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Denk ich an Deutschland in der Nacht

Das Bildrausch Filmfest Basel zeigt seinen neuen Film Denk ich an Deutschland in der Nacht im diesjährigen Internationalen Wettbewerb «Cutting Edge». Ein Gespräch über DJs, Heinrich Heine und die Unmittelbarkeit des Filmemachens.

Text: Pamela Jahn / 19. Juni 2017

Romuald Karmakar ist der selbsternannte Ethnograph unter den Dokumentaristen. In seinen Filmen beobachtet er Auffälligkeiten und Störfälle der deutschen Gegenwart. Das Bildrausch Filmfest Basel zeigt seinen neuen Film Denk ich an Deutschland in der Nacht im diesjährigen Internationalen Wettbewerb «Cutting Edge». Es ist die vierte Annäherung des renommierten Autoren- und Dokumentarfilmers an das Phänomen der elektronischen Musik, ihre Orte und ihre Protagnisten. Ein Gespräch über DJs, Heinrich Heine und die Unmittelbarkeit des Filmemachens.

Filmbulletin Herr Karmakar, im Grunde genommen tun Sie in Denk ich an Deutschland in der Nacht, was in meiner Jugend als absolutes Tabu galt, nämlich dem DJ während des Auflegens ständig auf die Finger zu schauen. Was fasziniert Sie daran so sehr?

Romuald Karmakar Es ging mir in erster Linie darum, die DJs bei ihrer Arbeit zu zeigen. Also einmal das Auflegen am Wochenende im Klub oder auf einem Festival, und dann natürlich auch, was sie unter der Woche leisten, wenn sie sich einerseits erholen und andererseits schon wieder auf den nächsten Gig vorbereiten, oder an einem Album arbeiten – die Studioübungen sozusagen. Und wenn man sich von vornherein so explizit auf das Handwerk der DJs konzentriert, dann muss man sie natürlich auch im vollen Einsatz zeigen, anders als wenn man beispielsweise den Fokus auf das Publikum richten würde.

 

Sie befragen in Ihrem Film fünf kreative Köpfe der Techno-Szene, darunter Ata, Ricardo Villalobos, Roman Flügel, Sonja Moonear und David Moufang, vielen besser bekannt als Move D. Inwiefern haben Sie mit Ihren Protagonisten kollaboriert, was die künstlerische Gestaltung des Films angeht?

Gar nicht, aber auch das war von vornherein klar. Wir haben nicht mal abgesprochen, ob wir sie in Rumänien filmen oder in Wales, sondern haben einfach gesagt, wann wir kommen. Aber natürlich gab es so etwas wie ein Grundverständnis über das Projekt, sodass allen Beteiligten klar war, wie wir uns die Zusammenarbeit vorstellten, bevor wir überhaupt irgendwen oder -was gefilmt haben. Im Fall von Ricardo Villalobos war das ein bisschen was anderes, weil ich mit ihm 2008/09 bereits einen ganzen Film gedreht hatte. Das heisst, zwischen uns herrscht mittlerweile ein sehr enges Vertrauen. Aber auch mit den anderen Protagonisten war das letztendlich sehr ähnlich.

Sehen Sie den Film als eine Art Fortsetzung der Dokumentationen, die Sie in den 2000er Jahren bereits mit Villalobos und anderen Vertretern der elektronischen Musik gemacht haben?

Auf jeden Fall basiert der Film auf den drei anderen Arbeiten, die ich bereits zu dem Thema gemacht habe. Allerdings stammte die Idee zu Denk ich an Deutschland in der Nacht eigentlich gar nicht von mir, sondern ist zunächst eher zwischen meinem Produzenten und Ricardo Villalobos entstanden. Die Überlegung war: Wie kann man einen Film machen, der den Status quo dieser Musik festhält? Daraufhin kam ich dann auch wieder ins Spiel, allerdings wollte ich nicht automatisch noch einmal einen Film ausschliesslich mit Ricardo machen, also haben wir uns überlegt, wen man diesbezüglich noch alles ansprechen könnte. Und ausgehend von einer ersten groben Liste, auf der neben Klubbetreibern und Bookern auch Lautsprecher-Hersteller und Plattenladen-Betreiber standen, hat sich das Ganze am Ende auf diese fünf Namen reduziert.

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Ata beschreibt die Musik als einen riesigen, dicht gewobenen Teppich, dessen Ende man nicht sieht. David Moufang stellt eine Beziehung zum Sternensystem her, bei dem es um Raum und Zeit geht. Welche dieser Assoziationen ist Ihnen persönlich am nächsten?

Ich denke, das Bild, das Ata entwirft, von einem grossen Teppich, den man kaum noch überblicken kann, und der erst dann Strukturen und Farbelemente erkennen lässt, wenn man sich genau damit beschäftigt und hinhört, das ist so ein tolles Bild, das kann man eigentlich gar nicht erfinden. Und diese Aussage kommt ja relativ am Anfang des Films. Für mich ist das fast schon so eine Art Grundvertrag zwischen Zuschauer und Projekt, das man sich sagt: Ja, okay, dieser Film kümmert sich auch darum, dass man kleine Details beobachtet und kleine Farben entstehen können, wenn man genau hinschaut, und wenn man den Bildern vertraut und den Personen, die erzählen. Bei dem zweiten Bild von David Moufang ist das insofern etwas anderes, weil er die Musik letztlich auf eine höhere Ebene hebt, indem er auf das Sternensystem zurückgreift, wo die Trompete von Miles Davies neben Bach existiert und so weiter. Das ist im Grunde noch mal eine Weiterführung von Atas Konzept, die zwar im ersten Moment vielleicht etwas komisch klingt, zumal er unter anderem die deutsche Romantik aufgreift, die deutsche Kultur der Physik sowie das Verhältnis zwischen Physik, Musik und Mathematik, und das Ganze dann bis ins Transzendentale abhebt. Aber für einen Filmemacher ist das natürlich ein Geschenk, und wir waren im Endeffekt beide total glücklich, dass wir uns diesen Moment erarbeitet haben.

Sonja Moonear ist die einzige Frau, die zu Wort kommt, dabei gibt es gerade im Techno- und Elektro-Bereich eine Vielzahl hervorragender Musikerinnen. Was macht sie so besonders für Sie?

Sonja habe ich eigentlich eher zufällig für das Projekt entdeckt, weil sie im Mai 2015 auch in Rumänien dabei war. An dem Tag hatte sich alles um drei, vier Stunden verzögert, weil Ricardo aus Berlin eingeflogen kam und der Flug Verspätung hatte. Also sassen wir da und haben auf ihn gewartet, bis wir irgendwann gesehen haben, was die Sonja da eigentlich macht, wie sie den ganzen Saal in Wallung bringt. Und in dem Augenblick habe ich sie für meinen Film entdeckt. Dass sie eigentlich ganz oft vor Riccardo auflegt, habe ich erst später erfahren, und auch, dass sie einen persönlichen Bezug zu ihm hat, weil sie wie er zu dieser Gruppe von Künstlern gehört, die über ein Jahr lang in Chile in einer Villa zusammengelebt und -gearbeitet haben. Es gab da so etwas wie eine Künstlerkolonie, und zu der gehörte Sonja auch dazu. Es ging mir also jetzt gar nicht darum, unbedingt eine Frau mit dabei zu haben, weil ich mich bei der Auswahl der Protagonisten sowieso nicht nach irgendwelchen Quoten oder gängigen Mustern gerichtet habe, sondern die Hauptsache für mich war, dass mich diese Frau, diese Person fasziniert, in dem was sie tut, und später auch, wie sie über das redet, was sie macht. Darüber hinaus, fand ich es, rein visuell betrachtet, auch interessant, ihr Studio beispielsweise mit dem Studio von Riccardo zu vergleichen, zumal die doch sehr unterschiedlich ausfallen.

Sie haben bereits erwähnt, dass Sie an den verschiedensten Orten, auf diversen Festivals in ganz Europa gedreht haben. Im Film selbst werden diese Orte nicht genannt, so wie auch sonst keine Namen auftauchen. Was hat es damit auf sich?

Zum einen ist es so, dass die Orte, an denen diese Kultur dargeboten wird – ob das jetzt ein Klub ist oder ein Festival – für mich Kulturorte sind. Ich habe 2005 einen Film mit dem Titel Between the Devil and the Wide Blue Sea gedreht, darin ging es um Klubs, die nicht mehr existieren. Aber im Grunde gehören auch diese Orte zu der Kultur dazu, genauso wie die DJs und die Platten, die sie spielen. Man muss sich nur mal überlegen, dass die DJs in Detroit in ihrer Stadt gar keine Orte hatten, in denen diese Musik im Tanzen zelebriert wurde, sondern sie ihre Musik eigentlich erst durch Klubs in Berlin kennengelernt haben, als sie festgestellten, dass die Leute im Tresor oder im WMF dazu tanzen. Da sieht man eigentlich erst, was für eine Bedeutung diese Orte für unsere Jugendkultur haben, und so habe ich sie hier auch gefilmt. Zum anderen handelt es sich hier ja um einen Kinofilm. Aber diese Ästhetik, dass immer derjenige, der redet, dann auch eine Bauchbinde bekommen muss, oder jeder Ort immer sofort erklärt wird, das ist für mich etwas, was grundsätzlich eher mit dem Fernsehen zu tun hat. Ich denke mir: Okay, es wird einen Teil der Leute geben, die wissen jetzt, dass das Ricardo ist, oder Roman. Und die Leute, die das nicht wissen, die überlegen sich: Was ist das für ein Mensch? Was sagt der? Das heisst, der Zugang auf die Person und auch auf die Orte, ist in dem Moment viel freier, viel offener und unbefangener als wenn ich drunter schreiben würde: Marktkantine Amsterdam. Denn in dem Moment, wo jemand denkt, oh Gott, ich hasse Amsterdam, hat er von vornherein einen negativen Bezug zu dem Bild. Davon abgesehen ist es doch auch viel spannender, sich zu fragen: Wo ist das eigentlich?

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Im Titel Ihres Films, einem Zitat von Heinrich Heine, stellen Sie dafür ganz konkret den Bezug zu Deutschland her.

Ja. Als Heinrich Heine sein Gedicht «Nachtgedanken» schrieb, musste er im Exil leben. Seine Arbeiten waren in Deutschland immer wieder verboten. Heutzutage dagegen können Künstler, die in Deutschland leben und arbeiten – und das müssen noch nicht einmal deutsche Künstler sein – weltweit ihre Kunst ausüben. Und ich dachte mir, dass Heine sich wahrscheinlich wahnsinnig gefreut hätte, wenn es in seiner damaligen Zeit zum Beispiel jemanden wie Roman Flügel gegeben hätte, den wir im Moulin Rouge gefilmt haben. Wenn er mitbekommen hätte, wie solche Künstler heute weltweit rezipiert werden, und dass es auch diese Art von Kultur aus Deutschland gibt.

Wie steht es eigentlich um Ihren eigenen Bezug zu der Musik, mit der Sie sich seit Jahren intensiv auseinandersetzen. Hätte Sie gedacht, dass Techno einmal einen derart grossen Raum auch in Ihrem Schaffen als Filmemacher einnehmen würde?

Das kann man so glaube ich nicht sagen. Ich habe beispielsweise auch einen Film über eine Geheimrede Heinrich Himmlers gemacht, aber ich war nie Mitglied der SS. Also inwiefern man einen persönlichen Bezug zu dem Thema hat, spielt für mich dabei eigentlich keine Rolle. Aber ich habe jetzt vier Filmen über elektronische Musik gemacht, mehr kann man dazu eigentlich gar nicht sagen.

Wie wählen Sie Ihre Themen aus? Oder ist es eher andersherum: Wählen die Themen Sie aus?

Das ist ganz unterschiedlich. Bei Denk ich an Deutschland in der Nacht wäre ich selbst, wie gesagt, gar nicht auf die Idee gekommen, mich noch einmal mit dem Thema zu beschäftigen. Im Nachhinein scheint es mir das Naheliegendste in der Welt zu sein. Also jedes Projekt ist da anders. Hamburger Lektionen zum Beispiel entstand daraus, dass ich kurz nach den Anschlägen in London im Juli 2005 in der FAS [Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung] einen ganzseitigen Artikel über den Prediger Mohammed Fazazi entdeckte, der 2000 in Hamburg in eine Moschee zwei Vorträge gehalten hatte. Daraufhin habe ich den Journalisten kontaktiert um zu fragen, ob es von den Reden Abschriften gäbe und so nahm das Projekt seinen Lauf, einfach weil ich mir dachte, es ist merkwürdig, dass wir in Deutschland nach den Anschlägen in Madrid und in London immer so tun, als sei die Hamburger Zelle gar nicht mehr aus Hamburg, als hätten wir das alles längst exteritorialisiert, obwohl es eigentlich die Grundlage war für diese Entwicklung, die Radikalisierung der Täter von 9/11. Die haben sich ja in Hamburg radikalisiert und nicht in Syrien oder anderswo. Es sind immer Aspekte wie diese, die mich da hinziehen, mehr zu erfahren, und zu hinterfragen: Was passiert da eigentlich in unserer Gesellschaft?

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Sie haben Das Himmler-Projekt erwähnt, einen Film, der ebenfalls Parallelen zu Hamburger Lektionen aufweist, in der Hinsicht wie und worauf Sie Ihre Dokumentationen aufbauen. Ist Ihnen wichtig, dass Ihre Filme stets einen eigenen Dialog miteinander führen?

Absolut. Die Ästhetik, die wir in Hamburger Lektionen angewendet haben, basierte zum Teil auf den Erfahrungen, die ich zuvor mit dem Himmler-Projekt gemacht hatte. Konkret ging es mir um die Reduktion und die Frage: Wie geht man mit einem Dokument um? Beim Himmler-Projekt war die Grundlage eine Geheimrede, die auf Wachsblättern aufgezeichnet wurde, die es als Abschrift gab, und die dann bei den Nürnberger Prozessen als Dokument der Anklage verwendet wurde. Und da haben wir gemerkt, dass es eine Diskrepanz gibt zwischen der Tonaufnahme und dem schriftlichen Dokument, und diese Diskrepanz hat mich neugierig gemacht. Bei Hamburger Lektionen dagegen, war die Grundlage ein VHS-Band, auf dem diese Reden aufgezeichnet waren und das in der Moschee in Hamburg verliehen wurde, wie in einer Bibliothek, damit sich diese Gedanken sozusagen transportieren. Und damit hat man dann ein Grundgerüst. Seit vielen Jahren schon versuche ich ein Dokument aus der linken Terrorgeschichte Deutschland zu bekommen, um sozusagen einen dritten Teil dazu zu machen. Aber leider ist mir das bis jetzt noch nicht gelungen, weil die Familie das Dokument sperrt.

Sie haben 2004 mit Die Nacht singt ihre Lieder zum letzten Mal einen Spielfilm gedreht. Hat das einen besonderen Grund?

Es stimmt, dass ich schon länger keinen Spielfilm mehr gemacht habe. Das hat zum Teil damit zu tun, dass man in einen Spielfilm – zumindest zeigt das meine Erfahrung – mindestens drei Jahre investieren muss. Dazu kommt, dass ich beispielsweise all die Dokumentarfilme, die ich in den 2000er Jahren gemacht habe, selber finanziert habe, ohne Förderung, ohne Sender. Das heisst, wenn ich im Juli 2005 diesen Artikel über den Prediger in Hamburg lese und dann entscheide, dass ich im Februar 2006 mit dem Film bei der Berlinale sein will, dann geht das einfach nicht mit Förderung und Exposé schreiben und dann mit Redakteuren reden und so weiter. Diese Unmittelbarkeit ist für mich auch ein extrem wichtiges Element des Filmemachens, das man eben nicht nur über das Filmemachen redet, sondern stattdessen tatsächlich Filme macht.

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