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Auf der Suche nach dem idealen Klang

An was für Filmen, die in der Schweiz entstanden sind, lassen sich die Veränderungen in der Tongestaltung erkennen, und in was für einem Verhältnis stehen sie zu den Entwicklungen insbesondere in den USA? Den technischen Möglichkeiten der Klangkreation sind heute kaum noch Grenzen gesetzt.

Text: Bettina Spoerri / 01. Dez. 2010

Rädäbäng, Swusch, Zack, Wrumm, Tätsch, Klirr, Wiiuu, Bumm! – Lautmalerisch etwas behelfsmässig in Sprache umgesetzt, wirken die Klanggebilde nicht so erschlagend, wie sie einem in amerikanischen Action- und Sciencefiction-Filmen im Kino um die Ohren geschleudert werden. Doch mag das hier als Referenz auf eine mehrheitlich elektronisch erzeugte Geräuschwelt stehen, die uns erstaunlicherweise sehr vertraut geworden ist, trotz ihrer hohen Künstlichkeit. Oder vielleicht gerade deswegen? Wenn man im Kino sitzt, kauft man diese Klänge sozusagen im Package mit den computermanipulierten beziehungsweise computergenerierten Bildern ein und erwartet schon gar nicht mehr etwas anderes, ja wäre wohl geradezu enttäuscht, wenn einem bei gewissen Szenen – wenn beispielsweise ein tiefes Ostinato-Brummen nahendes Unheil verkündet – nicht der Magen zittern würde. Der Endkampf in The Lord of the Rings: The Return of the King ist vor allem auch eine gewaltige, komplexe Tonkulisse. Zu ihr gehören das dröhnende Stampfen der hässlichen Orks, das Gekreisch und heftige Geflatter der fliegenden Ungeheuer, das helle, silberne Sirren der Pfeile, die metallenen Schläge gekreuzter Schwerter oder das Scheppern der Rüstungen niederfallender Krieger: illustrative Klänge, mit denen die Filmproduktion natürlich gerne ein wenig protzt, schliesslich hat sie sich das Ganze viel kosten lassen. Wenn die psychologische Raffinesse der Filmhandlung auch eher zu wünschen übrig lässt, all die klanglichen Special-Effects werden uns im Kino wohl selten nicht erschüttern. Es kann aber durchaus der Moment kommen – und das widerfuhr mir und meinem Begleiter kürzlich in einem mit THX-System ausgestatteten Vorführsaal, als ein Trailer nach dem anderen, darunter Werbung für das US-amerikanische Fantasy-Remake Clash of the Titans mit Liam Neeson als zornigem Göttervater Zeus und einem markerschütternd brüllenden Kraken, aus den zahlreichen Boxen auf uns herniederfuhr –, dass man diese Soundorgien nicht mehr als integralen Bestandteil der Filme wahrnimmt, sondern die Klänge plötzlich als isolierte Ereignisse hört. Und dann erscheinen sie einem äusserst kurios, wenn nicht gar lächerlich.

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(Bild: The Lord of the Rings: The Return of the King)

Theoretisch betrachtet

Nun ist das Verhältnis von Bild und Ton im Film spätestens seit der Geburt des Tonfilms ein delikates und komplexes Thema, dem allerdings, verglichen mit anderen Aspekten wie Dramaturgie, Bildkomposition und -schnitt oder Kameraführung, in der Öffentlichkeit meist eher wenig Aufmerksamkeit zuteil wird. Obwohl es immer wieder Praktiker und Theoretiker gab und gibt, die sich dazu ihre kritischen Gedanken machen. Der deutsche Komponist Hanns Eisler etwa befasste sich bereits früh mit der Problematik. 1942 schrieb er in Hollywood an einem Büchlein – es erschien kurz darauf erstmals unter dem Titel «Komposition für den Film» –, in dem er die geltenden Meinungen über die Wechselwirkungen von Bild- und Tonspur kritisch beleuchtete. Wenn er sich dabei auch auf die Musikkomposition konzentrierte – und im Übrigen eine explizit moralische Haltung gegenüber den, wie er sie nannte, «eigentümlichen Bedingungen der monopol-kapitalistischen Kulturindustrie auf dem Gebiet der angewandten Musik» einnahm–, so lesen sich manche seiner Beobachtungen, als hätte er dabei auch jüngere klangtechnische Entwicklungen in seine Überlegungen einbezogen. «Die Massenproduktion des Films», schreibt er zum Beispiel, «hat zur Herausbildung von typischen Situationen, immer wiederkehrenden emotionalen Momenten, standardisierten Spannungsreizen geführt. (…) Die beabsichtigte starke Wirkung wird dadurch vereitelt, dass der Reizeffekt von unzähligen analogen Stellen her vertraut ist.» Oder etwa auch: «Das immerwährende espressivo [sic] stumpft vollkommen ab. Selbst gute dramatische Momente werden durch übersüssliche Begleitung oder dramatische Überexposition zu Kitsch.» (zitiert aus: Hanns Eisler: Komposition für den Film. Verlag Bruno Henschel und Sohn, Berlin 1949, S. 20f.)

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(Bild: The Conversation)

In ähnlicher Weise entsprechen heute viele Soundelemente bestimmten Klischeewirkungen; das Reservoir könnte im Prinzip unendlich sein, doch in manchen Filmproduktionen, vornehmlich in der amerikanischen Industrie für Unterhaltungsfilme, wird es auf ein Repertoire bekannter Einheiten reduziert, was natürlich vor allem auch ökonomische Gründe hat. Eine solche Handhabung bewirkt, dass wir auf bestimmte Klangprodukte mittlerweile so konditioniert sind, dass sie vor unserem inneren Auge entsprechende Bilder evozieren. Beispielsweise weckt ein bestimmtes quietschendes Bremsgeräusch unwillkürlich das Bild von Füssen, die den Boden aufwühlen, oder ein bestimmtes Klatschgeräusch Bilder von Figuren, die von zuschlagenden Türen flach gepresst werden. Bilder und Töne, die wir aus Animationsfilmen insbesondere mit halbmenschlichen Tierfiguren wie Tom & Jerry oder Bugs Bunny kennen (beide um 1940 in der heute bekannten Form erstmals in Filmen präsent – und vor allem in den sechziger Jahren sehr erfolgreich). Dieses «Mickey-Mousing» mit seiner eindeutigen, ja ganz vereinfachten Kopplung von Ursache (Geräuschquelle) und Wirkung (erzeugtes Geräusch) kam Ende der zwanziger Jahre auf und wird bis heute insbesondere in Animationsfilmen noch immer angewendet. Auch Actionfilme präsentieren solche Sounds «aus der Dose», Effekte, die sich bewährt haben und «funktionieren». Auch die monumentalen Klangwelten, wie sie für US-Filme wie The Matrix (1999) oder Avatar (2009) oder einen Katastrophenfilm wie Armageddon (1998) eigens kreiert werden, sind in diesem Kontext besonders «glänzende» Produkte und werden gerne auffällig und kaum überhörbar in den Vordergrund gestellt. Die Geschichte des Sound Designs – ein Begriff, der so in den sechziger Jahren aufgekommen ist – hat Barbara Flückiger in ihrer Dissertation «Sound Design. Die virtuelle Klangwelt des Films» in umfassender und höchst informativer Weise aufgearbeitet. Bei ihr kann man die Entwicklung der Tontechnik nachlesen und zahlreiche Fallbeispiele studieren, die von Blackmail (GB 1929) von Hitchcock über Lawrence of Arabia (GB 1962) von David Lean bis hin zu Jurassic Park (USA 2003) von Steven Spielberg reichen. Das Buch ist mittlerweile zum Standardwerk für alle an dem Thema Interessierten geworden.

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(Bild: Grauzone)

Sound Design Schweiz

An was für Filmen, die in der Schweiz entstanden sind, lassen sich die Veränderungen in der Tongestaltung erkennen, und in was für einem Verhältnis stehen sie zu den Entwicklungen insbesondere in den USA? Den technischen Möglichkeiten der Klangkreation sind heute kaum noch Grenzen gesetzt. Auch in Schweizer Filmproduktionen, die nicht über die riesigen Budgets wie Produktionsstudios in den USA verfügen, kann dank digitaler Technik mit verhältnismässig wenig Aufwand eine ausgefeilte Sounddesign-Arbeit geleistet werden. Meist arbeiten hierzulande Tontechniker, Sounddesigner beziehungsweise auch Geräuschemacher allein oder allenfalls zu zweit an einem Film mit – selten mehr (in grösseren US-Produktionen hingegen können es bis zu hundert Leute sein). Hört man sich die Soundspuren von Schweizer Filmen gezielt an, konzentriert man sich auf den Einsatz der Klangmittel und ihre Position im Verhältnis zu den Bildern, zeigt sich deutlich, dass in der Schweiz eine andere Kultur der Klangwelt-Kreation vorherrscht: Man könnte sagen, eine etwas minder aufschneiderische, eine bescheidenere, gleichsam dezentere – aber nichtsdestoweniger eine neugierige und immer wieder sehr experimentierfreudige. Dass dies nicht nur Folge anders dimensionierter Produktionsbudgets sein kann, zeigt sich, wenn man sich über dieses Thema mit Tontechnikern und Sounddesignern unterhält, von denen viele seit Jahrzehnten den klanglichen Auftritt von Schweizer Spiel- und Dokumentarfilmen prägen, und sie aus ihrer Werkstatt erzählen lässt.


Eine wichtige Person auf diesem Gebiet ist Florian Eidenbenz. Der 1947 in Basel geborene Tontechniker und Sounddesigner bildet zusammen mit Christian Beusch, Dieter Lengacher und Guido Keller heute das Team des Tonstudios Magnetix, das er 1980 aufgebaut hat. Eidenbenz formte beispielsweise das Sounddesign (und die Mischung) von Filmen wie Grauzone (1979) und Höhenfeuer (1985) von Fredi M. Murer, Signers Koffer (1996) von Peter Liechti, War Photographer (2001) von Christian Frei und Nachbeben (2005) von Stina Werenfels oder verantwortete etwa auch die Mischung zu Chicken Mexicaine (2007) von Armin Biehler. Und gemeinsam mit Peter Bräker gestaltete er die Soundspur von Hugo Koblet (2010) von Daniel von Aarburg. Sein Partner bei dieser Arbeit, der «Geräuschemacher» und Sounddesigner Peter Bräker, arbeitet seit zwölf Jahren mit dem Komponisten Balz Bachmann zusammen, zuletzt bei Giulias Verschwinden (2009) von Christoph Schaub.

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(Bild: Florian Eidenbenz bei den Dreharbeiten zu Grauzone)

Ein weiteres Tonstudio befindet sich nur wenige hundert Meter von Magnetix entfernt in Zürich: das Digiton-Tonstudio von Jürg von Allmen, der dieses 1989 gegründet und seither bei zahlreichen TV- und Kinofilmen mitgearbeitet hat. Darunter befindet sich unter anderem Brandnacht (1990) von Markus Fischer: einer der ersten Filme in der Schweiz, der eine voll digitale Tonspur aufweist – hergestellt mit einer Software, die heute eines der meistgebrauchten Tonschnitt-/Sounddesignsysteme weltweit ist und bei dessen Entwicklung von Allmen an der Synchronisation für Bild aktiv beteiligt war. Auf der Produktionsliste von Digiton figurieren etwa auch Accordeon Rribe (2003) von Stefan Schwietert, Der lange Weg nach Santiago (2007) von Bruno Moll und Sommervögel (2010) von Paul Riniker.

Es ist wohl nicht übertrieben zu sagen, dass die genannten Tontechniker mit ihren Studios mehr als etwa siebzig Prozent der Deutschschweizer Filmproduktionen betreuen. Eidenbenz verweist zudem auf die in diesem Bereich prominenten Westschweizer Tonleute Luc Yersin – der vor zwei Jahren starb und zuletzt unter anderem die Tonspur von Ursula Meiers Home verantwortete – und François Musy. Allerdings habe in der französischsprachigen Schweiz, unter dem Einfluss von Paris, der «Son direct» das Sounddesign amerikanischer Prägung stark zurückgebunden. Als besonders experimentierfreudige Filmemacher wären hier unter anderen Robert Bresson und Jean-Luc Godard zu erwähnen.

Historisch betrachtet

Florian Eidenbenz ging 1971, nach Abschluss eines Chemiestudiums in Basel, an die London Film School und begann 1973 in dieser Stadt mit verschiedenen Tonassistenzen. «Sounddesign» war damals noch weitgehend, wie er es formuliert, «ein weisser Fleck auf der Landkarte». Doch er habe das Gefühl gehabt, «da passiert’s». Und nachdem er 1976 nach Zürich übersiedelt war, baute Eidenbenz ein eigenes Tonstudio auf. Die siebziger Jahre, in denen er unter anderem auch an Fredi M. Murers Grauzone mitarbeitete, waren nicht nur für ihn eine wichtige Zeit. Die Dekade steht auch für den grösseren Aufbruch, der in dem Fachgebiet weltweit – und in der Schweiz – stattfand. Dieser Entwicklungsprozess ist in seiner ganzen bunten Auffächerung bis in die Gegenwart in dem soeben erschienenen, vom Schweizer Jazzmusiker, Komponisten und Computerpionier Bruno Spoerri herausgegebenen Buch «Musik aus dem Nichts. Die Geschichte der elektroakustischen Musik in der Schweiz» (Chronos Verlag, Zürich 2010) dargestellt. Hier nur einige Hinweise auf wichtige Etappen: Ende der vierziger Jahre experimentierten Henry Schaeffer und Pierre Henry in Frankreich mit Tonaufzeichnungsgeräten und erarbeiteten ein Vokabular für ihre «Musique concrète»; in den USA setzten sich Otto Luening und Vladimir Ussachevsky zu gleicher Zeit mit ähnlichen Fragen auseinander. In der Schweiz entstanden in den fünfziger Jahren die ersten «Tonjägerverbände», die nicht nur besondere Tonereignisse aufzeichneten, sondern auch Toncollagen und Tonmontagen produzierten. Schon ab Ende der fünfziger Jahre wurde auch beim Film-Ton eifrig probiert, getüftelt und kombiniert. Beispiele dafür sind Filme wie Gefahr Nord-West (1958) von Peter Moeschlin und Andreas Demmer, Siamo italiani (1964) von Alexander J. Seiler oder Ddanach [sic!] (1970) von Robert Cohen. Diese Filme nehmen historisch auch insofern eine besondere Stellung ein, als in ihrer Produktion die ansonsten damals noch immer vorherrschende Trennung zwischen der Erarbeitung der musikalischen Ebene und derjenigen anderer akustischer Elemente (Geräusche, Klänge) teilweise aufgehoben wurde. Ausserdem war die Werbung ganz vorne mit dabei: So engagierte die Werbefirma Advico Ende 1964 mit Bruno Spoerri erstmals einen «Verantwortlichen für Tongestaltung», was die gesamte Sound-Gestaltung inklusive Musik meinte, also Techniker und Künstler gar in einer Person vereinte. Und die im selben Jahr stattfindende Expo, die Landesausstellung in Lausanne 1964, machte nicht nur das breitere Publikum mit elektronischen Klängen bekannt, sondern ging auch etwa mit Henry Brandts La Suisse s’interroge mit einer neuen Bewegung im Schweizer Filmschaffen einher.

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(Bild: Grauzone)

In den siebziger Jahren wurde vor allem im Bereich der Produktion von Science-Fiction-Filmen mit Klängen experimentiert. In den USA entstanden in diesem Jahrzehnt unter anderen THX 1138 (1971) von George Lucas und Close Encounters of the Third Kind (1977) von Steven Spielberg. 1979 markiert ein wichtiges Jahr, weil der von Paramount produzierte Startrek – The Motion Picture startete. Gibt es heute besondere Filmunits, die sich mit Sounddesign beschäftigen, waren es damals Tontechniker und Klangexperten, die erstmals in einem besonders aufwendigen Wettbewerb aufeinandertrafen, um neue Sounds für einen Film auszutüfteln, der von Menschen bisher ungehörte Klangphänomene vorführen sollte. Wie könnte es klingen, wenn sich die Besatzungsmitglieder irgendwohin «beamen» lassen? Regisseur Robert Wise und Editor Todd C. Ramsay suchten nach ganz neuen, von digitalen Synthesizern kreierten Sounds, die manchmal mit akustischen Aufnahmen kombiniert wurden und sich vom bekannten und klischierten Vokabular deutlich abheben sollten.

Schlüsselfilme

Im selben Jahr kam Grauzone von Fredi M. Murer in die Kinos. Florian Eidenbenz bezeichnet den Film auch bezogen auf den Soundbereich als eines der wichtigsten Werke des jüngeren Schweizer Films, verweist dabei auf die zeitliche Nachbarschaft mit Francis Ford Coppolas The Conversation und betont: «Die beiden Filme weisen merkwürdige Parallelen in der Inszenierung neuer Möglichkeiten des Abhörens auf.» Im Zentrum von The Conversation, der 1974 in den USA seine Premiere feierte und bei dem Walter Murch für die Tonmontage verantwortlich zeichnete, steht der Abhörspezialist Harry Caul (gespielt von Gene Hackman). Er kann mit einer ausgeklügelten technischen Anlage die einzelnen Sätze eines von mehreren Richtmikrophonen aufgenommenen Gesprächs zwischen einem jungen Liebespaar mitten auf dem Union Square in San Francisco aus dem amorphen urbanen Geräuschteppich herausfiltern. (In seiner Grundidee ist der Plot von Antonionis Blow up von 1966 beeinflusst.) In Grauzone arbeitet die Hauptfigur Alfred (gespielt von Giovanni Früh) als Abhörfachmann für einen Grossindustriellen. Die zwei Filme, die übrigens beide technische Visionen und keine Realitäten präsentieren, enden für die Protagonisten ziemlich unterschiedlich; doch in unserem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass in beiden der technische Tonkanal dramaturgische Funktionen übernimmt, sozusagen handlungsfähig wird. Zum einen treibt ihre Abhörtätigkeit Harry sowie Alfred in die Vereinsamung und Entfremdung und bestimmt so wesentlich ihre Beziehungen zu Mitmenschen und Partnerinnen – die Filme sind Studien über die Wirkung des Eindringens von Technik in die intimste Privatsphäre und die Zerstörung individueller Freiheit –, zum anderen aber öffnet gerade diese Technik Murers Alfred neue Räume: Durch das Vogelstimmen-Hören und -Lokalisieren im Wald findet er zu sich selbst und dadurch am Ende zur Kraft, seine beengte, lähmende Existenz aufzusprengen. Hier ist es der Ton, der die Orte prägt – und eigentlich erst in zweiter Linie, könnte man sagen, das Bild an sich.

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(Bild: The Conversation)

In einem fast umgekehrten Sinn ist sodann auch Murers Höhenfeuer (1985) ein Schlüsselfilm in der Sounddesign-Arbeit in der Schweiz. Wie kann man mit dem Sounddesign zeigen, dass eine der Hauptfiguren taubstumm ist? Eidenbenz: «Das ist ein typisches Sounddesignproblem. Gar kein Ton wäre die eine konsequente Möglichkeit gewesen, oder das Gegenteil: Die Realität so voll machen, dass man sich beim Schauen fragt, wie das ist, wenn man von dieser Erfahrung ausgeschlossen ist.» Zweiundzwanzig Soundspuren für Höhenfeuer zeugten vom Ehrgeiz, beispielsweise Schnee hörbar zu machen. Zum Klangteppich gehörten vor allem auch die Klänge einer Windharfe – ein Instrument, das vom Wind, also nicht von einem Mensch gesteuert wird, aber doch eine «menschliche» Instrument-Erfindung ist – zur Wahrnehmungswelt des Buben im Film. Und Eidenbenz erzählt, wie Murer, der Tontechniker Martin Witz – damals Tonassistent – und Patrick Lindenmaier – als Kameraassistent – nachts im Scheinwerferlicht eines Autos im ruhigen Park hinter dem Hegibachplatz in Zürich den Ton für jene Szene aufnahmen, in der Belli die Schuhe putzt und dabei zur Musik aus dem kleinen Transistorradio tanzt. Der Bub beobachtet das, wird eifersüchtig und beginnt, den Radioapparat zu suchen, den sie in einem Schuh versteckt hat, um ihn schliesslich, nachdem er ihn gefunden hat, in den Brunnen zu werfen. Die Bewegungen des Radios, seine dumpfen Töne im Schuh, sein Klang, wenn er durch die Luft gewirbelt wird, der Senderwechsel bei einem Aufschlag und zuletzt das Platschen ins Wasser wurden also nicht in technischer Nachbearbeitung generiert, sondern mit realen Bewegungen – «to worldize» heisst das im Fachjargon – erarbeitet.

Erfundene Töne

Realistische Geräusche, also von realen Geräuschquellen abgenommene und reproduzierte Töne, klingen aber im Kino nicht unbedingt stets glaubwürdiger und «authentischer». Peter Bräker wird oft als «Tontüftler» bezeichnet, und er ist auch das, was man früher einen «Tonjäger» nannte: Er ist immer mit dem Mikrophon – oder manchmal auch nur mit dem iPhone – unterwegs und nimmt überall Töne auf, die ihm speziell oder einfach aufzeichnungswürdig erscheinen. «Da gibt es zum Beispiel diese Strecke zwischen Bellinzona und Lugano, wo der Zug zu singen beginnt», erzählt er, «oder dann möchte ich schon lange einmal gerne das einzigartige Geräusch der Kasse im Raum des Restaurants Eisenhof hier in Zürich aufnehmen …»

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(Bild: Grauzone)

Sein Studio im Zürcher Industriequartier lädt zum Verweilen, Spielen und Entdecken ein. Neben verschiedensten Musikinstrumenten sind hier zahlreiche kleine und grössere Gegenstände versammelt, die ebenso zu speziellen Instrumenten, zu Quellen besonderer Klänge werden können. Während unseres Gesprächs holt er einen unscheinbaren Stoffsack, legt ihn auf die Tischfläche und beginnt, ihn zwischen seinen Fingern zu kneten: Das klingt, als ob jemand durch hohen, trockenen Schnee stapfen würde, ein knirschendes, helles Geräusch. Der dünne Stoffsack ist mit Maizena gefüllt – und erfüllte als solcher etwa die Funktion, die Schritte der Titelfigur in Thomas Imbachs lenz (2005) bei ihren einsamen Gängen durch die Alpenlandschaft darzustellen. Meist jedoch “bastelte” Bräker bei der Arbeit für Imbach die Geräusche ganz neu zusammen – so erzeugte er etwa das Quietschen der Turnschuhe auf dem Hallenboden oder das Galoppieren von Pferden auf erdigem Boden in Ghetto (1997) oder das Geräusch des Eises in lenz synthetisch. Die Töne erhalten so ihre eigene Geschichte, sie sind zwar “erfunden”, von nichtsahnenden Ohren von den realen Klangdimensionen solcher Ereignisse trotzdem kaum zu unterscheiden – sie sind grundsätzlich verfremdet, analytisch behandelt, reduziert und von Grund auf neu kreiert. Peter Bräker arbeitete auch an Hugo Koblet – Pédaleur de charme mit, bei dem das Archivmaterial neu vertont wurde – schlussendlich waren es knapp über hundert Spuren, die im Magnetix-Tonstudio zusammengemischt wurden.

Grenzenlose Möglichkeiten

Mit der schnellen Entwicklung der Dolby-Technologien und den Computern seit den sechziger Jahren gibt es immer mehr Möglichkeiten, Sound zu generieren beziehungsweise zu kombinieren und zu bearbeiten. Das hat für die Tontechniker Vor- und Nachteile. Dem Tontechniker und Filmemacher Martin Witz verleiht die hohe Verfügbarkeit von Soundmaterial, wie er sagt, «ein paradiesisches Gefühl». Man sei heute von allen möglichen Lösungen «nur einen Mausklick entfernt» und könne wie ein Klangbildhauer oder gar wie ein Chirurg an feinsten Nuancen arbeiten. Doch gerade für Dokumentarfilme stellt die Tonführung immer wieder wesentliche filmisch-narrative Probleme. So entschied sich Witz beispielsweise bei der Arbeit an seinem Dokumentarfilm Dutti, der Riese letztlich dafür, nur jene Zitate von Duttweiler einzubauen, von denen historische Aufnahmen existierten, die also mit der authentischen Stimme wiedergegeben werden konnten: «Wir wollten den Sätzen ihren Körper zurückgeben.» Bei der Arbeit an seinem neuen Film über die Geschichte des LSD stellt sich Martin Witz wiederum die Frage, wie die bewusstseinserweiternde Erfahrung der Droge im Filmsound hörbar gemacht werden kann.

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(Bild: Indiana Jones and the Temple of Doom)

In der Grenzenlosigkeit der technischen Möglichkeiten sieht Eidenbenz hingegen auch die Gefahr, dass man sich gar nicht mehr vorzustellen vermag, wie es klingen könnte; dass Machbarkeit und Benutzungsgewohnheiten die Visionen verdrängt haben. «Das ist eine Falle: So wird man zum Dekorateur der eigenen Idee.» Idealerweise aber gehe man heute noch mit Herzklopfen in die Mischung. Einig sind sich die Sounddesigner darüber, dass ihre Arbeit im Dienste des “Gesamtkunstwerks” Film steht und am besten im versteckten Bereich funktioniert, wenn sie also nicht bewusst wahrgenommen wird. «Idealerweise hat jeder Film seine eigene Klangwelt», sagt Peter Bräker. Und Jürg von Allmen formuliert zu dem Paradox auf seiner Website Folgendes: «Je weniger die Arbeit des Sounddesigners auffällt, um so näher kommt sie der Realität. Wir können uns gewollt von der Realität entfernen, um gewisse Situationen zu verstärken, aber mit dem Ziel, dem Publikum ein optimales Gefühl für die Szene im Sinne der Erzählung zu geben.» Dazu gehören etwa auch “Tricks” wie die, dass ein Helikopter wie ein Helikopter tönt – mit dem Flappflapp der rotierenden Blätter –, auch wenn er von der Kameraposition her im Film gar nicht so klingen würde. In Space Tourists (2009) von Christian Frei sitzt man im Helikopter und hört trotzdem das Schlagen der Rotorblätter – das man in Realität da gar nicht hören würde. Doch den realen Ton dieser Position wiederzugeben, würde die Zuschauer befremden – wohl auch, weil nur wenige selbst schon in einem Helikopter geflogen sind.

Ein Bereich, der sich technisch stark entwickelt hat, ist das räumliche Arrangement von Klängen – nicht zuletzt im Zusammenhang mit Dolby Surround- und THX-Systemen in den Kinos. Als anschauliches Beispiel aus seiner Arbeit nennt Florian Eidenbenz sein Sounddesign in Chicken Mexicaine, wo der Klangraum mit dem Nachhall an der nahen Wand hinten nicht nur die Figuren im Film, sondern auch das Publikum im Kino umhüllt und dieses so mit in die Enge des Gefängnisses einschliesst.

Wo früher eine starke Trennung zwischen Ton- und Musik-Verantwortlichen vorherrschte, gibt es heute immer mehr Vermischungen. Das Sounddesign wird immer mehr zu einem integralen Teil der Entwicklung eines Films und wird von Anfang an in dessen Konzeption berücksichtigt. Eine Folge davon ist, dass es mittlerweile auch Sounddesign-Kurse für Komponisten gibt. So kreiert insbesondere der Musiker Marcel Vaid heute nicht nur Filmmusik, wie zum Beispiel für Tandoori Love (2008) von Oliver Paulus oder Bon appétit (2010) von David Pinillos, sondern auch Klangteppiche, die Musik, Ton und Geräusche umfassen. Für seine vielschichtige Arbeit in Ayten Mutlu Sarays Zara (2008) hat er den Schweizer Filmpreis 2009 erhalten. Doch hier öffnet sich nochmals ein grosses, neues Feld. Auf jeden Fall sind wir damit weit entfernt von jenem effekthascherischen Sound-Geprotze, das den Anlass für diesen Text gegeben hat.

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(Letztes Bild: The Lord of the Rings: The Return of the King; Titelbild: Grauzone)

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 8/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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