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Julie from ohio 01

Vom Spiel des Lebens und vom Spiel Film

Isa Hesse-Rabinovitch war in erster Linie audio-visuelle Poetin, die über ihre Kurz- und Kürzestfilme – und ab Mitte der achtziger Jahre auch über experimentelle Videoarbeiten – die expressiven Grenzen des jeweiligen Mediums auszuloten suchte. Daneben schuf sie etliche dokumentarische Porträts von Künstlern und Künstlerinnen, und zwar mit einer ansteckenden Sympathie für jene Lebenskünstler und Schicksalsgenossen, denen die Aussicht auf ein mögliches Scheitern noch lange nicht die Lust am kreativen Schaffen trübte.

Text: Ursula Ganz-Blättler / 01. Nov. 2010

Ihre frühen Gebrauchsgrafiken sind durchwegs von einer kindlichen Verspieltheit geprägt. Viele ihrer späteren Fotoarbeiten strahlen hingegen etwas Düsteres, Unheimliches aus. Als sie gegen Ende der sechziger Jahre begann, Filme zu drehen, waren das eindeutige «Frauenfilme» – und doch waren sie von der Form und Funktion eines feministischen Manifests himmelweit entfernt. Sie war nie eine Rebellin, sondern stets stille Beobachterin auf der Suche nach dem ganz besonderen, eigenen Blick auf die Dinge. Das hat sie nicht daran gehindert, bei ihren Recherchen bis an die Schmerzgrenze zu gehen. Und oft darüber hinaus … eigentlich ging es ihr bei allen kreativen Projekten darum, das Schwere und Bedrückende im Leben auf eine tröstliche Weise «leicht» erscheinen zu lassen. Nicht aus eskapistischem Vergnügen beziehungsweise vom Wunsch getrieben, Hässliches schönzureden. Aber sie wusste um den Reiz und um die Magie des Widerspruchs, der dem Leben unlösbar eingeschrieben ist. Die unendliche Leichtigkeit des Seins, so wie sie Milan Kundera beschrieben hat – sie hat es der Weltenbummlerin, die abwechselnd in Küsnacht und im tessinerischen Cugnasco lebte, besonders angetan.

Sie hat zeit ihres Lebens ein kreatives Netzwerk international tätiger Künstler unterhalten, das sich nicht nur zwischen Küsnacht, Cugnasco und Mailand, sondern bis nach New York und Toronto erstreckte. Letzteres mag zu tun haben mit ihren familiären Wurzeln und mit einer Kindheit, die sie im Zürich der Zwischenkriegszeit im denkbar europäischsten aller Biotope, nämlich unter emigrierten Malern, Musikern und Schriftstellern, verbrachte. Die Weltoffenheit war ihr quasi in die Wiege gelegt. Alles andere hat sie sich selbst erworben und oft genug gegen Widerstände (der Geldbeschaffung und ideellen Unterstützung) erkämpft.

Isa Hesse-Rabinovitch war in erster Linie audio-visuelle Poetin, die über ihre Kurz- und Kürzestfilme – und ab Mitte der achtziger Jahre auch über experimentelle Videoarbeiten – die expressiven Grenzen des jeweiligen Mediums auszuloten suchte. Daneben schuf sie (aus eigenem Antrieb sowie, ab Mitte der siebziger Jahre, im Auftrag des Schweizer Fernsehens) etliche dokumentarische Porträts von Künstlern und Künstlerinnen (Malern, Musikern, Schriftstellern …), und zwar mit einer ansteckenden Sympathie für jene Lebenskünstler und Schicksalsgenossen, denen die Aussicht auf ein mögliches Scheitern noch lange nicht die Lust am kreativen Schaffen trübte. Darüber hinaus hat sie mit ihrem weitsichtigen Einsatz für Frauenfilmfestivals und -Symposien unter anderem in Zürich und im Aostatal (ab 1975) nachhaltig dafür gesorgt, dass gerade das filmische Werk von Frauen in der Schweiz breiter als bis dahin bekannt wurde – innerhalb wie auch jenseits der Landesgrenzen.

Julie from ohio 04

(Bild: Julie from Ohio)

Auf Isa Hesse-Rabinovitch bin ich zunächst als Filmkritikerin gestossen – zu Beginn der neunziger Jahr, als es im Rahmen eines gemeinschaftlichen Buchprojekts zu Schweizer Filmemacherinnen darum ging, den Pionierinnen des Filmschaffens in der Schweiz und ihren spezifischen Arbeits- sowie Lebensbedingungen nachzuspüren.1 Eine solche Pionierin war Isa natürlich – als eine der ersten Cineastinnen, die in der Schweiz anfingen, kontinuierlich mit Film als Ausdrucksmittel zu arbeiten. Auch wenn sie sich mit Sicherheit nicht als «Pionierin» im klassischen Sinn verstand und auch nur bedingt als Experimentalfilmerin, sondern eher als Schöpferin multimedialer Bricolagen, die das Medium des Films zu ihren poetischen und teils auch satirischen Zwecken umfunktionierte.

Als sie sich 1969, als knapp Fünfzigjährige und nach einer ersten Karriere als Grafikerin und Illustratorin für verschiedene Schweizer Zeitungen und Zeitschriften, der Arbeit als Fotografin und Filmerin verschrieb, waren diese sogenannt «abbildenden» Medien für sie in erster Linie ein brauchbares Instrument zur hintersinnigen Reflexion und Umbildung von Realität. Ein Spiel-Zeug, mit dem sich Wort-Spiele bebildern liessen (die Kurzfilme Spiegelei und Monumento Moritat, 1969) oder aber Phantasiewelten erschaffen und neugierig erkunden (Der rote Blau und Über einen Teppich, 1972 / 1973). Ihrem Drang zur audiovisuellen Fremd- wie Selbstdarstellung verdanken wir aber auch subtile Spurensuchen wie etwa Notizen über Annemie Fontana (1973) und Julie from Ohio (1978) – und natürlich die beiden bekanntesten (längeren) Arbeiten: Sirenen-Eiland (1981) und Schlangenzauber (1984). Aber auch so witzige Satiren wie den Gedankenblitz Tell Spott (1974) und andere verwunderte Reflexionen über das männliche Geschlecht. Beide Genres verweisen auf dieselbe grosse Stärke der Filmemacherin Isa Hesse-Rabinovitch – die seltene Gabe nämlich, Momente einzufangen und auf Dauer festzuhalten, ohne dass sie den besonderen Zauber des Vorläufigen und damit Flüchtigen verlieren. Dazu braucht es eine leichte Hand, aber auch Samthandschuhe … im übertragenen Sinn, denn wirklich mit Samthandschuhen angefasst hat Isa ihre Gegenüber nie. Weder im Werk, das ihr Leben prägte, noch im Leben, das immer wieder Inspiration war für das Werk.

Kunst, die brauchbar – und hintersinnig – bleibt

Vergleicht man das Schaffen von Hesse-Rabinovitch, der Grafikerin, mit dem harten Strich ihres Vaters, des in den Wirren der Revolutionsjahre aus Russland emigrierten Expressionisten Gregor Rabinovitch, so fällt das Anmutige und Ironisch-Liebenswürdige ihres Ansatzes sogleich ins Auge. Isas aus dunklen Knopfaugen staunende Protagonisten haben sich in den schillernden Werbe- und Modewelten ihrer Auftraggeber sichtlich wohl gefühlt – und so erging es auch der Künstlerin, wenn sie ihre spitze Feder «in den Dienst von Industrie und Wirtschaft» stellte, wie sie das ironisch nannte. Da ging es ja nicht um die letzten Dinge, sondern um angewandte Kunst als alltägliche Gebrauchskultur – und im Rahmen der Werbung auch immer um die ganz normalen Paradoxien der Konsumkultur, die etwa davon berichtet, wie man mit einem bestimmten Waschmittel wundervollerweise weisser waschen kann und sogar mit Geldausgeben sparen. Nicht zuletzt in der Modebranche fand sie dabei für sich wichtige Inspirationen – in der Zeit, als sie für die Zeitschrift Annabelle arbeitete oder an der Gestaltung des Modepavillons an der Saffa-Ausstellung mitwirkte (1958). «Um nicht von Industrie und Wirtschaft überrollt zu werden, sollte der Künstler aktiv mitmachen», schrieb sie zu dem Thema – wohl wissend, dass es keine Unschuld in der Kunst gibt und damit auch keine per se «gute» im Sinne einer autonomen und kompromisslosen «Kunst an sich».

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(Bild: Sirenen-Eiland)

Komisch, symbolisch, poetisch, erotisch, kritisch

Zu den zahlreichen nicht realisierten Vorhaben von Isa Hesse-Rabinovitch, der Filmemacherin, zählt das Filmprojekt «Anima auf Wanderschaft» (1975). Es geht um ein psychologisch unterfüttertes Märchen, in dem sich eine junge Frau nach einem heimlich belauschten Streit ihrer Eltern aufmacht, um den Wurzeln der Missverständnisse zwischen Männern und Frauen nachzuspüren. Sie wird auf ihrer Reise sieben Männern begegnen, die ihr je eigenes Trauma um die verlorene und lebenslang begehrte Muttergestalt mit sich herumtragen. Und sie wird erkennen, dass der «Streit» zu Beginn des Films nichts anderes war als die Auflehnung der Mutter gegen die Ideal- oder Zerrbilder, die sich Animas Vater von den Frauen machte. Das Projekt liest sich aus heutiger Sicht sehr spannend, weil es der Autorin letztlich um das Aufdecken, aber auch das Anerkennen von Projektionen als imaginären Leistungen ging … und damit um die Kraft der Phantasie, die Missverständnisse produziert, im Missverständnis aber auch gleichzeitig die Möglichkeit der alternativen Lebensgestaltung findet – in der spielerischen Auseinandersetzung mit bewusst angeeigneten und wiederum zweckentfremdeten Fremd- und Selbstbildern. «Anima auf Wanderschaft» sollte ein «komisch / symbolisch / poetisch / erotisch / doch kritischer Film über Männer» werden, der paradigmatisch die Unterschiede in den Erwartungen aufzeigen wollte, aber eben auch die Hybris und die programmierte Enttäuschung, die in der Erwartung eines perfekt passenden Gegenübers «für das ganze Leben» selber begründet liegt.

Das paradigmatisch Versöhnliche dieses Ansatzes zeigt sich übrigens nur schon darin, dass Isa Hesse-Rabinovitch keinerlei Berührungsängste kannte, wenn es um das Niederreissen von Grenzen zwischen künstlerischen Genres und Ausdrucksformen ging. Als sie auf Geldsuche war für Sirenen-Eiland und in dem Schweizer Pornofilmproduzenten Edi Stöckli einen interessierten Geldgeber fand, war das quasi ein «match made in heaven» für beide Seiten. Die Anekdote verweist, nebenbei gesagt, auf interessante und wichtige Entwicklungslinien des Schweizer Kinos, die bis heute unterbelichtet sind: die personellen Kollaborationen und Kooperationen quer zu den institutionellen Gegebenheiten nämlich, die etwa dazu führten, dass Westschweizer Filmer ganz pragmatisch Fernsehfilme machten (die «Groupe 5» um Claude Goretta und Alain Tanner), dass Schweizer Literaten für das Schweizer Fernsehen Serienepisoden schrieben (im Fall von Motel) oder eben etablierte Pornoproduzenten kleine, feine, feministisch angehauchte Filmprojekte mitfinanzierten.

Julie from ohio 05

(Bild: Julie from Ohio)

Vom irdischen zum übersinnlichen Geschehen

Das Thema des Möglichen, aber auch des Vorhersehbaren und (nicht) Planbaren hat Isa Hesse-Rabinovitch in ihrem Spätwerk als Auseinandersetzung zwischen irdischen und übersinnlichen Gegebenheiten inszeniert. Geister & Gäste – in memoriam Grand Hotel Brissago ist so ein Film (1989), den die Siebzigjährige als Memento Mori mit zahlreichen Zeitzeugen und entsprechenden Reminiszenzen an frühere (und wirkliche bessere?) Zeiten gestaltete. «Alles was in der Sichtbarkeit geschieht – die Auswirkung eines “Bildes”, einer IDEE im Unsichtbaren. Alles irdische Geschehen ist gleichsam eine Nachbildung eines übersinnlichen Geschehens – auch was den zeitlichen Verlauf anbelangt, und sich später als übersinnliches Geschehen ereignet». Das sind Notizen auf einem Blatt, das Isa unter dem Titel «Das Buch zum Film» gestaltete, mit einer stilisierten Ranke im Zentrum, die spiralförmig alles einfasst, was zum Werk der Künstlerin gehörte, ihrer eigenen Ansicht nach: ganz unten findet sich die Wurzel im «Biographischen» (DOK-Filme, schreibt sie dazu). Daraus wächst die (Lebens-)Erzählung, die Isas Filme kreiert, und es wachsen einzelne Bilder, wie Schösslinge, die den Moment festhalten. Oben steht «Der Stil hält die Ranke zusammen» … und unklar bleibt, ob es sich bei der Formulierung des unterstrichenen Wortes um ein Versehen handelt oder um eine (weitere) doppeldeutige Anspielung.

Persönlicher kennengelernt habe ich Isa bei den Vorarbeiten zu einem biographisch angelegten Buchprojekt, welches ihr als Film- und Videokünstlerin ebenso wie als Netzwerkerin die Referenz erweisen sollte. Das hat dann allerdings – erwartungsgemäss, wie man im Nachhinein versucht ist zu sagen – ganz andere und unerwartete Wendungen genommen. Eigentlich sollte das Buch zu Isas Leben und Werk ja ein liebevoll kuratiertes Gemeinschaftswerk von Wissenschaftlern und Künstlern werden, nach einer schönen Herzblut-Idee von Eric Jeanneret, mit den üblichen Fördergeldern realisiert, als ehrerbietige Hommage an die damals schon hochbetagte Künstlerin (von der zu dem Zeitpunkt niemand so richtig wusste, wie alt sie tatsächlich war).

Sie hat es dann allerdings programmatisch dem hehren Gremium aus den Händen genommen und «ihr Ding» daraus gemacht. Irgendwann – auf einem fast schon poetisch zu nennenden Umweg über den Grund des Zürichsees, wo Auto und Manuskript kurzzeitig landeten, was durchaus schlagzeilenträchtig war – ist dann ein Buch unter dem bezeichnenden Titel «Das grosse Spiel Film» erschienen. Es kann mit Vergnügen und Gewinn angeschaut, gelesen und mit allen fünf Sinnen verschlungen werden.2 (Im Klappentext wird noch eine Fortsetzung unter dem Titel «Das grosse Spiel Leben» angekündigt, doch diese kam nie zustande.)

Hingegen ist dann 2009 Isa Hesse-Rabinovitch – Das grosse Spiel Film, ein Filmdokument zu Isas Leben und Werk erschienen, gedreht von Anka Schmid. In beidem, im Film wie im Buch, geht es um Isas Spiel. Um Isas mannigfaltige und letztlich unergründliche Projekte. Um ihre Ausdrucksweise, die bemerkenswert lakonisch war und trotzdem höchst vielschichtig. Um ihren «spunk» und damit auch um ihren Trotz, der durchaus aneckte und Wunden schlug. Vor allem aber um das von ihr souverän gemeisterte – und selbstverständlich unvollendet gebliebene – Lebensspiel selbst. Schade eigentlich, dass Isa das Internet-Zeitalter nicht mehr erlebt beziehungsweise die Gelegenheit gehabt hat, Blogs und ähnliche Spielereien aktiv zu gestalten. Mit ihr bei Facebook befreundet zu sein, stelle ich mir im nachhinein sehr, sehr spannend vor.

Sirenen eiland 04

(Bild: Sirenen-Eiland; Titelbild: Julie from Ohio)

1 Brigitte Blöchlinger, Alexandra Schneider, Cecilia Hausheer, Connie Betz (Hrsg.): Cut. Film- und Videomacherinnen Schweiz von den Anfängen bis 1994. Eine Bestandsaufnahme. Basel, Frankfurt, Stroemfeld, 1995

2 Isa Hesse-Rabinovitch: Das grosse Spiel Film. Bern, Benteli-Verlag, 1999

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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