Der Animationsfilm Ne Zha von Jaozi, eine Produktion von Chengdu Coco Cartoon, übertrumpfte 2019 an der Kinokasse sogar den Science-Fiction-Film Liu lang di qiu (The Wandering Earth) von Frant Gwo, obwohl bei letzterem Wu Jing mitspielte. Solche Nachrichten schlagen bei uns nicht grade hohe Wellen und interessieren im Westen allgemein wohl die wenigsten. Sie sind eher etwas für Spezialist*innen, klingen auf jeden Fall exotisch und damit auch etwas marginal. Selbst die meisten Liebhaber*innen der chinesischen Filmkunst, denen die Werke von internationalen Festivaltitanen wie Jia Zhang-ke, Wong Kar-wai oder Zhang Yimou ein Begriff sind, haben wohl von beiden Filmen noch nie etwas gehört.

Diese Wahrnehmungsdefizite können aber zunehmend problematisch werden, denn das, was auf dem Kinomarkt der Volksrepublik China in den letzten Jahren passiert, ist von Belang und hat weltweite Auswirkungen. Denn schliesslich regiert auch im Filmwesen – und besonders da – Geld die Welt. So haben beispielsweise die exotischen Titel Ne Zha und Liu lang di qiu 2019 zusammen fast 1.5 Milliarden US-Dollar eingespielt, was erheblich mehr ist als der Gesamtumsatz aller Kinos der Bundesrepublik Deutschland im selben Jahr (umgerechnet rund 1.14 Milliarden Dollar), um einen Vergleich zu nehmen.

Tritt aus dem elektrischen Schatten
Die Filme rangierten auf Position eins und zwei des chinesischen Box Office, erst auf Platz drei folgt mit Avengers: Endgame die erste amerikanische Produktion, nach sechs weiteren Filmen aus der VR China, schaffte es mit Fast and Furious Presents: Hobbs & Shaw nur noch eine weitere US-Produktion auf Position zehn in die Bestenliste. Diese Dominanz einheimischer Produktionen war in China vor zehn Jahren noch undenkbar. Die Erfolgsgeschichte der elektrischen Schatten (diànyĭng: so heisst Film auf Chinesisch) in der Volksrepublik hat mehrere Gründe. Da sind zum einen der schon Jahrzehnte andauernde Wirtschaftsboom, die Urbanisierung, die Vergrösserung des Mittelstandes und die allgemein gestiegene Kaufkraft des Publikums. Spezifischere Faktoren sind die Professionalisierung der Filmproduktion, der atemberaubende Ausbau der Kino- und Studioinfrastruktur, der Einstieg in die Unterhaltungsindustrie grosser Konzerne, besonders aus dem Technologiebereich, Synergien mit dem TV-, Streaming- und Social-Media-Sektor, Koproduktionen und Investitionen in anderen Kinomärkten und nicht zuletzt eine Reihe von Massnahmen der kommunistischen Machthaber, welche die einheimische Produktion mit Regularien, protektionistischen Massnahmen und Investitionen gezielt fördert. Wer heute über den Kino- und Mediensektor in China berichtet, kommt selbst bei nüchterner Betrachtung nicht mehr darum herum, in Superlativen zu sprechen.
Den vollständigen Artikel gibt es in der Nr. 2/21 nachzulesen.
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