Filmbulletin Print Logo
Filminstallation brunner fondation beyerler 01

Sous l’influence de Claude, Vincent, Paul … et les autres

Noch bis 14. Mai ist in der Fondation Beyeler innerhalb der Ausstellung «Monet» die Film-Installation «Sous l’influence de Claude, Vincent, Paul … et les autres» von This Brunner zu sehen. Das Werk, das aus 25 Filmen der französischen Avantgarde komponiert ist, bietet eine neue Sicht auf die Bilder der Impressionisten und ihren Einfluss auf die Filmemacher der zwanziger Jahre. Ein Gespäch über Einflüsse, Spiegelungen und die Liebe zum Film.

Text: Tereza Fischer / 03. Apr. 2017

Filmbulletin: Herr, Brunner, Ihre Installation heisst ja «Sous l’influence de …». Unter wessen Einfluss standen Sie bei dieser Arbeit? Unter jenem von Monet oder dem der französischen Filmemacher der zwanziger Jahre?

This Brunner: Von beiden natürlich. Zunächst einmal interessiere ich mich fürs Kino und insbesondere für das französische Kino, das ich schon immer sehr gern hatte. Von den Anfängen, die ich jetzt wieder aufgefrischt habe, bis zur Nouvelle Vague sind es absolute Trouvaillen, ein Kleinod nach dem anderen. Auf der anderen Seite bin ich durch mein Grosselternhaus sehr früh in Museen eingeführt worden. Wir sind oft ins Churer Museum gegangen, das voll mit Bildern von Segantini und Giacometti war. Und auch wenn ich als Kind durchs Museum gerannt bin wie Jean-Claude Brialy und Anna Karina in Bande à part, um Lärm zu machen, sagte meine Grossmutter immer: «Luege! Luege!» Mit der Zeit habe ich tatsächlich hingeschaut und viel gelernt.

Wie sind Sie dazu gekommen, die Installation in der Fondation Beyeler zu machen?

Als mich Sam [Keller, Direktor der Fondation Beyeler] angefragt hat, die Installation zu realisieren, hatte er gerade eine Absage von Wim Wenders bekommen. Das wäre seine erste Wahl gewesen. Danach hatte er sofort an mich gedacht. Als ich fragte, bis wann die Arbeit fertig sein sollte, kam die klassische Antwort, die ich seit fünf Jahren höre: «Eigentlich sofort». Das erste Mal hiess es: «Bis morgen müssen wir ein Konzept haben.» Das war bei «Magnificent Obsession – The Love Affair Between Movies & Literature». Auch diesmal musste es schnell gehen, die Eröffnung sollte in drei Monaten sein. Zudem musste die Installation zwei Wochen davor stehen, also hatte ich zehn Wochen für alles. Es war ein Rennen gegen die Zeit, ich habe Tag und Nacht gearbeitet, wie in einem Rausch.

Filminstallation brunner fondation beyerler 02

Wie ist die Idee zu dieser extrem breiten Projektion entstanden?

Ich habe das Konzept wie schon bei «Magnificent Obsession» über Nacht gemacht, habe allerdings alles wieder über den Haufen geschmissen. Ursprünglich hatte ich die Idee, in einer riesigen Aufnahme des Seerosenteichs in Lücken, die an der Stelle der Seerosenblätter sein sollten, Clips laufen zu lassen. Als ich aber die Filme dann endlich wiedergesehen habe, wusste ich, dass diese wunderschönen Filme so gross wie möglich projiziert werden mussten. Das war eine ästhetische Herausforderung, diese fast 25 Meter lange und 5 Meter hohe Wand so gut zu füllen wie möglich. Die andere Überlegung bezüglich der Grösse richtete sich auf die Häufigkeit, in der im Impressionismus Landschaften dargestellt werden. Da kann man eigentlich gar nicht genug in die Breite gehen. Monet hat zwar erst mit seinen Seerosenbildern sozusagen ein CinemaScope-Format gemalt. Aber so bin ich auch auf die Verdopplung, also die Wiederholung desselben Bildes gekommen. Da lag die Idee der Spiegelung nahe. Allzu getreu wollte ich die impressionistischen Werke nicht aufnehmen. Ich hätte mit Slow Motion arbeiten und total meditative Bilder kreieren können, die Esoteriker glücklich gemacht hätten. Das wollte ich nicht, denn die Impressionisten waren damals modern, sowohl die Maler wie auch die Filmemacher.

Die Filmemacher von damals haben die technischen Mittel der Kinematografie ausgeschöpft, mit dem Ziel, die Wahrnehmung zu erneuern. Haben Sie das Material nachbearbeitet und Effekte hinzugefügt?

Nein, alle Effekte, wie Doppelbelichtungen oder Unschärfen sind im Originalmaterial enthalten. Ich habe auch an der Geschwindigkeit nichts verändert. Die einzigen Eingriffe sind langsame Überblendungen zwischen den Sequenzen, denn die Übergänge sollten nicht hektisch wirken. Ich wollte zwischendurch auch Ruhe reinbringen.

Hatten Sie beim Kompilieren nicht auch Ehrfurcht vor diesen Meisterwerken, die Sie gehemmt hat?

Auf jeden Fall! Aber es ist nun meine siebte Arbeit, bei der ich mit fremdem Filmmaterial arbeite. Dass ich es ernst meine, zeigen meine Werk- und Sammlerdokumentationen. In jeder Dokumentation sind alle Filme auf DVD in voller Länge enthalten, damit die Sammler seriös die einzelnen Filme entdecken können. Die tollen Bilder sind ja der Verdienst der Filmemacher.

Filminstallation brunner fondation beyerler 03

In diesem Fall nicht nur, denn mit der Art und Weise, wie Sie die Bilder anordnen, wird ein Nachdenken über den Impressionismus möglich. Insbesondere mit der Spiegelung der Bilder entwickeln Sie ein eigenes faszinierendes visuelles Spiel.

Ich habe das Material auf zwei Arten gestaltet. Zum einen habe ich mit den Bildern gearbeitet und habe Verdoppelungen eingefügt, um die Breite der Installation zu nutzen. Ich wechsle zwischen einem einzigen Bild, das gespiegelt und nochmals verdoppelt wird, und bis zu vier verschiedenen Bildern nebeneinander. Der andere Eingriff betrifft die Musik.

Der halbstündige Film wird von Arvo Pärts Symphonie Nr. 4 untermalt. Wie sind Sie auf diese Musik gekommen?

Bei der Wahl der Musik musste ich mich selbst korrigieren. Das Naheliegende für mich wäre gewesen, die Musik von Eric Satie zu verwenden, die mir wahnsinnig gefällt und die ich in meiner Jugend viel gehört habe. Satie oder Debussy hätten auch in die Zeit des Impressionismus gepasst. Aber Saties Musik ist viel zu oft verwendet worden, von Cocteau und vielen anderen. Zum Glück stiess ich dann auf Arvo Pärt. Ich bin musikalisch nicht sonderlich gebildet, habe aber einen tollen Freundeskreis, auf den ich mich verlassen kann, und ich erinnerte mich, dass Prinz Sadruddin Aga Kahn von der Symphonie Nr. 4 von Pärt geschwärmt hatte. Ich habe sie sofort gekauft und mich reingehört. Das war vor über zehn Jahren. Jetzt habe ich sie mit den Bildern ausprobiert, und sie hat für mich perfekt gepasst, weil es eine Erneuerung ist. Das Stück war ja ein Auftrag vom Museum in Los Angeles an Arvo Pärt, eine Symphonie über die Stadt zu schreiben. Die Stadt der Engel und der Erzengel. Ja, Engel und Erzengel, das alles ist drin auch in vielen dieser Filmausschnitte. Für mich verleiht sie den Bildern Tiefe und erhebt sie über eine Sonntagsmalerei hinaus, die manche Leute in den Werken der Impressionisten sehen.

Filminstallation brunner fondation beyerler 05

Ich möchte nochmals auf die Spiegelungen zurückkommen, ein Sujet, das bei Monet oft vorkommt und das mich auch gerade im extremen Breitbildformat an die Arbeit der Fotografin Jungjin Lee erinnert. Sowohl bei der Malerei als auch bei der Fotografie geht es um Atmosphären, um ein Festhalten von flüchtigen Augenblicken. Wie lassen sich die Spiegelungen in Ihrer Arbeit beschreiben?

Die Spiegelungen in meiner Installation sind eher kaleidoskopisch. Das fasziniert mich, und ich habe es schon in früheren Arbeiten aufgenommen. In »Let’s Pop Again“ und «Beauties and Bitches on the Beach» zum italienischen Kino von 1950 bis heute. Wenn Fellini in Guilietta degli spiriti Giulietta Masina mit einem Hut zeigt, der das Kader zu zwei Dritteln füllt, sie das Gesicht dreht und eine Kamerafahrt das Bild verändert, ergeben sich durch eine Spiegelung fantastische Effekte. Und auch bei La dolce vita kann der Strand nicht breit genug sein kann. Soweit das Auge reicht.
Die Atmosphäre eines einzigen Augenblicks zu vermitteln, das geht im Film nicht eins zu eins. Der Film zeichnet sich durch Dynamik und Geschwindigkeit aus. Ich habe langsame Momente drin, wenn etwa ein Zug in Doppelbelichtung durch den Himmel und über die Wolken fährt. Oder einen Autounfall, bei dem die Vögel auf den Drähten sitzen. Ein Bild, das mich übrigens an Ozu erinnert. Offensichtlich stand auch er unter Einfluss und hat sich im französischen Film bedient. Eine Sequenz, die mir sehr gefällt, stammt aus Jean Renoirs La fille de l’eau, in der ein Mann und eine Frau auf dem selben weissen Pferd durch lichte Wälder reiten.

Die Installation oszilliert zwischen wenigen narrativen und vor allem kontemplativen Momenten, zwischen Abbild und Abstraktion.

Das Narrative hat mich nicht interessiert. Was mich bei den Impressionisten beeindruckt hat, sind zum Beispiel Bilder von Häusern, die vollkommen überwachsen sind, sodass dieses Haus eins wird mit der Natur. Es gibt eine Stelle in der Installation, als eine Frau aus einem überwachsenen Haus hinaus tritt und über eine Wiese davon läuft. Das sind Momente, die mich faszinieren. Es wäre auch schwierig gewesen, aus den 24 Filmen einen neuen narrativen Film zusammenzustellen. Die zwölf Filmemacher waren zwar alle sehr von der impressionistischen Malerei beeinflusst und doch sind sie extrem unterschiedlich. Man Rays Filme zum Beispiel werden später surreal und abstrakt, während wir bei Jean Vigo im poetischen Realismus ankommen.

Filminstallation brunner fondation beyerler 04

Wenn wir die inhaltliche Beziehung zwischen Monet und Ihrer Arbeit anschauen, dann fällt Wasser als ein omnipräsentes Element auf. In Ihrer Installation spiegelt sich das Wasser zusätzlich im Fluiden der Form wider.

Da würde ich gerne auf eine bezaubernde Stelle hinweisen, die man nicht verpassen sollte: In Louis Feuillades Le cœur et l’argent fährt ein Paar in einem Ruderboot über einen Teich, sozusagen in einem Wohnzimmer. Es ist die Erinnerung der Protagonistin, die sich in der einen Hälfte des Bildes materialisiert. Ich habe diesen Ausschnitt verdoppelt und gespiegelt, was das Ganze nochmals stärker verrätselt.

Wenn man sich die Materialität von Monet vergegenwärtigt, dann wäre es im Kino die Materialität des Films, das Korn, die Kratzer. Nun sind mir in Ihrer Installation an zwei, drei Stellen grobe Pixel aufgefallen, die mich aus dem Fluss der Bilder herausgerissen haben.

Das musste ich in Kauf nehmen, obwohl ich wirklich alles dafür getan habe, dass das Material so gut wie möglich aufbereitet wird. Diese Ausschnitte waren mir aber zu wichtig, als das ich hätte darauf verzichten wollen. Die meisten Betrachter bemerken die Pixel aber nicht.

Sie lassen sich auch als Verweis auf eine neue Medialität lesen.

Man merkt an dieser Stelle die Grenzen der Technik. Auch das hat seinen Wert. Aber im grossen Ganzen sind die Filme in einem sehr guten Zustand, wenn man bedenkt, von welch schlechter Qualität die Filmkopien waren, mit denen ich in den sechziger Jahren an die Filme herangeführt wurde. Vor lauter Kratzern sah man kaum etwas.

Mussten Sie viele Ausschnitte und Filme weglassen?

Ja, denn ich wollte die Dauer auf eine halbe Stunde beschränken. Innerhalb eines Museumsbesuchs soll der Film auch für die schon etwas müde gewordenen Besucher eine optimale Länge haben. Aber es gibt viele, die sich die Zeit nehmen und das Ganze zwei Mal schauen. Der Film hat zwar mit einer Szene aus Vigos Zéro de conduite einen fulminanten Abschluss, aber eigentlich kann man jederzeit in die Installation einsteigen.

Ich kann gut verstehen, dass man länger als 30 Minuten dran bleibt. Der Film ist eine geballte Ladung an visuellen Explosionen, (film-)historischen Themen und Referenzen und Bezügen zur impressionistischen Malerei. Welchen Fokus wollten Sie vor allem setzen?

In erster Linie die Natur als impressionistisches Thema. Aber auch die Geschwindigkeit. In einem Büchlein von Georges Clemenceau beschreibt er, wie für Monet die Geschwindigkeit und Mobilität plötzlich wichtige Themen geworden waren. In diesem Sinn habe ich auch Ausschnitte aus den Filmen der französischen Avantgarde aufgenommen wie die Lokomotive, die durch den Himmel fährt, den Blick aus einem fahrenden Auto in die vorbeiflitzenden Bäume oder ein Auto, das durchs Meer zu fahren scheint. Das sind erhabene Momente der Filmgeschichte.

Filminstallation brunner fondation beyerler

In der Installation sind Ausschnitte aus folgenden Filmen enthalten:

Jean Epstein Le double amour; Six et demi onze; Le tempestaire; La glace à trois faces; Mauprat; La chute de la Maison Usher
Abel Gance J’accuse; La fin du monde; La roue
Louis Delluc La femme de nulle part; L’inondation; Le silence
Germaine Dulac L’invitation au voyage
Germaine Dulac & Antonin Artaud La coquille et le clergyman
Jean Renoir La fille de l’eau
Louis Feuillade Le cœur et l’argent
Man Ray L’étoile de mer; Le retour à la raison; Emak Bakia
Dimitri Kirsanoff Rapt
Sergej Eisenstein & G.V. Alexandroff Romance sentimentale
Alberto Cavalcanti Rien que les heures
Jean Vigo A propos de Nice; Zéro de conduite

Weitere Empfehlungen

Interview

01. Nov. 2005

«Ohne Musik wäre ich nicht zum Film gestossen»

1998 «schleppte» mich ein Freund am Jazzfestival von Montreux in ein Konzert von Maria Bethânia. Ich kannte sie nicht, und überhaupt hatte ich keine Ahnung von brasilianischer Musik. Es war ein verrücktes Konzert.

Interview

01. Jan. 2012

«Schneiden hat auch ein Suchtpotential»

FILMBULLETIN Wie lebt man damit, dass selten der Rote Teppich für den Filmschnitt ausgerollt wird?

MYRIAM FLURY Bezüglich Anerkennung: Ich meinerseits fände es langsam an der Zeit, dass beim Schweizer Filmpreis die Kategorie Filmschnitt endlich eingeführt würde. Drehbuch, Musik, Kamera sind drin. In dieser Reihe fehlt definitiv das Editing.