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Dekor und Reduktion

Im Ausstattungsfilm ist weniger nicht mehr. Das lässt sich eindrücklich am Beispiel von Dominik Grafs Die ­geliebten Schwestern zeigen. Graf stellt das Dekor nicht in den Dienst der Figuren, sondern gibt ihm eine grössere Rolle. Über die Ausstattung kommt etwas Drittes ins Spiel, das alle Beziehungen zwischen den Figuren dynamisiert und das geschlossene System des Kostümfilms aufbricht.

Text: Linda Waack / 21. Mär. 2018

Es stimmt nicht, dass weniger mehr ist. Es gibt eine Grenze, unter der ist weniger einfach weniger. Das gilt für die Ausstattung von Jugendzentren oder Schulen, von Seminarräumen oder Arbeitsstellen, das gilt generell fürs Einkommen. In gut ausgestatteten Räumen zu leben, neben gut ausgestatteten Menschen, macht nicht alles, aber vieles um vieles leichter. Das ist vielleicht der Grund, warum mich der Ausstattungsfilm fasziniert. Hier wird den Figuren Halt gegeben durch die Dinge, mit denen sie umgeben sind.

«In den Dekors selbst sollte die Persönlichkeit der betreffenden Figur auch zum Ausdruck kommen», schreibt Gerhard Midding Mitte der Neunzigerjahre. So weit würde ich heute nicht gehen, denn nicht immer stehen Figur und Dekor in einem Äquivalenzverhältnis, nicht immer ist die Aussenwelt Ausdruck einer Figuren-Innenwelt. Bisweilen triumphiert die Ausstattung ästhetisch und kommt doch gegen die Abwärtsbewegung der Figuren nicht an. Etwa in Yasujirō Ozus Tokio in der Dämmerung, in dem die schöne Geometrie der Innenräume der emotionalen Haltlosigkeit, die sich in ihnen breitmacht, nicht die Stirn bieten kann.

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Es stimmt: Ich will im Kino wohnen. Während sich der Raum um mich herum in einen entleerten Schaukasten nach dem Vorbild japanischer Aufräumkunst verwandelt, der einen sozialen Status – welchen? – ausdrücken soll und dabei zugleich eine gefühlte Mittellosigkeit verdeckt, beneide ich die Protagonistinnen in Dominik Grafs [art:69] um die Lebendigkeit ihrer Inneneinrichtung. Hier scheint es nur um eine Frage zu gehen: Stellen wir die Blumen ins Vorder- oder Hinterzimmer? Codes, Kosenamen, Kostüme, Stoff und Takt: Der filmischen Welt, welche die drei Liebenden Caroline, Charlotte und Fritz teilen, ist es erlaubt, an ästhetischen Regeln orientiert zu sein. Das Dekor arbeitet mit und bringt mehr als die Per­sönlichkeit der Figuren zum Ausdruck – es handelt sich vielmehr um einen Film, der über seine Ausstattung kommuniziert. Das heisst, dass der Film seinem inneren Aufbau, seinen ästhetischen Gesetzen, äusserlich zur Gestalt verhilft.

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 2/2018 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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