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Buechse der pandora 02

Louise Brooks

Kein Zweifel, Louise Brooks ist längst zur Kino-Ikone geworden. Doch sie unter die Vamps einzureihen, mag auf den ersten Blick absurd erscheinen. Ihrer Darstellungskunst ist alles Manierierte, alles aufgesetzte Gehabe fremd. Was sie aus heutiger Sicht am ehesten als Kinovamp erscheinen lässt, dürfte ihre Verkörperung von Frank Wedekinds Lulu-Figur in Pabsts Die Büchse der Pandora sein.

Text: Martin Girod / 18. Jan. 2016

Kein Zweifel, Louise Brooks (1906–1985) ist längst zur Kino-Ikone geworden. Doch sie unter die Vamps einzureihen, mag auf den ersten Blick absurd erscheinen. Ihrer Darstellungskunst ist alles Manierierte, alles aufgesetzte Gehabe fremd. Mit ihrem völlig natürlich wirkenden Spiel war sie für die USA, und erst recht für Deutschland, ihrer Zeit voraus. Einem Spiel, das auf äusserliche Gesten und grosse Mimik verzichten konnte, ganz aus der Konzentration auf den Ausdruck der Figur und der Situation entstand und seine stärkste Wirkung in den Blicken der Schauspielerin entfaltete.

Zeitgenössische Kritiker warfen Louise Brooks vor, sie spiele ja gar nicht, weil ihre Spielweise nicht den – oft vom Theater geprägten – Vorstellungen entsprach, die diese Kritiker von der Schauspielkunst hatten. Sieht man heute mehrere ihrer Filme in Folge an, wird deutlich, dass sie nicht nur sehr unterschiedliche Figuren verkörperte, sondern auch für jede von ihnen einen adäquaten Ausdruck fand. Dennoch ist die Leinwandpersona Louise Brooks auch ein gestaltetes Kunstprodukt. Früh hat sie sich die schwarze Kurzhaarfrisur zugelegt, deren spitze Enden seitlich ins Gesicht ragen und unter deren Pony ihre Augen blitzen. Das hell geschminkte Antlitz lässt ihre Sommersprossen verschwinden und ergibt mit der Frisur zusammen einen fast grafischen Eindruck. Am besten lässt sich die Wirkung dieser Maske in Beggars of Life (1928) erkennen. Regisseur William Wellman spielt raffiniert mit der schwarzen Helmfrisur: In entscheidenden Momenten teilen sich die Haare und lassen Louise Brooks’ hohe Stirn sichtbar werden, wodurch sie plötzlich viel verletzlicher wirkt.

Love em and leave

Oft besetzte man Louise Brooks in den zeittypischen Flapper-Rollen als ungehemmt leichtlebige, selbstsüchtige und skrupellose junge Frau. So verführt sie in Love’em and Leave’em (Frank Tuttle, 1926) den Verlobten ihrer seriöseren Schwester – und stiehlt dabei Evelyn Brent, der eigentlichen Hauptdarstellerin, glatt die Show. In Howard Hawks’ A Girl in Every Port (1928) spielt sie eine Jahrmarktsartistin, die einen Matrosen um den Finger wickelt, um an sein Erspartes zu kommen, und ihn dann mit seinem besten Freund betrügen will. Weit differenzierter ist ihre Rolle in Beggars of Life: Sie entwickelt sich von der jungen Frau, die ihren Pflegevater umbringt, weil er sie zu vergewaltigen versucht, zu einer von der Polizei Gehetzten, die in Männerkleidern als Hobo durchs Land zieht und sich zu behaupten lernt, und wird schliesslich zur Liebenden, die nach und nach die wahre Natur ihrer Gefühle für den Reisegefährten zu erkennen beginnt. Auch die Hauptfigur in Tagebuch einer Verlorenen (1929), ihrem zweiten Film unter Georg Wilhelm Pabst nach Die Büchse der Pandora, durchläuft ganz unterschiedliche Stadien: von der verführten naiven Konfirmandin über die Erziehungsheiminsassin, die gegen die Unterdrückung rebelliert, ausbricht und im Bordell landet – für sie im Kontrast schon fast ein Hort der Geborgenheit. Am Schluss bewegt sie sich souverän in der gehobenen Gesellschaft, schockiert sie aber mit der Preisgabe ihrer Vergangenheit und der Anklage gegen die angeblich gut gemeinten Erziehungsmethoden.

Die kurze Aufzählung macht deutlich, dass Louise Brooks keineswegs auf typische Vamprollen abonniert war. Was sie aus heutiger Sicht am ehesten als Kinovamp erscheinen lässt, dürfte ihre Verkörperung von Frank Wedekinds Lulu-Figur in Pabsts Die Büchse der Pandora sein. Doch der Kritik war sie damals gerade nicht vamphaft genug. Diese Kritiker konnten nicht akzeptieren, dass Pabst die «unschuldige» Erotik suchte und eine Lulu zeichnet, deren Attraktion nicht aus durchtriebener Berechnung zum Verhängnis der Männer wird. Diese zerbrechen vielmehr am eigenen Besitzstreben, dem sich Lulu entzieht.

Als Pabst Louise Brooks nach Berlin holte, war sie in Hollywood kaum ein Star. Nach einer Tanzausbildung hatte sie am Broadway auf der Bühne begonnen und träumte noch später von einer Karriere als Tänzerin. Eine Schauspielausbildung hatte sie nie; sie sagte von sich (zu Kevin Brownlow): «Ich habe die Schauspielerei gelernt, indem ich Martha Graham beim Tanzen beobachtete, und ich habe gelernt, mich im Film zu bewegen, indem ich Chaplin beobachtete.» Ab 1925 hat Louise Brooks Filmrollen gespielt und sich von kleinen Aufgaben bis zu den weiblichen Hauptrollen bei Hawks und Wellman hochgearbeitet.

Buechse der pandora 03

Zum Film und vor allem zu Hollywood scheint sich Louise Brooks immer eine gewisse innere Distanz bewahrt zu haben. Dass sie neben der Filmarbeit viel (und Anspruchsvolles) las, mag dazu ebenso beigetragen haben, wie die Tatsache, dass sie von vielen, darunter sehr begüterten Männern umschwärmt und verwöhnt wurde. Bei den Studiomoguln muss ihr selbstbewusstes Auftreten schlecht angekommen sein; 1928 platzten die Verhandlungen zur Vertragsverlängerung bei Paramount. Das Rollenangebot eines ihr unbekannten Regisseurs aus Berlin kam ihr daher gerade recht. Es war Georg Wilhelm Pabst, mit dem sie 1928/29 Die Büchse der Pandora und danach Tagebuch einer Verlorenen drehen sollte, jene beiden späten Stummfilme, die den künstlerischen Höhepunkt und zugleich schon fast das Ende ihrer Karriere bedeuteten. Gerade auf ihnen basiert die Louise-Brooks-Verehrung, die ab den fünfziger Jahren langsam einsetzte. Anders als Kinovamps wie Theda Bara und Alla Nazimova, die zu ihrer Zeit berühmt waren und später vergessen wurden, anders als eine Marlene Dietrich, deren Ruhm die Zeit überdauert hat, ist Louise Brooks der seltene Fall einer Schauspielerin, die erst Jahrzehnte nach dem frühen Ende ihrer schauspielerischen Tätigkeit zur Kultfigur avancierte.

Diese Wiederentdeckung verdanken wir in erster Linie James Card vom George Estman House (Rochester NY) und dem Pariser Cinémathèque-Direktor Henri Langlois. Card war es auch, der Brooks ermunterte, über ihre einstigen Kollegen in der Filmindustrie zu schreiben. Ihre Texte über Lillian Gish, Greta Garbo, W. C. Fields oder Humphrey Bogart, die mit so manchem tradierten und immer wieder abgeschriebenen Klischee aufräumen, gehören zum Erhellendsten, was über Hollywoodschauspieler publiziert wurde.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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