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Douglas Trumbull

Douglas Trumbull gilt als Pionier der modernen Tricktechnik. Wie ist der Tüftler zum Berater für spezial effects und Regisseur geworden, der unsere Vision von Science-Fiction massgeblich mitgeprägt hat, u.a. mit Klassikern wie 2001 – A Space Odyssey, Star Trek oder Blade Runner? Wie hat sich sein Metier mit der digitalen Technik verändert?

Text: Michael Ranze / 07. Nov. 2013

Michael Ranze Ich würde gern mit dem Beginn Ihrer Karriere anfangen. Wie sind Sie zum Filmgeschäft gekommen, was waren Ihr Hintergrund und Ihre Ausbildung?
Douglas Trumbull Ich habe eine Highschool-Ausbildung, war sogar kurze Zeit auf dem El Camino Junior College, aber ich war begierig zu arbeiten. Ich habe mich leidenschaftlich für Science-Fiction interessiert, und dann habe ich angefangen zu zeichnen. Ich wurde ein ziemlich erfolgreicher technischer Illustrator in einem Airbrush Office, wo es um fotorealistische Zeichnungen ging. So war mein Portfolio voll mit diesen Werbezeichnungen. Dann suchte ich nach “richtiger” Arbeit, und zwar in Hollywood. Jemand vermittelte mich zu Graphic Films, wo ich an animierten Werbefilmen über den Weltraum für die Nasa (Space in Perspective) und die US-Air-Force (Lifeline in Space) gearbeitet habe. Das waren zu Beginn sehr traditionelle Filme, über das Apollo-Programm zum Beispiel, oder spezielle Filme für den Senat über den Etat, der nötig wäre, um zum Mond zu fliegen.

Wann war das?

Das war in der ersten Hälfte der sechziger Jahre. Ich malte, wie ich mir die Umkreisung des Mondes oder eine mögliche Landung vorstellte. Und dann erhielt Graphic Films den Auftrag, einen Film mit dem Titel To the Moon and Beyond zu drehen. Der wurde dann in einem Planetarium auf einer riesigen Leinwand im sogenannten «Cinerama 360»-System projiziert. Das ist ein 70mm-Film, der bei horizontaler Aufnahme ein sich über zwei normale Bildflächen erstreckendes extremes Weitwinkelbild ermöglicht. Der Film war fast vollständig animiert und deckte ganz viele Themen ab, vom Urknall bis zur Unendlichkeit – in fünfzehn Minuten (lacht). Ich war für das gesamte Artwork zuständig. Diesen Film hat dann 1964 Stanley Kubrick auf der New Yorker Weltausstellung gesehen, und zwar ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als er 2001: A Space Odyssey vorbereitete. Und so hat er mich einfach engagiert.

Das wäre meine nächste Frage gewesen: Wie hat die Arbeit mit Stanley Kubrick angefangen?

Es ging für mich mit einem kleinen Beratervertrag los. Kubrick wollte zunächst die Welt der visuellen Effekte verstehen, aber auch ein Gefühl für die Gestaltung des Weltraums bekommen. Ich habe dann erst einmal Mondbasen und Raumschiffe designt – bis Kubrick entschied, dass die gesamte Produktion nach London verlagert werden sollte. Stellen Sie sich das einmal vor: Damals gab es keine Faxmaschine, kein Internet, keine Fotoübertragung per Mail, kein Fedex, der Pakete rasch hin- und hergeschickt hätte – es hätte Wochen gedauert, um halbwegs vernünftig miteinander zu kommunizieren. Darum kündigte Kubrick meinen Vertrag, ich war plötzlich meinen Job los, zumal die Firma keine weiteren Aufträge in der Pipeline hatte. Darum habe ich Kubricks Telefonnummer herausgefunden, ihn angerufen und ihm gesagt: «Hey, ich will trotz aller Probleme an deinem Film mitarbeiten. Ich komme einfach rüber.» Kubrick schickte mir und meiner Frau umgehend Flugtickets. Und so begann ich mit meiner Arbeit an 2001.

Vor allem ging es dabei um Animation. Mein erster Auftrag waren zum Beispiel die Bildschirme von HAL, also die animierten Grafiken, die aussehen mussten, als würden sie wirklich aus einem Computer kommen. Wir merkten rasch, dass bei sechzehn Bildschirmen für sechzehn Projektoren Tausende Filmmeter hätten produziert werden müssen. So animierten wir zunächst einen Frame nach dem anderen, dabei traditionelle Techniken benutzend. Nummer eins hier, Nummer zwei dort – auf diese Weise hätte das fünf Jahre gedauert. Jetzt konnte ich meinen Ingenieurshintergrund seitens meines Vaters mit einbringen. Wir bauten also einen sogenannten animation stand, einen Tricktisch. Ich entwickelte dann kleine mechanische Hilfsmittel, die erlaubten, dass man Zeichnungen automatisch bewegt. Wir haben den Motor der Animationskamera genommen, fuhren damit einfach auf das Artwork, das Bildmaterial herunter, um dann die Kamera zu wenden. Auf diese Weise haben wir mehrere Hundert Meter Film belichtet. Da merkte Kubrick, dass wir Probleme lösen konnten. Bei anderen Aufnahmen wurden zum Beispiel Sterne auf glänzendes, schwarzes Papier aufgespritzt. In vielen Tests haben wir dann versucht, die optimale Geschwindigkeit der Sterne für eine jede Aufnahme herauszufinden. Die Hintergründe von Erde, Jupiter und Jupitermonden waren Dias, die einfach von hinten beleuchtet wurden. So kam es dazu, dass ich auch auf Filmbühnen grössere Szenen drehen durfte. Die verschiedenen Aspekte des Films verlangten auch eine Nähe zu Wissenschaft und Astronomie, und dafür war ich genau der Richtige. Die anderen prop makers oder set designer, die Requisitenhersteller, die Ausstatter, dachten über Science-Fiction oder wissenschaftliche Grundlagen gar nicht nach.

Hatten Sie auch mit jenen Modellen der Raumschiffe zu tun, die zur Walzermusik von Strauss zu tanzen scheinen?

Ja, und zwar bei allen. Sobald das Design für jedes Modell grob umrissen war, wurde die Grundform für das Raumfahrzeug entwickelt. Danach wurden die Details erstellt und mit dem Anmalen begonnen. Die Materialien konnten vielfältig sein: Holz, Fiberglas, Plexiglas, Stahl, Blech, Aluminium. Die Feinarbeit bestand aus speziell geformten Umkleidungen aus Plastik und anderen Materialien. Eine Heidenarbeit, die Monate in Anspruch nahm.

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Was war Kubrick für ein Mensch?

Er war eine faszinierende Persönlichkeit. Wie Sie sicherlich wissen, begann er als Fotograf für «Look», und von daher hatte er ein besonderes Auge für die fotografischen Aspekte eines Films. In seinen frühen Filmen hat er ja auch häufig selbst die Kamera geführt. Er war also so eine Art Regisseur / Kameramann / Autor, und Stanley hat sich auch beim Schreiben überaus wohlgefühlt. Es ist wirklich hart, einen Science-Fiction-Roman für die Leinwand zu adaptieren. Ein komplett anderes Medium, nicht verbal, sondern visuell. Und Stanley hatte die klare Vision, dass 2001 ein episches Abenteuer werden sollte. Er wollte, dass die Zuschauer das Gefühl hatten, als würden sie tatsächlich ins All reisen. Darum diese aufregenden, spektakulären Panoramen des Weltraums, die auch ein John Ford so nicht hinbekommen hätte. Er fühlte eine Art Verantwortung, dem Zuschauer das Universum näherzubringen. Darum waren er und Arthur C. Clarke an einem gewissen Punkt auch unstimmig über den Fortgang der Geschichte. Stanley beharrte auf dem visuellen Aspekt des Films, während Clarke eher an der Handlungsführung interessiert war. Das führte zwangsläufig dazu, dass Kubrick einen grossen Teil der Dialoge selber schrieb, immer darauf fussend, was für das funktionierte, was er am nächsten Tag beim Dreh vorhatte. Der ganze Prozess der Dreharbeiten war eine Forschungsreise, bei der man jeden Tag etwas Neues erfand. Und das ist einmalig. Das passiert sonst nie in der Filmindustrie. Filme sind ein Geschäft, die Firmen wollen ein Produkt herstellen, das sich gut verkaufen lässt. Wo kann man den besten Handel abschliessen? Um Qualität geht es dabei schon lange nicht mehr.

Wie haben Sie die berühmte letzte Szene, besser bekannt als «Stargate», kreiert?

Das ursprüngliche Drehbuch verlangte eine Art Schlitz, so als ob einer der Jupitermonde ein Loch gehabt hätte, vielleicht ein Höhle, die ihn einmal ganz durchmisst. Es sollte der Eindruck entstehen, dass man ein anderes Universum sieht, wenn man hindurchschaut. Der Mond war so etwas wie eine Zeitmaschine – ein time warp. Es geht also um die Idee, dass ein physisches Objekt im Nu Zeit und Raum überwindet. So stand es im Script. Wir versuchten also, diese Vorgabe umzusetzen, aber niemand wusste wie. Stanley bat jeden im Team um Vorschläge. Sogar Tony Masters, dieser überaus talentierte Production Designer, war ratlos. Da fiel mir ein, dass ich bei The Moon and Beyond mit John Whitney zusammengearbeitete hatte. John Whitney hatte da schon mit einer Animationstechnik experimentiert, bei der er Motoren herstellte, die eine Kamerabewegung über das Bildmaterial erlaubten. Dabei konnte er auch Dinge bewegen und durch lange Belichtung den Eindruck kontinuierlicher Bewegung herstellen. Ich experimentierte dann erst mal am Tricktisch mit Polaroids. Wir haben nämlich von jeder Szene des Films zunächst Polaroids geschossen. So haben wir die Polaroidkameras oben am Tricktisch, wo die einzelnen Bilder mit herabblickender Kamera belichtet werden, befestigt. Die Kamera kann hier auf und ab bewegt werden, mit sich anpassender Schärfe. So haben wir es dann gemacht: die Polaroidkamera oben auf einem regalähnlichen Gerüst. Ich nahm dann die Vorlage, ein sehr dünnes, von unten beleuchtetes Artwork, das ich zum einen vor- und zurückschieben, zum anderen mit anderen Bildmaterialien überlagern konnte. Und dann liess ich die Kamera auf Schienen von oben nach unten sausen – mit offener Linse. So entstanden diese Lichtstreifen, durchaus vergleichbar mit dem Effekt, der entsteht, wenn man nachts mit offener Blende Autoscheinwerfer fotografiert. Ich war so aufgeregt. Ich lief gleich zu Stanley und rief: «Das ist unser Stargate!» Und er sagte einfach nur: «Yes.» Die «Stargate»­Apparatur war riesengross, mit sich bewegenden Glasscheiben und Kameras, die den ganzen Flur durchmessen konnten. So etwas hatte es vorher noch nicht gegeben. Damals gab es noch keine motion control und keine Computer. Alles war mechanisch. Das Problem war also gelöst, die Dreharbeiten konnten beginnen. Jetzt ging es nur noch darum, das Produktionsdesign und das Artwork zu zeichnen und herzustellen – mit den Mustern, Linien und Farben. Meine Hauptarbeit bestand darin, die Herstellung dieses Bildmaterials zu überwachen und den Zeichnern Anweisungen zu geben. Die Dreharbeiten waren dann sehr zeitaufwendig und dauerten mehrere Monate. Manchmal konnte ein einziger Shot bis zu zwei Tage dauern, weil wir auch immer sehr viel experimentiert und ausprobiert haben.

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Natürlich möchte ich auch gern über Silent Running sprechen. War das ein grosser Schritt für Sie, zur Regie zu wechseln?

Nun – die Umstände waren etwas, nun ja, eigenartig. Mir ging es damals sehr gut. Ich war zurück in Los Angeles. Ein junger Mann mit vielen Möglichkeiten. Ich hatte aber immer noch dieses ungeheure Interesse an Science-Fiction. Darum schrieb ich ein Treatment für einen Film, das Treatment für Silent Running. Ich hatte überhaupt nicht die Absicht, die Regie zu übernehmen, allein schon die filmische Adaption meiner Idee durch jemand anderen hätte ich cool gefunden. Ich traf mich dann mit einigen Leuten aus der Industrie. Ein junger Filmemacher hatte zum Beispiel einen Freund, der einen Agenten kannte, der jemanden bei Universal kannte. So funktioniert nun mal das Kommunikationsnetz. Ich ging also zu Universal: «Hier. Ich habe dieses Treatment für diesen Film, weiss aber nicht, was ich damit machen soll.» Das war zu einer Zeit, als alle Studios von Easy Rider geschockt waren: Ein extremer Low-Budget-Film, mit sehr wenig Geld entstanden, unabhängig produziert, unabhängig vertrieben, ohne Werbung in die Kinos gekommen, also komplett ausserhalb der Hollywoodindustrie entstanden – und dann dieser Riesenerfolg. Und nun fragten sich alle: «Wie können wir diesen Erfolg nachahmen?» So verfiel Universal auf einen Plan für ein Experiment: Fünf eine Million teure Low-Budget-Filme sollten entstehen, gesponsort vom Studio, aber gänzlich ohne dessen Einmischung in die Produktion. Wer auch immer den Film übernahm, konnte machen, was er wollte, solange es nicht mehr als eine Million Dollar kostete. Zu diesen fünf Filmen gehörte auch Silent Running. Das Studio wollte den Film also herausbringen, doch wer sollte Regie führen? Ich wusste gar nichts über Regie. Trotzdem kam nach einer Reihe von Gesprächen die Frage auf: «Warum inszenierst du ihn nicht selbst? Du verstehst ihn, du weisst, wie es geht, du bist der special-effects-guy.» Und ich antwortete: «Well, okay.» So einfach war das. Ich hatte wirklich keine Ahnung vom Regieführen. Ich war nie auf einer Filmhochschule, ich wusste nichts über Schauspielführung oder Lichtsetzung. Und auf einmal stehe ich am Set, mit einer Crew. Und ich lernte, Regie zu führen, während wir den Film drehten. Die Crew lehrte mich einfach zu inszenieren. Bruce Dern zum Beispiel, der Hauptdarsteller, war fantastisch. Er war ein method actor. «This is how we do it», sagte er immer und spielte mir etwas vor. Bis ich es verstanden hatte. Er macht ja im Film auch einige sehr starke emotionale Momente durch. Ich bin überzeugt, dass er eigene Lebenserfahrungen mit eingebracht hat, um diese Rolle auszufüllen. Wenn er zum Beispiel über sein Bedauern über den Tod seiner Mannschaft spricht, denkt er an seine zwölfjährige Tochter, die ertrunken ist. Ich habe deshalb versucht, diese Szene in einem Take zu drehen, und es hat geklappt. Ich wollte ihn diese emotionale Strapaze nicht noch einmal durchmachen lassen. Die Szene ist übrigens unscharf – was will man machen? Es ist trotzdem ein grosser Moment. So lernte ich das Filmemachen.

Schauspieler sind eigentlich immer in Ordnung. Normalerweise möchten sie, dass man ihnen sagt, was sie tun sollen. Ich fand heraus, dass viele Regisseure Schauspieler wie eine Viehherde betrachten. «Stell dich hierhin, stell dich dorthin.» Viele Schauspieler überleben dieses Vorgehen nur, weil sie sich selbst einbringen und dem Regisseur auch mal Vorschläge machen. Regisseure sollten immer darauf hören, was die Schauspieler sagen, und ich bin da sehr flexibel. Schauspielen ist wie eine Gruppentherapie. Man erreicht etwas nur zusammen. Für mich ist das damals gut aufgegangen. Das Regieführen gefiel mir. Vielleicht ist es sogar das einfachste beim Filmemachen. Herausfordernder sind da schon die Special Effects und andere technische Aspekte. Ein Filmemacher muss sich immer seiner Verantwortung bewusst sein und wissen, was zu tun ist – auch wenn er keine Kamera führen kann.

Ich habe gelesen, dass Universal überhaupt keine Werbung für den Film gemacht hat.

Das war ein weiterer Teil des Experiments (lacht). Sie liebten den Film, sie wollten ihn nicht umschneiden, sie akzeptierten ihn so, wie er war. Ich hatte den final cut. Später fand ich allerdings heraus, dass der Verleih sich nur auf Mund-zu-Mund-Propaganda verlassen wollte – ohne Werbung. Darum war er zunächst ein Flop. Der Kultfaktor von Silent Running stellte sich nicht sofort, sondern erst in späteren Jahren ein.

Waren Sie damals über den kommerziellen Misserfolg sehr enttäuscht?

Na ja – es wäre für meine Karriere besser gewesen, wenn der Film viel Geld eingespielt hätte. Es hat Spass gemacht, ich hatte überall in Hollywood Jobs. Aber es hätte noch ein bisschen besser laufen können.

Inzwischen ist der Film aber weltweit berühmt.

Ja, er wurde sogar sehr liebevoll restauriert. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Nach Silent Running hatte ich ein Entwicklungsbüro für Science-Fiction-Filme und Verbindungen zu Warner Brothers und Fox und mehreren anderen Studios.

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Sie waren da also schon selbständig mit einer eigenen Produktionsfirma?

Ja. Ich arbeitete mit anderen Drehbuchautoren zusammen, wir entwickelten Geschichten. Da habe ich dann bemerkt, wie funktionalisiert das Filmgeschäft ist, wie viele Kräfte daran mitwirken, die nichts mit dem zu tun haben, was man eigentlich machen möchte. Ich hatte zum Beispiel ein wundervolles Science-Fiction-­Projekt für MGM namens «Pyramid». Das Drehbuch war schon fertig, die Locations bestimmt, wir hätten anfangen können. Doch dann entschied Kirk Kerkorian, dem Studio eine Produktionspause zu verordnen. «Was???», schrie ich, und damit war das Projekt gestorben. Es ist schon bedauerlich: Wir hatten für «Pyramid» ein wirklich gutes Drehbuch, doch dann änderte sich bei MGM das ganze Management. Ich habe dann für die Universal Back to the Ruture … The Ride gemacht, der von Steven Spielberg produziert wurde, wo es um die Zukunft von Themenparks und ihre Superhelden ging. Dann hatte ich ein Projekt mit Arthur P. Jacobs, dem Produzenten von Planet of the Apes, namens «Journey of the Oceanauts». Doch er starb 1973 plötzlich mit nur einundfünfzig Jahren an einer Herzattacke. Ich dachte nur noch: «Bringt mich hier raus!» Es ist wirklich ein verrücktes Business. Zu dem Zeitpunkt sprach ich mit meinem Anwalt über die Idee, ob ich mich nicht mit Filmtechnologie beschäftigen solle – nur um zu überleben. Wie kann man Filme verbessern? Neue Wege finden, Menschen zu unterhalten, bessere Kameras entwickeln, bessere Leinwände. Kurzum: Was kann man tun, um den Prozess des Filmemachens zu verbessern? Ich entwickelte also zusammen mit Paramount eine Firma.

Wann war das?

1974. Zu der Zeit habe ich auch den Showscan-Prozess erfunden.

Wie funktioniert der genau?

Wir machten damals bei unserer Suche nach Verbesserungen eine Serie von Tests und hatten dabei auch die Filmgeschichte im Hinterkopf. Wir liehen uns alte Filmkameras aus, von 16 bis 35mm, und projizierten Filme in verschiedenen Grössen auf unterschiedliche Leinwände. Wir kamen zu dem Schluss, dass sie alle sehr ähnlich waren und nichts Besonderes enthielten. Dann fragten wir uns: «Was haben wir noch nicht ausprobiert?» Das Einzige, was uns noch einfiel, war die Bildgeschwindigkeit. Wir machten auf einem Golfkurs mit einer 16mm-Kamera einen simplen Test. Wir liessen den Film erst mit 24, dann mit 36, 48, 68 und 79 Bildern pro Sekunde laufen. Als der Golfspieler bei 24 Bildern pro Sekunde den Schläger schwang, war die Bewegung sehr verschwommen, fast unsichtbar. Der Ball liess sich nicht einfangen. Sobald wir aber die Bildfrequenz erhöhten, konnten wir den Ball den ganzen Weg verfolgen. Wir haben sonst nichts verändert: dieselbe Kamera, denselben Film, denselben Bildausschnitt. Nur die Geschwindigkeit variierte, und alles wurde plötzlich sehr viel schärfer und sichtbarer. Das führte zu einem anderen Test. Wir bauten an der Universität ein Labor auf. Wir zeigten jedes Mal denselben Shot eines Autos, das die Strasse entlangfährt, immer dieselbe Einstellung, ohne eine emotionale Darstellung durch Schauspieler. Wir haben uns nur auf den fotografischen Aspekt mit unterschiedlichen Bildfrequenzen konzentriert. Diese Filme haben wir dann verschiedensten Leuten vorgeführt. Dabei haben wir, ähnlich wie bei einem Lügendetektor, Blutdruck, Puls oder Atemfrequenz gemessen. Die körperliche Reaktion auf die ansteigende Bildfrequenz erhöhte sich immer mehr. Die Erkenntnis war also, dass sich das Publikum durch Bilder körperlich stimulieren liess.
Der Vorstandsvorsitzende von Gulf and Western, damals der Mutterkonzern von Paramount, sah meinen Demofilm und sagte: «Wir müssen unbedingt einen Spielfilm auf diese Weise drehen. Das ist einfach grossartig.» Wir suchten dann nach einem geeigneten Stoff, und das führte zu «Brainstorm». Doch dann wechselten die Produzenten, und niemand bei Paramount wollte mehr den Film machen. Sehen Sie – ich habe einfach diese vielen schlechten Erfahrungen im Filmgeschäft gemacht. Es hatte eigentlich gar nichts mit dem zu tun, was ich wollte. Es war diese Dynamik innerhalb der Studios.

Aber Sie waren Ihrer Zeit mit der Änderung der Bildfrequenz schon voraus. Erst kürzlich wurde eine erhöhte Bildfrequenz ja zum ersten Mal bei The Hobbit: An Unexpected Journey angewendet.

Ja, aber wir sind jetzt im digitalen Zeitalter. Digital ist der Schnitt sehr viel einfacher. Die Kameras und Projektoren laufen sogar mit 144 Bildern. Man hat nur noch den Server, von dem alles übertragen wird. Das macht die Dinge sehr viel einfacher, ohne grosse Anstrengung. Und natürlich ist die digitale Technik inzwischen sehr viel preiswerter geworden.

Sind Sie deswegen verbittert, weil Sie Anfang der achtziger Jahre das Showscan-Verfahren wirtschaftlich nicht durchsetzen konnten?

Nein – damit beschäftige ich mich gar nicht. Ich bin ein sehr optimistischer Mensch. Wenn die Zuschauer mögen, was ich mache, und ich immer noch Gelegenheit habe, meine Filme zu zeigen oder meine Ideen zu realisieren, ist das schon sehr viel wert. Mir hat es immer sehr viel Freude gemacht, Projekte zu planen und sie dann – wenn alles gut ging – in die Kinos zu bringen.

Was jetzt ja sehr interessant ist, ist, dass sich die Filmindustrie in einem Status der Verzweiflung befindet. Das Publikum macht nämlich keinen Unterschied mehr, ob es einen Film auf der grossen Leinwand oder auf einem Tablet-Computer sieht. Oder es wartet, bis der Film auf DVD oder VoD erscheint. Die Studios machen sowieso schon fünfundziebzig Prozent ihrer Einnahmen auf diese Weise. Darum gibt es eigentlich niemanden mehr, der das Publikum im Kino beeindrucken will – ausser ein paar Verzweifelte, die sich um das Drumherum kümmern: bequeme Sitze, Beinfreiheit, grosszügige Bars, Bedienung im Kino. Aber das geschieht eben eher aus Verzweiflung. Niemand denkt mehr über das Medium selbst nach. Wir sind einsame Wölfe. Aber so schlimm ist es gar nicht. Wenn ich einen Film nach meinem Gutdünken machen kann, reicht mir das schon.

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Sie haben sogar mit Terrence Malick an The Tree of Life zusammengearbeitet. Wie ist er als Regisseur?

He’s a very sweet man. Wir kennen uns schon seit Jahren. Kürzlich fanden wir heraus, dass wir beide Hobbyastronomen sind. Darum haben wir eine Menge gemeinsam. Wir sprachen zunächst über The Tree of Life und Voyage of Time. Als mir anfangs gesagt wurde, dass The Tree of Life ein Film mit Brad Pitt sei, dachte ich an eine grosse Produktion. Dem war dann aber gar nicht so.

Voyage of Time soll ein fünfundvierzigminütiger Imax-Film über die Entstehung des Universums werden, eine Kurzversion von The Tree of Life ohne die Live-Action. Ich bin ein Freund von Terry und habe bei den Special Effects nur beraten. Wir arbeiteten an langen Wochenenden in einem Labor und experimentierten mit Tanks, Wasser und anderen Flüssigkeiten, auch mit High-Speed-Kameras, um unwirkliche Phänomene zu erzeugen. So stellte sich Terrence zum Beispiel einen Asteroiden vor, der die Erde massiv zerstört und für die Ausrottung der Dinosaurier verantwortlich ist. Da haben wir an einem ganz normalen Tisch gearbeitet, mit sogenannten «Water Jets», deren Aufprall wir dann mit tausend Bildern pro Sekunde aufgenommen haben. Wir haben zwar auch Computer benutzt, aber nur, um die Bilder zusammenzusetzen, die Spezialeffekte entstanden auf mechanische Weise. Und ich finde, wir waren sehr erfolgreich.

Woran arbeiten Sie jetzt?

Ich plane zwei Science-Fiction-Filme. Einer davon soll mit hundertzwanzig Bildern pro Sekunde entstehen. 4K, 3D, auf riesengrosser Leinwand. Man hat fast das Gefühl, sich im Weltraum zu befinden. Viele Menschen haben Avatar gesehen, manche wieder und immer wieder, und sich als Teil der Handlung gefühlt. Es gibt also ein Publikum für diese Art von Filmen. So schrieb ich ein Drehbuch speziell für dieses Abenteuer, bei dem es wieder um den Weltraum geht, wissenschaftlich akkurat, so ähnlich wie in 2001: A Space Odyssey. Kein modischer Superheldenfilm, sondern eine reale Geschichte über reale Menschen. Um überhaupt jemanden für diesen Film zu interessieren, haben wir zunächst eine Demonstration gedreht, die einen ersten Eindruck vom Film geben soll. Wir stecken jetzt in den letzten Arbeiten für einen zehnminütigen Demonstrationsfilm. Alles mussten wir bislang selber machen. Wir haben das ganze Zubehör gebaut, die Green Screens, den Vorführraum. Wir entdecken im Moment das Kinomachen in all seinen Aspekten.

Wie soll der Film heissen?

Ufotog, das ist eine Abkürzung für «Ufo­Fotografie». Das geht auf ein Projekt zurück, an dem ich jetzt seit bald fünfzehn Jahren arbeite. Der Film ist von Close Encounters of the Third Kind und natürlich von 2001 beeinflusst und beschäftigt sich mit der Frage, ob es wirklich ausserirdisches Leben gibt. Bei der Grösse des Weltalls ist das mehr als wahrscheinlich. Gibt es Ufos wirklich? Oder sind sie unserer Phantasie entsprungen? Oder verheimlicht die US-Regierung der Bevölkerung etwas? Ich weiss es nicht. Die Idee des Films ist, innerhalb einer fiktiven Handlung wissenschaftlich Ufos zu fotografieren, mit High-Quality-Equipment, das auch das Militär benutzt. Das beschäftigt sonst niemanden, und ich möchte es professionell aufziehen. Dann bekommt man einen guten, wertvollen, wissenschaftlich überwachten Film, der von anderen Wissenschaftlern ernst genommen und analysiert wird. Den Demonstrationsfilm kann man übrigens auf meiner Website www.douglastrumbull.com sehen. Mit diesem Film habe ich bei Produzenten die Klinken geputzt und wurde jedes Mal abgewiesen. Ich konnte niemanden finden, der an mein Vorhaben glaubte. Aber: Niemand hat jemals Geld mit Science-Fiction über Ufos oder den Weltraum verloren, ähnlich wie bei Western. Ufotog ist meine Version, wie man dem Phänomen «Ufo» begegnen kann, mit hochauflösenden Teleskopen und seriösem wissenschaftlichem Equipment. Und vielleicht erregt dieser Film endlich das Interesse, um die Möglichkeit ausserirdischen Lebens im grossen Stil zu erforschen, also das real project anzugehen. Dann würde ich wiederum einen Film über das real project drehen und fotografieren, wie die Astronomen arbeiten. Da sehen Sie mal, wie verrückt ich bin.

Das Gespräch mit Douglas Trumbull führte Michael Ranze während des diesjährigen Festival del Film Locarno

Douglas Trumbull wurde 1942 in Los Angeles geboren. Als Berater und Special Effects und Visual Effects Supervisor arbeitete er an Filmen wie 2001: A Space Odyssey von Stanley Kubrick (1968), Candy von Christian Marquand (1968), The Andromeda Strain von Robert Wise (1971), Close Encounters of the Third Kind von Steven Spielberg (1977), Star Trek von Robert Wise (1979), Blade Runner von Ridley Scott (1982) und The Tree of Life von Terrence Malick mit. Er führte Regie bei Silent Running (1972) und Brainstorm (1983) und bei mehreren Kurzfilmen, die er teilweise auch selbst produzierte. Ausserdem hält er zahlreiche Patente. Trumbull hat drei Oscar-Nominationen erhalten und gewann 1993 den Scientific and Engineering Award der Academy of Motion Picture Arts and Sciences. Dieses Jahr erhielt er den Vision Award – Electronic Studio, den das Festival del film Locarno heuer zum ersten Mal vergab.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2013 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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