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Quand on a 17 ans / 24 Wochen

Berlinale 2016: Mit Quand on a 17 ans ist André Téchiné eine vibrierende Liebesgeschichte zweier Jugendlicher gelungen. Der deutsche Beitrag, 24 Wochen, enttäuscht trotz eines potenten Themas.

Text: Tereza Fischer / 15. Feb. 2016

Quand on a 17 ans von André Téchiné

Wenn Thomas auf Damien trifft, sprüht es Funken. Die beiden sind Aussenseiter und entschlossen, einander das Leben schwer zu machen. Immer wieder mit körperlichen Attacken. Aber da ist auch noch etwas anderes, in den Blicken, die Damien dem grossgewachsenen, dunkelhäutigen Thomas zuwirft. Die Kamera beobachtet vorerst und bleibt dabei jeweils ganz nah an den Figuren, hängt sich an ihre Fersen, nimmt ihre Energie, ihre Unrast auf. Sie vermittelt mit ihrer spürbaren Präsenz und Instabilität das hormonelle Brodeln, das Damien im Kampftraining mit dem Nachbar Polo abzubauen sucht und das Thomas, der auf einem Bauernhof in den Bergen wohnt, ins Marschieren und Kuhstallausmisten steckt.

Der Zufall will es, dass Damiens Mutter Marianne Ärztin ist und von Thomas auf den Bauernhof gerufen wird. Seine Adoptivmutter, um die er sich rührend kümmert, ist krank und wie sich später herausstellt auch schwanger. Um auch Thomas, dessen Bac-Abschluss gefährdet ist, zu helfen, lädt Marianne ihn ein, bei ihr zu Hause zu wohnen und durch die Nähe zur Schule mehr lernen zu können. Sandrine Kiberlain spielt Marianne grossherzig und mit sehr viel Verständnis für die «angry young men», deren physische Nähe sie verschuldet. Das ist für die beiden Jünglinge kaum auszuhalten. Die Spannung, die die beiden Schauspieler aus jeder Pore zu atmen scheinen, muss ich entladen, in körperlicher Nähe, die vorerst nur im Kampf möglich ist.

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Während Damien, der in einem behüteten Zuhause aufwuchs, sich und seinem Objekt der Begierde die Liebe leichter eingestehen kann, tut sich Thomas schwer. Ihn belastet auch, dass die Eltern nun eine «richtiges» Kind bekommen. Dass die beiden die Liebe und das Glück dennoch finden, hat auch ihren Preis. Sie müssen schnell erwachsen werden. Während Thomas seine schwer erkämpfte Stellung als geliebtes Einzelkind verliert, stirbt Damiens Vater im Krieg.

André Téchiné erzählt eine vibrierende Liebesgeschichte zweier Siebzehnjähriger, ein Coming-of-Age und Coming-out, in dem die beiden jungen Darsteller Kacey Mottet Klein und Corentin Fila mit nichts zurückhalten und ganz einfach glänzen. Zusammen mit Céline Sciamma (Bande de filles) ist ein Drehbuch mit einer Versuchsanordnung entstanden, die zum Glück ganz und gar gelingt.

24 Wochen von Anne Zohra Berrached

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Der einzige deutsche Beitrag im diesjährigen Wettbewerb hat ein kontroverses Thema, das sich fruchtbar beackern liesse: Die erfolgreiche Kabarettistin Astrid und ihr Mann Markus müssen sich entscheiden, ob sie ihr zweites Kind behalten wollen, das mit Downsyndrom und einem möglicherweise fatalen Herzfehler zur Welt kommen würde. Diese schwere Entscheidung ist flankiert von weiteren Schwierigkeiten. Zum einen ist da Nele, die neunjährige Tochter, die sich erst einmal gar nicht über ein Brüderchen freut, schon gar nicht, wenn es behindert ist. Wie spricht man mit Kindern über Behinderung, veränderte Lebensumstände und Abtreibung? Eine weitere Belastungsprobe stellt Astrids Bekanntheit dar. Sie muss sich entscheiden, wie weit sie unter diesen Umständen ihr persönliches Schicksal mit der Öffentlichkeit teilen will und muss. Schliesslich bringt die Situation das Paar an seine Grenzen, denn am Schluss entscheidet Astrid ganz allein über Leben und Tod.

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Für ihren Hochschulabschlussfilm hat Anne Zohra Berrached ohne Zweifel gründlich recherchiert, und entsprechend wägen die Figuren fast alle relevanten Aspekte ab – ausser vielleicht der Perspektive auf ein Leben mit einem behinderten Kind. Als ob es ein Tabu wäre, wird dies ausgespart. Es wird schon gehen. Punkt. Auch die Szenen, in denen Ärzte involviert sind, wirken authentisch, eigentlich schon fast dokumentarisch. Wohl weil diese Figuren von echtem medizinischen Personal gespielt wurden. Als weiteres Plus kann sich Berrached mit Julia Jentsch, Bjarne Mädel und Johanna Gastdorf auf ein hervorragendes Cast verlassen, das weitgehend improvisierend die vielen Dialoge souverän bestreitet.

Und doch – oder gerade wegen des ständigen Geredes – fehlt diesem Film etwas, das sich emotional auf die Zuschauer übertragen könnte. Wohlgemerkt, es wird kein Auge im Kino trocken bleiben, denn allein die Szene, in der das Kind in der 24. Woche erst mit einer Kaliumchloridspritze getötet werden muss, bevor es die Mutter tot auf die Welt bringt, ist an und für sich herzzerreissend. Der Film tut aber bis dahin wenig, um das gesprächslastige Beinah-Dokudrama aufzubrechen. Berrached findet keine Bilder für den inneren Zustand ihrer Protagonisten und verlässt sich auf Nahaufnahmen von Gesichtern.

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