1962 brach die damals zwanzigjährige Künstlerin Ulrike Ottinger von Konstanz nach Paris auf – in einer «mit Eulen bemalten, himmelblauen Isetta». Und obwohl sie diese alsbald mit Motorschaden am Strassenrand zurücklassen musste, sollte sie ihr Ziel erreichen: In einem schwarzen Citroën mit fünf Herren in Hut und Mantel, «wie Bankräuber aus einem Film noir», die die Anhalterin nach Paris mitnahmen. Dorthin ging Ottinger «mit dem festen Ziel, eine grosse Künstlerin zu werden». Erst machte sie lange Spaziergänge und Beobachtungen, um bald zum Kunst- und Intellektuellenzirkel der Buchhandlung Calligrammes zu stossen, die vom Exildeutschen Fritz Picard geführt wurde.

Bildnis einer Trinkerin (1979) mit Tabea Blumenschein
Ottingers essayistischer Dokumentarfilm Paris Calligrammes (2020), den sie an der diesjährigen Berlinale präsentierte – wo sie zugleich mit der «Berlinale Kamera» für ihr Lebenswerk geehrt wurde –, widmet sich ebenjenen Jahren, die grundlegend sind für die Bildsprache und Erzählweise der avantgardistischen Filmemacherin. In Paris widmete sie sich zunächst der bildenden Kunst, der Pop-Art, sie inszenierte Tableaux vivants und integrierte die Sprache der Comics in ihre Gemälde – als «figuration narrative», wie es Ottinger nennt, und nur einen Schritt von ihrer Hinwendung zum Film entfernt.

Johanna d’Arc of Mongolia (1989)
Ottinger kehrte 1969 an den Bodensee zurück, wo sie nebst Berlin bis heute lebt, um sich jener «neuen Kunst» zuzuwenden, in der sie alles vereinen konnte, was sie interessierte: «Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges, Musik und Sprache, Rhythmus und Bewegung, Öffentliches und Privates, Politisches und Poetisches, Trauer und Freude». So entstand Laokoon & Söhne (1972/73), eine «Verwandlungsgeschichte» und ein «Paris-Film», wie Ottinger sagt. Freunde aus ihrer Pariser Zeit traten darin auf: Pierre Bourdieu, Althusser, Tristan Tzara, Max Ernst als «Dame» – sowie Tabea Blumenschein, in Konstanz geboren und Ottingers damalige Partnerin, als fulminant Schöne ebenso wie als Dandy
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