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Zürich DADA Kino

Im Frühjahr 2016 kann man kaum einen Schritt durch Zürich machen, ohne auf Dada zu stossen. Was lässt sich davon ausstellen? Was bleibt aber von einem Lautgedicht, einer Tanzperformance, einem Abendprogramm im Stil einer Nummernrevue? Aus dieser Perspektive hätte der Film ein entscheidendes Instrument im ästhetischen Werkzeugkasten der Dadaisten sein können.

Text: Volker Pantenburg / 25. Apr. 2016

Im Frühjahr 2016 kann man kaum einen Schritt durch Zürich machen, ohne auf Dada zu stossen. Die Wanderkarte «Dada City Zürich», in der die städtischen Topografien von 1916 und 2016 übereinandergeblendet werden, verzeichnet nicht weniger als 163 Dada-relevante Orte, darunter neben den häufig wechselnden Adressen von Hans Arp, Hugo Ball und Emmy Hennings, Walter Serner, Tristan Tzara und anderen Protagonisten auch zentrale Aufführungslokale, Galerien und Museen, die 100 Jahre später in unterschiedlichster Weise auf die Bewegung zurückblicken. Die Frühaufsteher unter den Gläubigen können täglich zwischen 6.30 und 7.00 Uhr an Offizien im Cabaret Voltaire teilnehmen und ihre Stundengebete an die Dada-Götter, aber auch an Wahlverwandte wie Sigmund Freud, Buster Keaton, Michail Bakunin oder Lenin richten. Im Jubiläumsjahr gilt: Wirf einen Stein und du triffst: DADA.

Es überrascht nicht, dass das Gedenkfieber gemäss der Logik kultureller Förderung zu Jahrestagen besonders heftig ausbricht. Im Fall Dadas wirkt die regionale Zuschreibung ebenso wie die Musealisierung aber besonders widersinnig. Sicher, die wichtigsten Gründungsakte und Soireen haben in der «Künstlerkneipe Voltaire» in der Spiegelgasse stattgefunden, ein paar Häuser neben Lenins damaligem Domizil. Sicher, zwischen 1916 und 1919 war Zürich das Epizentrum des dadaistischen Erdbebens. Aber in radikaler Opposition zu jeder räumlichen Festlegung war Dada von Beginn an international (im Personal) und internationalistisch (im politischen Selbstverständnis). Eine Gruppe versprengter Exilanten, aus unterschiedlichen Motiven auf der Flucht, fand mitten im Ersten Weltkrieg in Zürich ästhetisches und politisches Asyl, bevor sich die Bewegung in Berlin, Paris, New York, Hannover fortsetzte und weiterentwickelte. Und auch das Museum als Institution lag den Dadaisten fern. Was bleibt von einem Lautgedicht, einer Tanzperformance, einem Abendprogramm im Stil einer Nummernrevue? Was lässt sich davon ausstellen? Allenfalls Kollateralobjekte wie Programmblätter, Masken, Manuskripte. Das Entscheidende, der Aufführungscharakter in seiner Direktheit und Flüchtigkeit bleibt auf der Strecke.

Aus dieser Perspektive hätte der Film ein entscheidendes Instrument im ästhetischen Werkzeugkasten der Dadaisten sein können. Per definitionem kein Unikat oder Original, sondern eine reproduzierbare, mobile, aufführungsbasierte und flüchtige Erfahrung sind Filme serienmässig mit einem Widerstand gegen die museale Stillstellung ausgestattet. Im Zeitalter des Stummfilms war das Medium zudem immer wieder Anlass für die Utopie einer rein visuellen und damit transnationalen, an keiner Staatengrenze haltmachenden Universalsprache. Aber die Beziehung zwischen Dada und Kino ist komplizierter und widersprüchlicher. Schon in den achtziger Jahren hat Thomas Elsaesser mit guten Argumenten die Position vertreten, es gebe keinen dadaistischen Film: «Dada im Kino, das war nicht ein spezifischer Film, nicht eine bestimmte Anordnung von Techniken oder der textuellen Organisation, sondern das Schauspiel der Vorführung.» Die Sprengkraft der dadaistischen Interventionen hatte mehr mit der programmatischen Konfrontation von Sinn und Unsinn und der Nähe zu Jahrmarkt und Vaudeville zu tun – also mit exakt dem Kontext, aus dem sich das Kino etwa zehn Jahre zuvor gelöst hatte.

Dass wir heute beim Begriff Dada dennoch an ein – wenn auch schmales – Korpus von Filmen denken, an Francis Picabias und René Clairs Entr’acte (1924), Man Rays Le retour à la raison (1923), Fernand Légers Ballet mécanique (1924) oder an Hans Richters Filme der zwanziger Jahre, liegt vor allem an nachträglichen Kanonisierungen und Zuschreibungen. Als diese Filme entstanden, war der Dadaismus so gut wie vorüber. Erst bei der berühmt-berüchtigten Soirée du Cœur à barbe im Pariser Theâtre Michel im Juli 1923, bei der es zum öffentlichen und vehementen Bruch zwischen Dadaisten und Surrealisten kam, wurden Filme in substanzieller Zahl gezeigt: Fumée de New York, später unter dem Titel Manahatta bekannt geworden, von Charles Sheeler und Paul Strand, Hans Richters Rhythmus 21 sowie Le retour à la raison von Man Ray, auf dem Programm des Abends noch als «Retour de la raison» annonciert – Filme, die ästhetisch wenig, wenn nicht gar nichts verbindet.

Hans Richter, der später zum wichtigsten und geschicktesten Fürsprecher eines dadaistischen Films wurde, reiste im September 1916 nach Zürich. Nicht das seit Februar existierende Cabaret Voltaire lockte ihn in die Stadt, sondern die ärztliche Behandlung einer Kriegsverletzung, die er sich zwei Jahre zuvor zugezogen hatte. Der Dadaismus ist aber nur eine der vielen Avantgarde-Affären, die Richter in diesen Jahren einging. Gegenüber den anderen Protagonisten der Bewegung zeichnet es ihn aus, dass er sich allen radikalen Vorstössen auf dem Feld der Künste aufgeschlossen zeigte und lieber der fröhlichen Promiskuität als der ästhetischen Monogamie frönte. Ob als Konstruktivist, Vertreter des «Absoluten Films», Symphatisant von «De Stijl» – Richter entwickelte seine Malerei und das um 1920/21 einsetzende Filmwerk im Austausch mit allem, was progressiv war.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, in New York und erneut im Exil, scheint sich Richter entschlossen zu haben, den Dadaismus als den wichtigsten Impuls einer radikalen Moderne herauszuheben. Er dreht den zweiteiligen Film Dadascope (1957), er konzipiert eine wichtige Ausstellung zum 50. Jahrestag Dadas, er schreibt das Standardwerk «Dada. Kunst und Anti-Kunst» (1964). Den Anschluss Dadas an die Gegenwart der Nachkriegsmoderne stellt er über die Begriffe «Abstraktion» und «Freiheit» her, die er retrospektiv zu Kernanliegen des Dadaismus erklärt. In Dadascope blickt der Tonfilm zurück auf den Stummfilm. 40 Jahre nach Zürich-Dada rückt Richter die akustische Seite der Bewegung ins Zentrum: die Laut- und Simultangedichte Hugo Balls und Tristan Tzaras, die Wortspielereien Marcel Duchamps, zumeist von ihren Autoren selbst gelesen. Für den Film standen Richter nicht nur viele der Dadaisten-Freunde und Mitstreiter aus den zwanziger Jahren als Sprecher und teils auch als Schauspieler zur Verfügung. Der Regisseur griff auch auf die ikonischen Objekte des Dadaismus zurück und baute sie als Props in die kurzen Vignetten ein. So verliert das in Man Rays Fotografie «Cadeau» (1921) verewigte Bügeleisen mit Nägeln seine Aura und bekommt im Zerreissen der gebügelten Wäsche seinen anarchisch-destruktiven Witz zurückerstattet. Unter dem Strich allerdings bleibt Dadascope ein Kuriosum. Der Film ruft eine Melancholie hervor, vergleichbar der, die man empfindet, wenn alt gewordene Bands, die Idole der Jugend, noch ein letztes Mal auf Tournee gehen.

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/2016 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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