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Zbanic

«Ich wollte diesen betont femininen Touch»

Ich zeige ein Porträt der Stadt durch die Augen meiner Figuren. Möglich, dass einem Ausländer eher die Schäden auffallen würden. Wenn man dort tagein tagaus unterwegs ist, gewöhnt man sich wohl daran. Für meine Figuren ist Sarajewo jedenfalls eine wunderbare Stadt, sie leben gern dort, sie haben alles, was sie brauchen, sie lieben sich.

Text: Marli Feldvoss / 01. Sep. 2010

FILMBULLETIN Hätten Sie sich vor fünf Jahren, als Sie Grbavica gedreht haben, vorstellen können, dass sie als nächstes einen Film über den «Kulturkampf» zwischen der westlichen und islamischen Welt drehen würden?

JASMILA ZBANIC Als ich am Schnitt von Grbavica gesessen habe, hatte ich so ein paar Ideen im Kopf, die jetzt im Film zu sehen sind. Aber ich konnte das so nicht voraussehen.

FILMBULLETIN Ich denke natürlich besonders an die «islamische Gefahr». Wann hat sich das eigentlich in Bosnien entwickelt?

JASMILA ZBANIC Wenn man sich die Realität in Bosnien anschaut, dann lag der Höhepunkt bereits vor dem 11. September. Saudi-Arabien pumpte eine Menge Geld ins Land, um radikale Ideen unter die Leute zu bringen. Aber nach dem 11. September haben die Amerikaner sehr stark interveniert, um den Einfluss Saudi-Arabiens einzudämmen. Heute ist es eher so, dass der islamische Einfluss zurückgeht. Ich weiss aber nicht, wie das weitergehen soll, seit die EU für Bosnien keine Visa mehr ausgibt und den Eintritt Bosniens in die EU verhindert hat. Das ist furchtbar für uns. Die Bosnier verstehen sich als Europäer, und jetzt kommen Signale aus Europa, dass wir – als Moslems – unerwünscht sind. Das könnte die Verhältnisse auch wieder in andere Bahnen lenken. Das befeuert auch die nationalistischen Kräfte.

FILMBULLETIN Ihre Bilder aus Sarajewo zeigen keine muslimisch geprägte Stadt. Die grosse Moschee steht ausgerechnet in der Nachbarschaft von sozialistischen Wohnblocks. Das Paar Luna und Amar macht einen sehr westlichen Eindruck.

JASMILA ZBANIC Sarajewo-Stil, würde ich sagen. In den Kreisen, in denen ich mich bewege, ist das, was Sie westlich nennen, das durchschnittliche Erscheinungsbild. Das gilt für Sarajewo und den grössten Teil Bosniens. Sie sind ein Paar, das arbeitet, gebildet, sehr liberal ist, viel auf Reisen unterwegs ist. So sind bei uns die meisten Leute.

FILMBULLETIN Und es geht ihnen nicht schlecht.

JASMILA ZBANIC Stimmt. Sie leben in einer sehr kleinen, nicht unbedingt luxuriösen Wohnung, aber es geht ihnen sehr gut

Na putu 03

FILMBULLETIN Kerry Fox, die Hauptdarstellerin von Storm, hat mir kürzlich erzählt, dass sie sehr erschrocken war, als sie vor einem Jahr mit Hans-Christian Schmid nach Sarajewo zurückkehrte. Sie hatte erwartet, dass sich so viele Jahre nach dem Krieg mehr verändert hätte. (Fox hatte dort unmittelbar nach Kriegsende mit Michael Winterbottom Welcome to Sarajewo gedreht.) In Ihrem Film gewinnt man hingegen den Eindruck, dass sich Land wie Stadt weitgehend erholt haben.

JASMILA ZBANIC Ich zeige ein Porträt der Stadt durch die Augen meiner Figuren. Möglich, dass einem Ausländer eher die Schäden auffallen würden. Wenn man dort tagein tagaus unterwegs ist, gewöhnt man sich wohl daran. Für meine Figuren ist Sarajewo jedenfalls eine wunderbare Stadt, sie leben gern dort, sie haben alles, was sie brauchen, sie lieben sich. Ich zeige, wie sie sich fühlen. Aber zufälligerweise deckt sich das mit meinen eigenen Ansichten (lacht).

FILMBULLETIN Sie haben eingangs gesagt, dass der Zulauf zu muslimischen Gemeinden eher zurückgeht, im Film ist es aber genau umgekehrt.

JASMILA ZBANIC Es soll ja kein Dokumentarfilm sein. Es ist meine fiktive Geschichte, die eher als Metapher zu verstehen ist. Ich will ja nicht wie eine Journalistin Urteile über die islamische Entwicklung abgeben. Für mich ist wichtig, dass sich eine Person verändert und wie die andere Person sich dazu verhält. Es könnte genauso gut ein Film über orthodoxe Juden sein – auch die sind in Bosnien zu finden. Das ist eigentlich egal. Ich habe mich so entschieden, weil ich mehr darüber weiss, mehr darüber recherchiert habe, weil ich die Wahabiten auch visuell interessant finde und weil es so ansprechender oder relevanter für europäische Zuschauer ist. Jeder weiss, dass es in Berlin weitaus mehr verschleierte Frauen gibt als in Sarajewo. Ich möchte, dass der Film als Film gesehen wird und nicht als Informationsquelle für dieses Thema.

FILMBULLETIN Aber “wir” – als Aussenseiter – schauen doch auch auf den politischen Informationsgehalt eines Films. Man fragt sich natürlich, warum setzt sie nun ausgerechnet dieses Paar mit diesem Konflikt ins Bild.

JASMILA ZBANIC Aber für meine Geschichte ist es wirklich nicht wichtig, ob diese streng religiösen Gemeinschaften nun wachsen oder nicht. Wichtig ist, dass Amar sich dieser Gemeinde anschliesst.

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FILMBULLETIN Sie haben eine Menge Recherchen über dieses Wahabiten-Camp angestellt, das es wirklich gegeben hat. Für den Zuschauer ist es total überraschend, wenn die beiden Frauen den See überqueren und sich plötzlich in einer völlig anderen Welt befinden, wo es nicht einmal eine Handy-Verbindung gibt. Eine Welt, die völlig abgeschottet sein will.

JASMILA ZBANIC Dieses Camp existiert nicht in Wirklichkeit. Wir haben es extra aufgebaut. Allerdings auf dem Grund und Boden, wo tatsächlich einmal ein solches Camp gestanden hat. Wir haben es originalgetreu nach Fotos nachgestellt. Wir wollten den orientalischen Touch unterstreichen, das archaische Gefühl, ohne Technologie auszukommen, jenseits der heute vertrauten Alltäglichkeiten zu leben. Wir hatten eine Drehgenehmigung von den Besitzern, es sind noch dieselben wie damals.

FILMBULLETIN Luna und Amar sind ein ungleiches Paar. Sie erscheint als die Stärkere, er lässt sich gehen, fängt an zu trinken. Warum haben Sie das so angelegt?

JASMILA ZBANIC Sie haben doch beide Wunden und Risse in ihrer Persönlichkeit – nur wie sie damit umgehen, ist völlig verschieden. Luna ist praktischer, geht das Nächstliegende an und hat mehr Kontrolle über ihre Gefühle, obwohl auch sie vieles verbirgt. Zehn Jahre lang war sie nicht in ihrer Heimatstadt, hat nie darüber gesprochen. Wenn ihre Grossmutter davon anfängt, wechselt sie das Thema. Und Amar – für mich ist er nicht der Schwächere, aber er weiss nicht, wie er mit seinen Problemen umgehen soll oder fühlt sich überfordert. Deshalb findet er diese Gruppe attraktiv, die ihm ein bequemes Leben, Wärme, Brüderlichkeit und Frieden bietet. Die einfachste Lösung. Luna hält wiederum nichts von einfachen Lösungen. Für Amar kommt auf diese Art alles schnell ins Lot: es gibt ein Konzept, Vorschriften, er muss nur gehorchen. Ich konfrontiere ihn mit der Herausforderung, dass Luna ihn verlassen will. So wird er gezwungen, noch einmal über alles nachzudenken.

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FILMBULLETIN In Ihrer Crew finden sich Mitarbeiter aus ganz «Jugoslawien». Wollten Sie das ausdrücklich so oder ist es eine Notwendigkeit?

JASMILA ZBANIC Für mich ist das völlig natürlich. Ich möchte damit gar nichts beweisen. Ich möchte nur mit den besten Leuten arbeiten, für mich hat Kunst keine Nationalität. Mirjana Karanovic ist eine wunderbare serbische Schauspielerin, die in Belgrad lebt. Wir stehen uns nah und haben die gleichen Ansichten über das, was wir machen. Das gleiche gilt für meine Kamerafrau Christine Maier aus Berlin. Diese Wahl hat wiederum nichts mit irgendwelchen Produktionsbedingungen zu tun. Ich arbeite gern mit einer internationalen Crew und mit Leuten, die mehr wissen als ich. Nur so kann ich mich weiterentwickeln.

FILMBULLETIN Sind Ihre Filme eigentlich auch in den anderen ex-jugoslawischen Ländern zu sehen? Wo verlaufen die kulturellen Grenzen?

JASMILA ZBANIC Na Putu wird gleich nach der Berlinale Premiere in Sarajewo und Kroatien haben, um den Rest muss sich dann der Weltvertrieb kümmern. Grbavica ist damals nicht in Serbien herausgekommen, es gab nur eine Vorstellung mit zweitausend Zuschauern auf einem Festival in Belgrad. Wir sind zwar alle bedroht worden, es lief aber alles gut. Es war eine sehr bewegende Veranstaltung.

FILMBULLETIN Die Bildgestaltung in Na Putu ist eher konventionell, was die Kameraführung anbelangt. Klare Linien, eine klare Erzählung.

JASMILA ZBANIC Ich versuche schon beim Schreiben, die visuelle Gestaltung mitzudenken. Ich wollte diesen betont femininen Touch mit Pastellfarben und sanften Bewegungen. Es gab von der inneren Befindlichkeit her keinen Grund, eine Hand- oder Schulterkamera einzusetzen oder schmutzige Bilder zu drehen. Die Kamera sollte sich den Emotionen von Luna und Amar anpassen. Ich wollte die Essenz jeder Szene in sparsamen Bewegungen, wenigen skizzenhaften Strichen finden. Stil ist für mich ein Teil des Inhalts.

Das Gespräch mit Jasmila Zbanic führte Marli Feldvoss während der Berlinale 2010.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 6/2010 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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