, andere Leute waren beteiligt und haben sich ebenfalls sehr eingesetzt, aber er war schon eine treibende Kraft.

Xandi Seiler kann schwierig sein, aber er ist eigentlich nur schwierig, wenn er sich im Recht fühlt. In der Schweiz ist es nicht sehr beliebt, wenn man auf seinem Recht beharrt, lieber wird nach der Regel «ich gebe dir das, und du gibst mir das» gespielt, und alle sind so ein bisschen lieb miteinander. Er nervt vielleicht, wenn er mit der Zigarre in der Luft rumwedelt, nachdem er ein paar Gläser Wein getrunken hat. Wenn man Xandi aber besser kennt, erweist sich dies als eine ganz kleine Seite. Ich trinke auch gerne ein Glas Wein, ich hab da kein Problem.

Mit Siamo italiani haben wir uns trotz Filmförderung über beide Ohren verschuldet, alle zusammen und die gemeinsame Firma. Deshalb mussten wir zu neuen Aufträgen kommen, und wir entwickelten die Idee für diesen Volksbrauchtumsfilm Im Lauf des Jahres, wieder für die Schweizerische Verkehrszentrale, mit dem wir bereits während des Schnittes von Siamo italiani beginnen konnten.

Ich habe übrigens für Im Lauf des Jahres mein Auto tatsächlich verkauft und eine 35mm-Kamera erstanden, weil ich nicht immer neue Kameras mit anderen Objektiven mieten wollte für einen Film, der sich über rund zwei Jahre erstreckte. Ein weiterer Auftrag, auch ein Sponsoring-Film und keine plumpe Reklame meiner Meinung nach, war ... via Zürich für den Verkehrsverein Zürich, den Kanton und die Swissair. Mit diesen Auftragsfilmen konnten wir unsere Schulden abtragen.

FILMBULLETIN War das Mieten von Filmgerät damals noch schwieriger?

ROB GNANT Es gab Ernst Bolliger, EBO, der eigentlich alles hatte, was man so brauchte. Aber manchmal war die gewohnte Kamera bereits vermietet und nur eine andere frei, die wieder andere Objektive hatte. Ich schätze, dass wir über die zwei Jahre verteilt doch dreissig Kameraeinsätze hatten, und da fand ich, es sei Unfug, so häufig eine Kamera zu mieten, und habe eine gekauft.

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(Bild: Siamo italiani)

FILMBULLETIN Mixturen entstand auch 1966.

ROB GNANT Hansjörg Pauli, der Musikredaktor beim Norddeutschen Rundfunk war, hat uns sehr ermuntert, für ihn Filme zu drehen, die sogar experimentellen Charakter haben durften. Der erste, den wir dann mit sehr grosser Freiheit für den DR realisierten, war MIXTUREN, und einige Zeit später drehten wir noch Musikwettbewerb.

Der Elektromusiker Oskar Sala, der auch sehr viel Filmmusik gemacht hat, hatte ein Mixturtrautonium erfunden und konstruiert – das waren alles noch keine Transistoren, sondern Röhren, die man im Film auch sieht. Mixturen war – auch schwarzweiss – ein sehr sehr hübscher, kleiner Film. Ich finde ihn sehr instruktiv, denn man versteht nachher, wie etwas funktioniert, was ich auch für eine Aufgabe des Dokumentarfilms halte.

Sala war mit seinem Mixturtrautonium auch einmal mit einem Sinfonieorchester auf Tournee, und es geht die Rede, er habe mit seiner Erfindung das ganze Sinfonieorchester an die Wand gespielt.

FILMBULLET1N Rolf Lyssys Eugen heisst wohlgeboren war Ihr erster Spielfilm. Was waren, bei der damaligen Technik, in der Arbeitsweise die markanten Unterschiede zwischen Dokumentar- und Spielfilm?

ROB GNANT Wir drehten Siamo italiani mit einer stummen 16mm-Kamera, die relativ viel Geräusch macht, und haben die wenigen Synchronaufnahmen mit langen Brennweiten von aussen durch Löcher oder einen Türspalt aufgenommen, damit die Kamera fast nicht hörbar war.

Das selbe Problem stellte sich natürlich auch bei einem 35mmSpielfilm. Man drehte stumm und hat nachsynchronisiert, oder man hat mit einem riesigen Kasten, worin die Kamera zur Schalldämpfung eingebaut war, dem Blimp, gedreht. Den Film von Rolf, den Walter Marti produzierte, haben wir schwarzweiss und 35mm gedreht, weil er fürs Kino gedacht war und das Blow-up sich noch nicht durchgesetzt hatte. Einiges haben wir stumm gedreht und nachsynchronisiert, aber sehr viel drehten wir auch mit dieser geblimpten Kamera, die etwa fünfundzwanzig Kilo schwer war. Wir haben sogar versucht, Freihandaufnahmen oder Geh-Aufnahmen zu machen. Der Beleuchter Ruedi Attinger hat das Böcklein gemacht, wir haben die Kamera auf seinen Rücken geladen und so versucht, ein bisschen eine entfesselte Kamera zu inszenieren. Aber das war mit unseren Mitteln natürlich schon sehr sehr beschränkt. Das war schon eine recht statische Kamera.

FILMBULLETIN Hat Sie das betrübt?

ROB GNANT Ich muss sagen, dass ich ein bisschen ein statischer Kameramann bin. Wenn sich die Kamera bewegt, muss das eine Funktion haben. Nur weil sie sich bewegt, ist es noch keine gute Kamera. Primär ist es immer eine Frage des Drehbuches, wann, wo, wie, warum ein Travelling, ein Kran eingesetzt wird. Allerdings finde ich auch eine gleitende Kamera durchaus interessant. Wir haben das in ... VIA ZÜRICH versucht, wo es, glaube ich, nur eine einzige fixe Einstellung gibt, jene, die das Panorama der Berge hinter dem Zürichsee, eine Föhnlandschaft, zeigt. Fahraufnahmen sind aber immer auch mit Kosten verbunden. Wenn ich fixe Einstellungen mache, drehe ich zwölf bis zwanzig im Tag. Ein Travelling dagegen – gut, heute kann man das auch schneller – bedeutete damals im Minimum einen halben Tag Arbeit, um es aufzubauen, auszuleuchten und zu organisieren.

FILMBULLETIN Macht es für den Kameramann einen Unterschied, ob er mit Schauspielern oder beim Dokumentarfilm mit «gewöhnlichen» Leuten vor der Kamera arbeitet?

ROB GNANT Es ist absolut verschieden, und trotzdem können die Gefühle die gleichen sein. Beim Dokumentarfilm erhält man plötzlich etwas geschenkt. Man muss zwar vorausahnen, dass es kommt, denn wenn man die Kamera erst einschaltet, wenn man es sieht, ist es eigentlich schon zu spät, denn man muss ja auch den Anlauf des Geschehens haben – aber wenn das gelingt, ist die Befriedigung natürlich schon sehr gross. Beim Spielfilm gibt es Schauspieler, die können phänomenal in einer Wiederholung der Aufnahme auf präzise zehn Zentimeter näher zur Kamera kommen, ohne dass die Rolle darunter leidet. Auch da kann einem schon mal der Atem wegbleiben. Es kommt vor, dass die ganze Crew applaudiert. Das finde ich phantastisch, dass dieses Gefühl von Wow! sich immer einstellen kann.

FILMBULLETIN Was halten Sie vom Typus Kameramann, der nur das Licht bestimmt und die Kameraführung seinen Mitarbeitern in seiner Equipe überlässt?

ROB GNANT Im klassischen Spielfilm arbeitet man mit dem Schwenker, dem Cadreur, dann hat man meist noch den Lader, der die Kassetten lädt, sowie denjenigen, der die Schärfe fährt, und beim grossen Spielfilm kommt auch noch ein Mechaniker dazu, denn wenn Probleme auftreten, müssen die gleich behoben werden.

Im amerikanischen Spielfilm musste einer allerding gegen fünfzig Jahre alt werden, bis er Kameramann oder Chef-Kameramann war, was sich jetzt natürlich auch ein bisschen geändert hat. Wenn Sie aber fünfzig sind, dann haben Sie keine so guten Augen mehr, das Augenlicht und die Definition der Schärfe nehmen unheimlich ab. Schon aus diesen Gründen ist es richtig, wenn ein jüngerer Mensch cadriert und so ästhetisch die Kamera bedient.

Mit einem guten Partner finde ich eine solche Zusammenarbeit interessant. Ich habe zwei Filme, Tag der Affen und Stilleben für Deli Meier und Elisabeth Gujer, mit Werner Zuber als Cadreur gedreht. Diese Zusammenarbeit war perfekt. Man hat sich abgesprochen, und es wäre nicht zu unterscheiden, ob ich cadriert habe oder Werner.

Gnant palaver palaver2

(Bild: Palaver, Palaver)

FILMBULLETIN Ist die Aufteilung der Arbeit beim Spielfilm einfacher als beim Dokumentarfilm?

ROB GNANT Nicht, wenn man sich richtig abspricht. Ich würde sagen, Einstellungen von Fritz Maeder und von mir sind schlecht unterscheidbar. Es gibt einfach ein paar Dinge, die so richtig und anders halt falsch sind. Man kann sich einzig darüber streiten, wie der Bildausschnitt festgelegt wird, etwa: hat es Luft über dem Kopf oder wird richtig in die Stirne geschnitten. Auch im Dokumentarfilm kann man die klassischen Bezeichnungen für Einstellungsgrössen verwenden, man dreht etwas americaine oder in einer Totale, und das geht dann auf in der Montage. Bei Mathias Knauers El pueblo nunca muere haben wir mit fünf Kameras gedreht, und die Aufnahmen passen alle zueinander. Man muss sich nur absprechen, wer die weiten und wer die nahen Einstellungen macht. Bei Palaver, Palaver, den ich zusammen mit Thomas Krempke gedreht habe, war ausser den Aufnahmewinkeln etwa abgemacht: also heute mache ich die Grossaufnahmen und was näher ist, Thomas macht die Totalen und Halbtotalen, so dass man nicht von gleich zu gleich schneiden muss, sondern einen Distanzunterschied hat, der beim Schnitt hilft.

FILMBULLETIN War es nicht so, dass Sie die einen Szenen gedreht haben und er hat die andern?

ROB GNANT Teilweise. Thomas macht eine sehr schöne Handkamera, ich mache eigentlich keine mehr, das ist eine Frage des Alters, das Körpergefühl und der Stand sind einfach nicht mehr so gut – es ist zum Verzweifeln. Deshalb entschieden wir uns, dass er Handkamera macht und ich mache Stativ, und dann haben wir das natürlich so aufgeteilt, dass Thomas die Aufnahmen mit den Jungen, den Befürwortern der Initiative, die die Armee abschaffen wollten, drehte, und ich habe, meinem Alter entsprechend, die Konservativen gefilmt. Bei den Aufnahmen von den Proben im Theater und bei den Aufführungen im Schauspielhaus und in Lausanne, haben wir uns dann eben wieder abgesprochen mit Winkeln und Cadrazen.

Man muss natürlich einen Mitarbeiter suchen, der einem nicht ganz fern ist. Das ist schon Vorbedingung, und auch eine geistige Verwandtchaft ist Voraussetzung. Man muss sich auch Bilder von ihm anschauen und dann entscheiden, ob eine Zusammenarbeit möglich ist oder nicht.

FILMBULLETIN Gerade beim Dokumentarfilm entfallen in der Montage immer wieder Aufnahmen aus ganz verschiedenen Gründen. Wie gehen Sie al Kameramann damit um?

ROB GNANT Es kommt natürlich schon vor, dass man seine Lieblingsaufnahmen hat, die dann einfach nicht ins Geschehen und damit in den Film passen. Das muss man akzeptieren. Eine Qualität des Cutters ist aber auch, dass er ein Optimum aus dem belichteten Material herausholen kann. Xandi hat bei Palaver, Palaver zum Beispiel eine in jeder Hinsicht hervorragende Schnittarbeit geleistet.

FILMBULLETIN Gibt es Unterschiede – auch schon bei der Vorbereitung – in der Arbeitsweise etwa zwischen Alexander J. Seiler und Richard Dindo, für den Sie auch ein paar wichtige Filme gemacht haben?

ROB GNANT Dieser Unterschied ist sehr gross. Bei Xandi hatte ich sehr viel Freiheit – ich hab sie mir zum Teil wohl auch einfach genommen. Wir waren früher nicht gerade pflegeleicht, da hat schon jeder ein wenig gemacht, was er wollte.

Richard Dindo dagegen sagte, nachdem er diesen sehr schönen Naive Maler in der Ostschweiz mit Othmar Schmid als Kameramann gemacht hatte, zu mir: «Mit diesem Kameramann kann ich nicht arbeiten, weil er immer diskutieren will. Ich bestimme, was geschieht und das wird auch gemacht.» Ich antwortete: «Okay, das kannst du haben.» Schweizer im Spanischen Bürgerkrieg war dann die erste Begegnung mit einem Autor, der bereits eine Riesenvorarbeit gemacht hat und eigentlich alle Bilder, die er wollte, schon im Kopf hatte. Es war sehr ökonomisch für Richard zu arbeiten, aber mit der Zeit wurde es dann auch langweilig. Wenn man Vorschläge machte, sagte Richard einfach: «Drehen können wir's ja, aber im Film wird das nie sein.»

Nach einer gewissen Zeit, das kann schneller oder weniger schnell geschehen, ist eine weitere Zusammenarbeit eigentlich für beide Partner nicht mehr sehr befruchtend. Ein anderer Kameramann bringt einem Autor auch wieder andere Elemente, und ich finde das an sich wichtig. Als Xandi, nachdem wir neun Filme zusammen gemacht und fast zehn Jahre zusammengearbeitet hatten, unsere gemeinsame Firma auflösen wollte, fand ich das eigentlich einen guten Entschluss. Ich war auch der Meinung, dass es sich ein bisschen totgelaufen hat.

FILMBULLETIN Welche Möglichkeiten zur Entfaltung bleiben einem Kameramann, wenn die Anweisungen so präzise sind wie bei Richard Dindo – Lichtregie?

ROB GNANT Beim Licht, da waren wir relativ frei, wobei Licht auch wieder mit Kosten verbunden ist. Ein schönes Licht zu machen, braucht eben mehr Zeit als einfach alles hell auzuleuchten. Aber damit hatten wir keine Probleme, das grösste Problem war wohl, dass da immer eine kleine Treppe vorhanden sein musste, damit Richard in die Kamera hineinschauen konnte, denn keine Einstellung wurde gedreht, ohne dass Richard sie sah.

FILMBULLETIN Urs Graf?

ROB GNANT Der hat auch ganz präzise Vorstellungen. Wenn mit dem Stativ gedreht wird, dann sind die Einstellungen natürlich leichter kontrollierbar. Ich sage jeweils selber, schau durch, dann sind wir sicher, denn ich bin durchaus der Meinung, dass es Aufgabe des Kameramanns ist, die Bilder zu realisieren, die der Regisseur braucht.

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(Bild: Siamo italiani)

FILMBULLETIN Aber gerade beim Dokumentarfilm ist doch nicht immer alles so genau voraussehbar.

ROB GNANT Urs recherchiert natürlich auch unheimlich präzise. Angefangen damit hat wohl Richard Dindo, der so wunderbare Papiere für die Filmeingaben gemacht hat, dass er fast immer gefördert wurde. Das hat sich für die Finanzierung einfach bewährt – der ganze Dokumentarfilm läuft inzwischen so, was ich eigentlich sehr schade finde. Heutzutage sind die Aussichten auf eine Förderung nahe bei null, wenn man nur eine intelligente Absichtserklärung von drei, vier Seiten eingibt. Manchmal frage ich mich inzwischen schon, ob nicht das Papier genügen würde, warum der Film überhaupt noch gemacht werden muss. Das ausgefeilte Papier braucht es, damit man das Geld kriegt, aber wenn das Papier endlich ausgearbeitet vorliegt, ist die Spannung vielfach schon weg.

FILMBULLETIN Sind Sie bei Schluss der Dreharbeiten bereits wieder frei für ein anderes Projekt?

ROB GNANT Für den Kameramann kommt mit der Lichtbestimmung noch einmal eine intensivere Arbeitsphase. Er sollte den Rohschnitt sehen und vor allem, wenn der Film ins Labor geht, dabei sein. Ich beharre trotz dem «analyser» immer auf einer Kurzfilmmontage. Da werden von jeder Einstellung am Anfang und am Schluss sechzehn Bilder abgeschnitten und zusammengefügt. Anhand dieses Kurzfilmes nehme ich die Lichtbestimmung zusammen mit dem Lichtbestimmer vor: sage heller, dunkler, beeinflusse die Farbgebung, und erst wenn alles meinen Vorstellungen entspricht, wird die Rohkopie gezogen, die meistens schon recht brauchbar ist.

FILMBULLETIN Gibt es bei der Farbgebung von den Filmemachern her schon im Vorfeld konzeptionelle Vorstellungen?

ROB GNANT Selten, denn ich habe leider wenig Spielfilme gemacht, und bei den Dokumentarfilmen hat man andere Probleme.

FILMBULLETIN Denkbar ist doch, dass man ein Stimmungsbild atmosphärisch gestaltet, oder will man nur möglichst realitätsnah sein?

ROB GNANT Was soll man da sagen? Vieles macht man natürlich instinktiv, man überlegt laufend, wie man im Einzelnen vorgehen wird, und vieles ist dann irgendwie so, wie man es will, ohne dass einem der Prozess bewusst geworden ist, der dazu geführt hat. Es passiert mir noch oft, dass ich, wenn ich nachher darüber nachdenke, nie ganz genau herausfinde, warum es so gemacht wurde und nicht anders. Natürlich kann man auch bei einem Dokumentarfilm vieles steuern. Man diskutiert und legt fest, wie etwas aufgenommen werden soll. Ich weiss natürlich, was etwa Mathias Knauer jetzt in Ostdeutschland macht, wie er das etwa sehen will, und dann sagt man, gut, dann gehen wir morgens um sieben hin, oder eben, wir gehen um neun, um elf, nachmittags um drei im flachen Licht. Da liegt natürlich unheimlich viel drin. Und dann auch beim Belichten. Man kann den Film reichlich belichten, damit man eine optimale Schwärze bekommt und satte Farben, oder man bricht den Kontrast, was beim heutigen Filmmaterial wahrscheinlich notwendig ist, indem man also eher ein bisschen unterbelichtet, und dann wird das Schwarz knapp. Ich glaube schon, dass es bei mir wahnsinnig mit dem Licht zusammenhängt.

Die Fragen an Rob Gnant stellte Walt R. Vian

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(Titelbild: Porträt von Rob Gnant, letztes Bild: Palaver, Palaver)

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 4/1993 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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