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Thething

Musikalische Spurensuche (The Thing)

Wer Ennio Morricones Filmmusik zu The Hateful Eight verstehen will, sollte sich keine Italo-Western, sondern John Carpenters The Thing von 1982 anschauen.

Text: Oswald Iten / 18. Jan. 2016

Wer Ennio Morricones Filmmusik zu The Hateful Eight verstehen will, sollte sich keine Italo-Western, sondern John Carpenters The Thing von 1982 anschauen. Quentin Tarantino liess sich von Carpenters Science-Fiction-Horror-Remake nämlich nicht nur zu seinem eigenen Schneesturmkammerspiel inspirieren, sondern bediente sich letztendlich auch bei dessen Filmmusik. Doch der Reihe nach:

Morricone kritisierte zwar vor drei Jahren öffentlich, dass Tarantinos eklektischer Einsatz von bestehender Filmmusik deren konzeptionelle Kohärenz oft komplett ausser Kraft setze. Dass ihm das Resultat aber trotzdem sehr gefiel, ging im medialen Echo unter. Viel erstaunlicher als die unerwartete Zusammenarbeit mit Tarantino war deshalb die Ankündigung, dass Morricone damit zum ersten Mal seit fast 40 Jahren wieder einen SpaghettiWestern vertone. Dabei hat The Hateful Eight kaum etwas mit den Blickorgien eines Sergio Leone gemeinsam, weshalb der Komponist Tarantinos redseliges Whodunit auch nicht als Western betrachtet. Ihn interessierte vielmehr das klaustrophobische Setting und die unterschwellig aufgebaute Spannung, die schliesslich in offene Gewalt umschlägt.

Anders als in der klassischen amerikanischen Filmmusikpraxis verarbeitet Morricone die Themen und psychologischen Dynamiken eines Films musikalisch, ohne auf fertig geschnittene Szenen im Detail einzugehen. Da dem Maestro schlicht die Zeit fehlte, für Tarantino eine komplette Filmmusik zu schreiben, bot er ihm als Ergänzung zu den Neukompositionen jene Stücke an, für die John Carpenter in The Thing keine Verwendung fand.

Isolation und Kälte

Obwohl Carpenter seine Filme normalerweise mit seinen eigenen minimalistischen Synthesizerklängen untermalte, engagierte er für diese Grossproduktion den italienischen Meister, von dem er keine musikalische Doppelung der Bilder zu befürchten hatte. Morricone liess sich von der Geschichte um zwölf Antarktisforscher, die von einer «ansteckenden» ausserirdischen Lebensform heimgesucht werden, zu einer avantgardistischen Orchestralmusik inspirieren. Quasi als Absicherung ergänzte er diese um drei erbarmungslos kalte Synthesizerstücke, die sich klanglich teilweise sehr nahe an Carpenters Soundtrack für Halloween (1978) orientierten.

So erstaunt es kaum, dass der Regisseur die Symmetrie seiner zirkulären Erzählstruktur ausgerechnet mit dem unerbittlichen Herzschlagrhythmus des elektronischen «Humanity Part II» verdeutlichte. Auf Morricones (leider vergriffenem) Soundtrackalbum ist dieses zum «Main Theme» erhobene «Herzschlag-Thema» allerdings bloss eines von zehn eigenständigen, thematisch betitelten Stücken, die sowohl die Isolation der eisigen Forschungsstation als auch den psychologischen Zustand der Protagonisten vermitteln.

 

Diese zunehmend paranoide Atmosphäre exponiert Morricone in «Humanity Part I» mit gedämpften Streichern und Harfe unter einem unheimlichen Zwei-Noten-Motiv, das aus einem aufsteigenden Halbton besteht und sich wie das chamäleonartige Monster in verschiedenen Formen durch den ganzen Score zieht. Insbesondere die endlos auf- oder absteigende Chromatik erinnert immer wieder an Bernard Herrmanns atonale Streicherpartitur zu Psycho (1960).

Klanglich erweitert Morricone das Farbspektrum von Herrmanns Streichorchester jedoch um differenziert eingesetzte Holz- und Blechbläser sowie perkussives Klavier und Pauken, ohne auch nur einen Anflug von Bombast oder Sentimentalität zuzulassen. Wie Carpenters Regie versagt uns auch die beklemmend gedämpfte, von engen Intervallen und schrittweisen Rhythmusverschiebungen geprägte Partitur jede Hoffnung auf Entspannung. Selbst die Trompetenfanfare am Ende des Schlusstücks «Despair» klingt wie im Eis erstarrt.

Musikalischer Teppich

Im fertigen Film verwendete Carpenter allerdings lediglich kurze Auszüge aus fünf dieser faszinierenden Orchesterstücke. Sie tragen hauptsächlich im ersten Akt zur mysteriösen Atmosphäre bei, als die Forscher das verlassene Lager jener Norweger erkunden, die das Monster unabsichtlich aus dem Eis befreit hatten.

Obwohl Carpenter seine Filme angeblich nie zur Musik umschneidet und Morricone ohne Angaben zum Timing komponierte, passen beispielsweise die minutiösen Stimmungsänderungen von «Wait» perfekt auf das Timing dieser Sequenz. Dabei sorgt besonders jenes Bassmotiv für Schauer, dessen kurze Tonfolge fast identisch ist mit jenem Motiv, das in Disneys Bambi (1942) die unsichtbare Bedrohung durch die Jäger ankündigt und in The Thing aus einem ausdruckslosen Husky ein bedrohliches Monster macht.

 

Auch wenn Morricones Stücke dank repetitiver Kürzestmotive beliebig geschnitten werden können, brauchen sie genügend Zeit, um ihre Wirkung auf der Leinwand zu entfalten, und kommen für kurze Einsätze darum nicht in Frage. Erschwerend kommt hinzu, dass Carpenter Filmmusik erklärtermassen als «Teppich» versteht, der weder Aufmerksamkeit auf sich ziehen, noch den Geräuschen in die Quere kommen darf.

Insbesondere für die Manifestationen des Monsters war ihm Morricones Spannungserzeugung offensichtlich zu dominant. Den ersten Auftritt in Form eines mutierten Husky unterlegte der Music Editor Cliff Kohlweck deshalb lediglich mit dem verfremdeten Dröhnen einer Klimaanlage, das Morricones durchgehenden Basstönen sehr nahe kam.

Für die folgenden Monsterszenen mit ihrem vielschichtigen Sound Design spielten Carpenter und Alan Howarth kurzerhand liegende Synthesizertöne mit Phasereffekt sowie einen elektronischen Stinger ein, der aus dieser ansonsten subtilen Tonspur allerdings unangenehm heraussticht. Mehrere längere Passagen kommen schliesslich ganz ohne Musik aus.

Gelungene Assimilation

Obwohl der dialoglastige Dreistünder The Hateful Eight überraschenderweise viel weniger Musik enthält als seine dynamischeren Vorgänger Kill Bill (2003/4), Inglourious Basterds (2008) und Django Unchained (2012), stellt Tarantino die Musik wie üblich zumindest anfangs noch in den Vordergrund. So nutzt er das von Carpenter als zu dominant verworfene Synthesizerstück «Eternity» für eine Hommage an The Thing oder lässt Jennifer Jason Leigh zur aggressiven Kontrabassfigur von «Bestiality» auf den Tisch klopfen.

In diesem Kontext erscheint Morricones neu komponiertes Eröffnungsstück «L’Ultima Diligenza di Red Rock» wie eine tonale Weiterentwicklung von «Bestiality», mit Fagott, Kontra-Fagott und Tuba. Wie Bernard Herrmann in Psycho kündigt er damit die unvermeidliche Gewalt schon lange vor der ersten Eruption an. Darüber hinaus lässt der Maestro die Solotrompete, die etwa in «Despair» wie ein gedämpftes Alarmsignal aus dem Hintergrund erklingt, in der Schlussszene von The Hateful Eight in den Vordergrund treten, um dem Film damit dann doch noch einen ironisch-pathetischen Westernmoment zu bescheren.

Informationen

Die aktuell erhältliche Soundtrack-CD zu The Thing ist mit Vorsicht zu geniessen. Zwar sind die Stücke von Carpenter/Howarth ebenfalls darauf, Morricones Kompositionen wurden jedoch ohne dessen Zutun komplett aus elektronischen Samples neu eingespielt.

Die Soundtrack-CD The Hateful Eight enthält ebenfalls mehr Musik von Morricone, als im Film zu hören ist. Die Leihgaben aus The Thing und The Exorcist II: The Heretic fehlen jedoch

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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