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Erich langjahr2

«Ich bin der Angehörige einer aussterbenden Spezies»

Mit seinen 54 Jahren und nach nur sechs langen Arbeiten ist der Innerschweizer Erich Langjahr zu einem der bemerkenswert querköpfischen und bewundernswert geduldigsten Filmemacher der Eidgenossenschaft herangediehen. Das Anecken ist ihm so sehr zur Übung geworden, dass er die Prellungen kaum noch spürt.

Text: Pierre Lachat / 01. Aug. 1998

Mit seinen 54 Jahren und nach nur sechs langen Arbeiten ist der Innerschweizer Erich Langjahr zu einem der bemerkenswert querköpfischen und bewundernswert geduldigsten Filmemacher der Eidgenossenschaft herangediehen. Das Anecken ist ihm so sehr zur Übung geworden, dass er die Prellungen kaum noch spürt. Er fängt beim Entwerfen eines Films schon ganz unkonventionell an:

ERICH LANGJAHR Was ich zu Beginn mir immer aufschreibe, ist die Reise. Ich besuche die Orte, ich mache die Umwege. Von dort aus muss man die innere Logik des Films finden, den logischen Weg von einem Ort zum andern. Eine Anzahl fällt am Schluss wieder weg. Denn wenn ich überdrehe, dann um ganze Kapitel. Ich sehe dann: dieses Kapitel gehört in einen andern Film. Die Themen, die jetzt auf Sennen-Ballade und Bauernkrieg verteilt sind, hätten ursprünglich in eine umfassende Arbeit von hundertfünfzig Minuten einfliessen sollen. Jetzt sind zwei Filme daraus geworden. Ein dritter folgt und wird, anschliessend an die Fragen nach der Identität und dem Überleben, nach der ferneren Zukunft fragen.

FILMBULLETIN Gibt es, nach fünfundzwanzig Jahren Filmautorenschaft, eine vergleichbare Logik auch in deiner persönlichen Entwicklung?

ERICH LANGJAHR Das weiss ich bis heute nicht. Hier an der Zürcher Bahnhofstrasse habe ich meinen allerersten Film gedreht, 1973: über einen südafrikanischen Bambusflötenspieler namens Justice. Es war das erste Mal, dass mich ein Motiv nicht mehr losliess. Ich wollte den Zug nehmen, aber ich kam nicht weg. Die Dinge packen mich heute noch auf die gleiche Weise wie damals. Eine kleine Ecke von der Wahrheit genügt, man muss gar nicht von Anfang an das ganze Gemälde sehen. In diesem Sinn sind meine Filme Bilderbücher, in denen zunächst einmal jedes Bild für sich steht. Von Belang ist das, was in den einzelnen Abschnitten geschieht, nicht das, was sich auch verbal formulieren liesse. Die grosse Aufgabe besteht dann darin, einen Überblick über das Ganze zu geben. Und die grosse Aufgabe, das ist vor allem das Montieren. Hier gönne ich mir als mein eigener Produzent die nötige Zeit. Man kann an den Setzlingen nicht ziehen. Darum arbeite ich meistens länger an einem Film als andere. Bauernkrieg kommt jetzt relativ schnell nach der Sennen-Ballade, weil ich gleichzeitig an beiden gearbeitet habe.

Bauernkrieg1

(Bild: Bauernkrieg)

FILMBULLETIN Wie lebt es sich mit dem Etikett, ein regionaler Filmemacher zu sein?

ERICH LANGJAHR Was soll ich denn Interessantes berichten ausser dem, was ich kenne? So könnte ich stereotyp antworten. Aber mein Aktionsradius weitet sich gerade in Bauernkrieg allmählich aus. Und den Regionalismus verstehe ich sowieso anders. Das Wohl oder Wehe der Bauern ist nicht mehr nur eine regionale, sondern eine globale Frage. Die weltweiten Konflikte – Nord-Süd und West-Ost – sind gerade auch agrarpolitisch zu verstehen. Überall werden die Märkte von den Städten aus beherrscht. Der Senn sagt in der Sennen-Ballade: Alles, was ich verkaufe, wird immer billiger, alles, was ich kaufe, wird immer teurer – das geht nicht auf! Ähnlich ergeht es allen Bauern, überall in der Welt.

FILMBULLETIN Deine Filme zeigen heile Welt, aber auch unheile Welt. Welche Entwicklung hältst du für die bedrohlichste?

ERICH LANGJAHR Ich will die Welt gar nicht schwarzweiss fixieren, sondern sie in ihrer ganzen Widersprüchlichkeit erlebbar machen. Bauernkrieg beschäftigt sich mit dem Überleben der Bauern, er fragt zum Beispiel, ob die Hochzucht helfen könnte. Aber wenn man das dann auf der Leinwand dargestellt sieht, wird man plötzlich unsicher, ob es wirklich eine gute Sache sei. Dabei gibt es die Hochzucht schon lange.

Ex voto

(Bild: Ex voto)

FILMBULLETIN Deine Filme kritisieren, selbstverständlich, die Schweiz. Doch beobachte ich bei Filmemachern deiner Generation in jüngster Zeit eine neue Haltung. Sie scheinen eher bereit, das Land, so, wie es ist, zu akzeptieren und vielleicht sogar Vorzüge an ihm zu entdecken.

ERICH LANGJAHR Die schweizerische Identität gerät mehr und mehr unter Druck von aussen, und das bringt uns einander näher. Gerade mit solchen Fragen habe ich mich immer wieder in meinen Arbeiten beschäftigt. Doch hat sich meine Beziehung zur Schweiz weder verbessert noch verschlechtert. Hier bin ich, und hier bleibe ich, sage ich am Schluss von Ex voto. Und dann: Ich habe den Vater, den ich habe, und ich habe das Vaterland, das ich habe. Für diese Einsicht sage ich meiner Heimat dank. Mit andern Worten: Ich habe kein anderes Land, nur gerade dieses eine. Es muss veränderbar bleiben, sonst hat es keine Zukunft mehr.

FILMBULLETIN Warum, glaubst du, gibt es nicht mehr Filmemacher, die wie du alles oder fast alles selber machen?

ERICH LANGJAHR Bei der allgemeinen Professionalisierung ist es für die meisten unvorstellbar, keinen Produzenten zu haben. Hierin ist die heutige Situation völlig verschieden von der, in die ich hineingewachsen bin. Darum bin ich der Angehörige einer aussterbenden Spezies geblieben. Bei meinen früheren Filmen hätte ich es nicht gewagt zu fragen, ob ein Produzent sie produzieren wolle. Und ich war bei den Zapfsäulen der Förderung nie ein verwöhntes Kind. Ausserdem bin ich kein verbaler Mensch, ich kann meine Projekte schlecht verteidigen. Also blieb mir nur, auf eigene Faust voran zu gehen und das, was ich nicht in Worte fassen kann, in Bilder zu fassen. Viele Autoren nutzen diese Möglichkeit schlecht. Meine Selbständigkeit war notwendig, um dem hohen Anspruch gerecht zu werden, den ich an meine eigenen Filme stelle. Der Regisseur und der Produzent Langjahr müssen streiten können. Sie sind oft unzufrieden miteinander.

FILMBULLETIN Beim Anschauen deiner Filme denkt man: dieser Langjahr muss ein unerträglicher Querkopf sein. Aber im Gespräch dann bist du es gar nicht.

ERICH LANGJAHR Weisst du, als ich anfing, wollte niemand so recht an mich glauben, ich musste es schon selber tun. Man kann an den Setzlingen nicht ziehen. Dass ich sie wachsen lasse, das respektiere ich an mir.

Das Gespräch mit Erich Langjahr führte Pierre Lachat

Bauernkrieg3

(Titelbild: Erich Langjahr; letztes Bild: Bauernkrieg)

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/1998 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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