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Der lange Weg zu den Kurzfilmen Vier Jahreszeiten und Pastorale Schweiz

Schon als Gymnasiast träumte ich davon, Musik zu «verfilmen». Ich habe sogar ein dreiminütiges Drehbuch zu Mozarts «Cosi fan tutte»-Ouvertüre geschrieben. Kaum je realisierbar …

Text: Nicolas Gessner / 01. Jan. 2017

Schon als Gymnasiast träumte ich davon, Musik zu «verfilmen». Ich habe sogar ein dreiminütiges Drehbuch zu Mozarts «Cosi fan tutte»-Ouvertüre geschrieben: Eine Schwebebahngondel steigt zuerst langsam maestuoso, dann allegretto aus dem Wald hinauf in die Schneeberge und saust mit der Schluss-Coda presto-vivace wieder ins Tal hinunter! Kaum je realisierbar …

Jahre später (1961) bewarb sich die Condor-Film AG um den Auftrag eines Beiprogrammfilms fürs Berner Oberland. Produzent Heini Fueter fragte mich, ob ich eine Idee hätte. Ich ergriff die Chance – statt der Mozart-Ouvertüre wählte ich Vivaldis «Vier Jahreszeiten». Zuerst holte ich Rat bei Edmond de Stoutz, dem genialen Dirigenten und Direktor des Zürcher Kammerorchesters. Ich hatte mit ihm schon Opern inszeniert und kannte seinen Perfektionismus. «Glauben Sie» (man duzte sich damals nicht automatisch), «dass wir eine 12- bis 15-Minuten-Fassung der vier Violinkonzerte erarbeiten könnten?» Seine Zusage gab mir Mut.

Ich erzählte meinem Produzenten das unorthodoxe Konzept: kein Kommentar, nur Musik, also weltweit ohne Sprachgrenzen auszuwerten, eine Musik, die schon im Titel das vielseitige, jederzeit zugängliche Tourismusangebot des Auftraggebers ankündigt. Heini war erfreut, und wir fuhren ins Berner Oberland. Ich sorgte mich, wie man den Verkehrsverein überzeugen könnte, einen Film zu finanzieren, der nicht erzählbar, sondern nur im emotionalen Zusammenspiel von Bild und Musik zu erleben und zu geniessen ist.

Der Produzent Heini Fueter hatte das Talent, unsichtbare Fäden zu soliden, tragfähigen Stricken zusammenzuknüpfen. In Gstaad wurden wir vom Chef des berühmten Palace Hotel, Heinis altem Freund, empfangen. Zu den privilegierten Gästen des Palace gehörte auch der Violinvirtuose Yehudi Menuhin, Gründer des jährlichen Menuhin-Festivals in der Kirche von Saanen – mit dem Zürcher Kammerorchester unter der Leitung von Edmond de Stoutz.

Heini nahm es auf sich, meinen unerzählbaren Film zu schildern, mir sein Vertrauen auszusprechen und zwar so überzeugend, dass die Berner Oberländer tags darauf Condor den Auftrag erteilten. Ich konnte beginnen, meinen Jugendtraum der verfilmten Musik zu realisieren. Für die Entfaltung eines Regisseurs kann ein guter Produzent mehr beitragen als jede Film-(Hoch)-Schule.

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Fünfzehn Jahre später bestätigte ein erfreulicher Epilog das auf die Dauer ausgerichtete Wirken des Produzenten Heini Fueter: Für meinen allerersten Dokumentarfilm Vielleicht schon morgen (Schweizer Zivilschutz, 1957) hatte Heini als Kommentarsprecher Werner Kämpfen vorgeschlagen, den Radionachrichtensprecher der Kriegsjahre. Seine Stimme war dem Schweizer Publikum als «Ausdruck unseres Wehrwillens» vertraut.

1975, als ich keine Auftragsfilme mehr drehte, sondern Spielfilme und Fernsehfilme, traf ich auf einem Flug von Paris nach Zürich Werner Kämpfen. Er war nun Direktor des Schweizer Verkehrsvereins, erinnerte sich an die Berner Oberländer Vier Jahreszeiten und bedauerte, im Schweizer Filmnachwuchs niemanden zu finden, der ihm so einen Film für die ganze Schweiz schaffen könnte. (Die meisten Jung-Filmler waren damals «sozial engagiert».) Tags darauf erwachte ich mit einer Idee: die «Verfilmung» von Beethovens 6. Sinfonie als ein Flug über die Schweiz, alles aus dem Helikopter – «Schweizer Pastorale». Heini Fueter erhielt den Auftrag von Werner Kämpfen, die beiden lösten mit der Rettungsflugwacht das millionenschwere Problem der achtwöchigen Helikopterflüge – mit dem allerersten Prototyp der Gyroskop-stabilisierten Kamera, mit der Antonioni seine berühmte schnittlose Endszene von Professione: reporter gedreht hatte.

Auch die Musik hatte sich vom barocken Vivaldi zum klassisch-romantischen Beethoven um neue Dimensionen bereichert. Natürlich ging ich wieder zu Edmond de Stoutz. Wir beide, der Musiker und der Regisseur, ergriffen die einzigartige Gelegenheit, das, was wir in fünfzehn Jahren jeder für sich dazugelernt hatte, gemeinsam auf die Leinwand zu bringen.

Es war ein lehrreiches Beispiel für unseren komplexen, schwierigen, beglückenden und vom Glück abhängigen Weg des Filmemachens: vom kreativen Impuls zur Produktionsfinanzierung, über die neuste Realisierungstechnik zum Publikumserfolg. Pastorale Suisse lief als Beiprogramm in zehn Pariser Kinos, und jeden Tag gabs Publikumsapplaus. Stolz berichtete ich dies Edmond de Stoutz, der aber bemerkte: «Wissen Sie» (man duzte sich immer noch nicht), «Beethoven hat die Coda so komponiert, dass man nach dem Schlussakkord applaudieren muss.»

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 1/2017 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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