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Natalie Portman

«Is life always this hard, or is it just when you’re a kid?» – Wie ein unschuldiges Kind wirkt Natalie Portman in Léon von Luc Besson nicht gerade. Gekonnt spielt die Fille fatale mit erotischen Posen und sinnt auf Rache.

Text: Florian Kasperski / 02. Nov. 2016

Beim ersten Casting fand man die Elfjährige zu jung. Das Skript sah eine vierzehnjährige Jugendliche vor und nicht ein zierliches Kind, das Natalie Portman damals war. Das Kind war jedoch entschlossen, die Rolle zu kriegen, sprach noch ein zweites Mal vor und setzte sich gegen rund 2000 Mitbewerberinnen durch – darunter auch Liv Tyler, die mit fünfzehn Jahren wiederum schon zu alt war. Natalie Portman spielt in Luc Bessons Neo-Noir Léon, der zum Kultfilm avanciert ist, Mathilda, deren Familie von korrupten Cops ermordet wird. Sie sinnt auf Rache und holt sich Hilfe bei ihrem Nachbar Léon, der zufälligerweise Berufskiller ist. Im Gegensatz zu Portman war Jean Reno von Anfang an für die Rolle des eigenbrötlerischen «Cleaners» vorgesehen.

Portman zu bekommen, hatte für Besson seinen Preis: Ein Vertrag mit ihren Eltern regelte bis ins kleinste Detail, was sie machen durfte und was nicht. Beispielsweise wurde das Rauchen von Zigaretten von den Eltern strikt untersagt, Portman durfte in den maximal fünf Rauchszenen nie inhalieren. Zudem musste das Drehbuch geändert werden und die Figur das Rauchen im Lauf des Films aufgeben. Das Rauchen trägt mit zu Mathildas Verwegenheit bei, zum aufregenden Gegensatz zwischen einem grazilen Mädchen mit Rehaugen und einem rebellischen Teenager.

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Eine Zwölfjährige als Vamp, als Femme fatale? Wie fügt sie sich in die Reihe von machthungrigen und männerdurstigen Frauen wie Theda Bara, dem ursprünglichen Leinwandvamp, Alla Nazimova, dem Paradiesvogel mit der grossen Geste, Louise Brooks, die komplett auf grosse Gesten verzichtete, Rita Hayworth, der Love Goddess Hollywoods, oder Sharon Stone, der Ikone des Postfeminismus? Wie soll ein «innocent girl» – wie es das Filmplakat behauptet – für Männer Verderben und Untergang bedeuten?

Im Unterschied zu den erwachsenen Vamps spielt Mathilda mit ihrem unschuldigen Aussehen. Sie wird unterschätzt, was den Männern nicht gut bekommt. Und sie ist auf Hilfe angewiesen, um Rache an den Polizisten zu nehmen, die ihre Familie getötet haben. Während Elsa Bannister und Catherine Tramell ihre männlichen Gegenspieler perfid ausnutzen und manipulieren, entwickelt sich zudem zwischen Léon und Mathilda eine unschuldige Liebe. Mathilda ist ein «lost girl», um die sich der «lonesome wolf» Léon kümmern muss. Allerding frisst hier nicht der Wolf das Rotkäpchen, sondern sie verführt ihn. Sie verführt ihn, ihr das Töten beizubringen und sich der Liebe zu öffnen. Für ihn wird sie zur Fille fatale.

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Schon beim ersten Aufeinandertreffen wird Mathilda diesem Image gerecht. Sie wickelt Léon mit Leichtigkeit um den Finger. Nichts ahnend kommt er die Treppe herauf, und dann lehnt sich die kleine Mathilda genau im richtigen Moment zurück, sodass ihr die Jacke von der Schulter rutscht und haucht ein «Hi», das sie mit Sicherheit einige Male geprobt hat. Léon entdeckt eine brennende Zigarette am Boden und fragt: «Why did you hide the cigarette?» – Schlau und mysteriös ist ihre Antwort: «This building is full of rats. Don’t want my old man to find out. Got enough problems.» Wir als Zuschauer sind in diesem Moment vermutlich genauso verwirrt wie Léon. Aus welchem Film hat das Mädchen bloss diese Performance abgeschaut? Sie weiss genau, was sie tut. Ob Madonna oder Marilyn Monroe, Mathilda spielt gekonnt auf der Klaviatur der erotischen Posen. Sie hat vollkommene Kontrolle über ihre Erscheinung und ihre Wirkung auf Männer: Die Frisur erinnert nicht zufällig an Louise Brooks, das schwarze Halsband mit Anhänger an andere verruchte Damen.

Die sexuelle Aufladung ist für den in Beziehungssachen unerfahrenen Léon auch oft zu viel. Mit ihrem Charme bringt ihn Mathilda immer wieder sichtlich in Verlegenheit. Als er ihr etwa seinen Namen nennt, findet sie ihn einfach nur «cute», worauf Léon seine Milch gleich wieder ausspuckt. Sie macht aus dem kaltblütigen Killer einen netten Jungen, in den sie sich auch verlieben kann. Das erste Mal in ihrem Leben. Jean Reno entschied sich denn auch, Léon emotional verstockt und mental etwas langsam zu spielen. Obwohl er dadurch asexuell wirkt, waren die Szenen, in denen Mathilda ihm ihre Liebe gesteht und mit ihm ihr erstes Mal erleben will, zu riskant für das Studio. Sie wurden zensuriert und erst im Director’s Cut wieder eingefügt.

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Léon hat Natalie Portman berühmt gemacht. Später spielte sie weitere toughe Frauen, etwa Prinzessin Amidala in Star Wars, Evey in V for Vendetta, für deren Darstellung sie sich den Schädel kahl rasierte, oder eine besessene Balletttänzerin in Black Swan, für deren Verkörperung sie einen Oscar bekam. Auch als Erwachsene strahlt sie eine kindliche Zerbrechlichkeit aus, die nach wie vor in Spannung zur Entschlossenheit ihrer Figuren steht. Die schauspielerische Leistung in Léon mit einer Mischung aus kindlicher Unschuld, frühreifer sexueller Energie, gepaart mit einem eisernen Willen, findet man jedoch so nicht wieder. Die Magie entsteht, weil eine Zwölfjährige schon so berechnend ihre Reize einzusetzen weiss und doch wie ein unschuldiges Kind aussieht. Besson schuf eine neue Vampvariation, eine Fille fatale.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 7/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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