Filmbulletin: Zwischen Ihnen beiden liegen dreissig Jahre und unzählige Filme. Wie hat Sie der Schweizer Film in Ihrem Schaffen geprägt?
Markus Imhoof: Ich war einer der Einzigen vom Jungen Schweizer Film mit Kontakt zur Grossvatergeneration: Kurt Früh zum Beispiel war mein Lehrer an der Filmschule. Das Boot ist voll ist eine Antwort auf Die letzte Chance von 1945, einen Film, den ich bewundere, aber dessen Happy End eine vom Bundesrat befohlene Lüge ist. Ich korrespondierte mit dem Regisseur Leopold Lindtberg für mein Drehbuch. Mit Früh habe ich zum Thema Realismus furchtbar gestritten, das konnte man mit ihm, auch über die Verwendung von Dialekt als Komik. Wir haben gegen die Erzählform rebelliert und auch gegen das biedere Publikum. Von Franz Schnyder etwa, mit dem ich nie Kontakt hatte. Sein schlimmster Film, Die 6 Kummer-Buben (1968), war in unseren Augen der Grabstein des alten Schweizer Films – finanziert mit viel Geld vom Schweizer Fernsehen. Ich als Jungregisseur hatte da einen schwierigeren Stand.
Bettina Oberli: Ich habe den ganzen Korpus des alten Schweizer Films eigentlich erst so richtig entdeckt, als ich an die Filmschule nach Zürich gegangen bin. Franz Schnyders Filme zum Beispiel kenne ich aus dieser Zeit. Bei meiner Generation von ZHdK-Abgänger_innen war, wohl im Gegensatz zu deiner Generationen, nicht mehr der Drang zu spüren, etwas zerstören zu müssen. Bei uns ist eher eine Lust und Freude an alten Schweizer Filmen aufgekommen. Man wollte sich der Sache annähern, einfach auf eine moderne Art und Weise. Etwa Mein Name ist Eugen von Michael Steiner: Das ist ein Film, der zugleich traditionell und frisch daherkommt. Das Gleiche gilt für Die Herbstzeitlosen. Ich kann mich daran erinnern, dass ich, als ich das erste Dossier zum Film beim SRF eingegeben habe, ganz konkret geschrieben habe, dass es sich um einen modernen Heimatfilm handle. Wir wollten den Schauspielerinnen, die zu Schnyders Zeiten noch jung waren, bewusst nochmals eine Plattform geben.
Ich muss aber auch sagen, dass meine Begeisterung fürs Filmemachen von woanders herrührt. Die hat sich in dem Moment entzündet, als ich verstanden habe, dass auch Frauen Filme machen. Jane Campion zum Beispiel. Daher kommt meine Inspiration, das war mein Anknüpfungspunkt. Auch das italienische Kino hat mich sehr inspiriert, oder das französische, Olivier Assayas und Les Nuits fauves von Cyril Collard zum Beispiel. Das ist eine Art von unmittelbarem, direktem Kino, das sich auch von der klassischen Hollywoodstruktur löst. Sie haben in den Achtziger- und Neunzigerjahren gezeigt, was Kino auch sein kann – und zwar nicht nur Top Gun oder was immer gerade aus Hollywood kam. Ausser E. T., den finde ich nach wie vor grandios.

Wanda, mein Wunder – Regie: Bettina Oberli
Herr Imhoof, Sie haben sich aber damals wirklich als neue Welle des Schweizer Films begriffen, oder?
Imhoof: Wir haben zum Beispiel die Nemo Film GmbH gegründet, die «Niemand Film», um uns gegen die stolzen Filmproduktionen abzugrenzen. Fredi Murer, Yves Yersin, Kurt Gloor, Alexander Seiler, Claude Champion, Georg Radanowicz und ich, wir trafen uns jede Woche mindestens einmal, hatten ein gemeinsames Büro, besprachen unsere Drehbücher und Filme miteinander, waren gleichzeitig auch fast alle im Vorstand des Regieverbandes. Ich war in der Eidgenössischen Filmkommission. Wir waren am Suchen, aber wir wussten vor allem, was wir nicht wollten. Einfach war’s nicht immer: Gloor konnte nicht Französisch, Champion nicht Deutsch, da mussten wir alles zweimal sagen. Aber es war eine unglaublich energiereiche und hoffnungsvolle Zeit, besonders, wenn ich das mit heute vergleiche. Wir glaubten an eine Zukunft, auch politisch; unser Denken und Schaffen hatte diese gemeinsame Energie, eine Euphorie. Um die verlorene Euphorie tut’s mir heute manchmal leid.
Wo ist die Euphorie denn hin, Frau Oberli?
Oberli: Ich denke nicht, dass sie weg ist, jedenfalls bei mir und vielen, die ich kenne, nicht. Vielleicht liegt jedoch ein Gefühl allgemeiner Überforderung in der Luft: Heute kann man sich mit so vielem beschäftigen, alles erscheint plötzlich gleich wichtig – das saugt Energie. Man weiss manchmal nicht mehr, auf was man sich konzentrieren soll. Ich habe auch das eine oder andere Mal an der Filmschule unterrichtet, da kam mir alles etwas unverbindlich vor. Als ich noch Studentin war, habe ich es extrem ernst genommen. Ich wusste, ich muss hier Gas geben und mich fokussieren, sonst kann ich keine ernstzunehmende Filmemacherin werden.
Imhoof: Meine Seminare, die ich jetzt noch gebe, heissen «Alle meine Fehler». Ich möchte erzählen, was ich anders gemacht hätte, damit die Jungen nicht die gleichen, sondern andere Fehler machen.
Was bedeutet es für Sie, Schweizer Filmemacher_in zu sein?
Imhoof: Alle meine Filme haben einen persönlichen Ausgangspunkt, also eine Herkunft. Ein Hauptproblem des Schweizer Films bleibt aber die Sprache. Westschweizer wie Claude Goretta oder Alain Tanner konnten dank ihren Koproduktionen mit Paris gleich einen grösseren Raum bespielen. Oder Jean-Luc Godard, der sogar als Franzose gilt. Bei deinem Film Wanda, mein Wunder, Bettina, war ich wiederum überrascht, dass gar nicht so auffiel, dass nicht Schweizerdeutsch gesprochen wird, obwohl der Film ja in der Schweiz spielt. In Der Berg ist Sprache Teil der Geschichte zwischen dem Schweizer Paar und dem österreichischen Eindringling. Die deutsche Hauptdarstellerin imitierte mit ihren Mundbewegungen Mundart, und wir haben sie anschliessend schweizerdeutsch synchronisiert.
Oberli: Bei Wanda, mein Wunder war’s so, dass ich mit gewissen Schauspielerinnen arbeiten wollte, die eben nicht Schweizerinnen waren. Auch das Drehbuch habe ich schon mit einer Berliner Autorin, Cooky Ziesche, verfasst. Klar, es spielt in der Schweiz, das sieht man am Setting, oder am Geld, mit dem sie hantieren. Aber die Schweiz steht hier sinnbildlich für den reichen Westen, der Film könnte auch in einem unserer Nachbarländer spielen, deswegen fühlte sich Hochdeutsch richtig an. Zudem spricht die Familie mit Wanda sowieso Hochdeutsch, dann nimmt man es wohl auch leichter in der Gesamtheit an. Ich denke, es hängt immer sehr vom Film ab, Die Herbstzeitlosen hätte ich unmöglich nicht auf Schweizerdeutsch drehen können, das ist so stark im Emmental verwurzelt.
Titelbild: © Maurice Haas, CC Stefan Brending, Volksmund – oder man ist, was man isst (Markus Imhoof), bearbeitet
Das komplette Gespräch gibt's zum Nachlesen in der Ausgabe N° 8/20.
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