Filmbulletin Print Logo
Katzendiebe1

Katzendiebe

Zwei klägliche Kleinschlaumeier, die in einer Garage hausen, klauen Katzen und bringen sie gegen Finderlohn zurück. Alain hat aus zerflatterter Ehe wenigstens noch eine Tochter, von der er sich entfremden kann, Fredi nicht einmal so viel, nur seinen Komplizen.

Text: Pierre Lachat / 01. Dez. 1996

Die paar wenigen Gattungen, die der Schweizer Film kennt, sind schon zur Überreife gealtert, und doch hat sich keine von ihnen zu einem selbsttragenden Gebilde verdichtet und verfestigt, ähnlich etwa dem französischen policier oder der commedia all’italiana. Die nötige langfristige Serien- und Zitatwirkung ist ausgeblieben, weil die Anzahl der helvetischen Produktionen von jeher nicht genügt. Sicher, da bildete sich so etwas wie ein Heimatfilm heraus, begründet in den fünfzigerJahren vom bodenständigen Franz Schnyder. Doch zur Hauptsache überlebt das Genre heute in dokumentarischer Form, als ethnographische Arbeit (plötzliche Revivals vorbehalten); oder tut es, ohne einen Hauch von Kuhmist, als geruchsneutrale Serie wie «Die Direktorin» von TV DRS. Ihre neueste Ausprägung finden die gemütsbesänftigenden Schilderungen des piccolo mondo antico derzeit in der Sennen-Ballade des Inner(st)schweizers Erich Langjahr.

Viel rühriger und drängender gebärdet sich das hergebrachte Gegenstück zu den Filmen vom Leben auf dem Lande. Das Halbgenre des Stadtfilms, so heisst es mangels besserer Bezeichnung, verzeichnet sogar eine zunehmende Tendenz, und zwar in der Regel als Fiktion. Analog zum Heimatfilm wäre vermutlich «Heimatlosigkeitsfilm» der treffendere Ausdruck (leider zu schwerfällig). Der skeptische, ja vage sozialistische Kurt Früh kleidete ihn zu Schnyders Zeiten in eine erste Gestalt, geprägt von den Zuständen in den Arbeiterquartieren Zürichs. Die Sechziger und Siebziger hindurch wurden die Motive in den Genfer Filmen von den Romands nachgeführt, die sie der Jetztzeit überreichten.

Katzendiebe5

Züritüütsch vo de Gass

Mit den Katzendieben nimmt sich Markus Imboden das ergraut-muntere Genre ein weiteres Mal vor, nachdem er mit dem unterschätzten Bingo das Gleiche schon 1990 getan hat. Im selben Zug knüpft er beim Typus der Deutschschweizer Dialektkomödie an, wie sie vornehmlich von den Filmen Rolf Lyssys her geläufig ist. Und zum ersten Mal in Jahren spricht das Kino wieder Mundart-Dialoge, abgefasst von Walter Bretscher, die Freude an einem ungeschriebenen, hinterwäldlerischen, serbelnden Idiom und eine wache Kenntnis von ihm verraten, das Wissen eines Altertumsforschers.

Die Wortwechsel, die Christoph Schertenleib kürzlich für Liebe Lügen verfasst hat, sind ebenbürtig, doch nicht vergleichbar, weil zur Hälfte österreichisch, öfter Schriftdeutsch als Alemannisch. Aber gerade von daher entsprechen sie den modernen Realitäten viel genauer. Bretscher und sein Mitautor und Hauptdarsteller, der Echtkomiker und gelernte Kabarettist Beat Schlatter (sekundiert von seinem sidekick Patrick Frey) suchen im Züritüütsch vo de Gass’ noch immer knüppeldick breite gequetschte Reinheit: «soo brääit». Doch existiert diese schlackenlose Mundart wohl nur noch im Reservat, im piccolo mondo moderno dieses Films, anders gesagt im Kino.

Die heutige Stadt an der Limmat mit ihrer nächstens babylonischen Vielfalt an Zungen und Akzenten verbindet nur noch wenig mit dem Alt-Züri von Kurt Früh, jener Stadt von Joyce und Frisch. Sie wähnte, mit der weitherzigen Integration der Südländer die Welt wieder ins Lot zu bringen. Aber dafür war es schon zu spät. Katzendiebe lässt vielsagenderweise zwei Typen von der Russenmafia auftreten, die neueste Zuzügergeneration, die erste postkommunistische und einwandfrei kriminelle. So bildet in Bingo wie jetzt in Katzendiebe die Limmatstadt und besonders das verslumende Aussersihl nur mehr einen Raum, in dem sich mit etwas Geschick mindestens ausharren, vielleicht überleben lässt, zwar nicht eben komfortabel, aber auch nicht ganz ohne Menschenwürde.

Katzendiebe4

Niedliche Schwierigkeiten

Zwei klägliche Kleinschlaumeier, die in einer Garage hausen, klauen Katzen und bringen sie gegen Finderlohn zurück. Alain hat aus zerflatterter Ehe wenigstens noch eine Tochter, von der er sich entfremden kann, Fredi nicht einmal so viel, nur seinen Komplizen. Und zwischen die beiden drängt sich auch noch eine flotte Rothaarige nicht ohne eigene feline Aura, die promiske Esoterikerin Karin, eine Schummlerin nicht anders als die beiden Helden auch, die sich für ihr Gewerbe einer wundertätigen Mietze bedient. Glaubwürdig wirkt die Zergliederung des einst überblickbaren Milieus, die Vereinzelung und Auflösung der menschlichen Beziehungen. Bloss sind die Schwierigkeiten, mit denen sich die Helden abmühen, viel zu wenig einschneidend, sogar niedlich.

Da kommt Karins vorgeblich magischer, heilsamer Vierbeiner abhanden, na und? Alain hat seinem Kind rechtzeitig eine Gitarre für einen unverschiebbaren Auftritt als Rocksängerin zu besorgen – so so. Alles wirkt viel zu beiläufig für eine Komödie, die darauf baut, dass der Held etwas aus Tiefstem zu wünschen und mit allen Kräften zu betreiben hat. Lustspiele müssen ernst, im Spass ein bisschen unsanft gemeint sein wie Lyssys Schweizermacher, die den Intoleranten eben wirklich eins auswischten. Imbodens Film funktioniert dramaturgisch tadellos, aber ohne ein Ziel zu verfolgen, ohne etwas zu meinen oder vorzubringen, ohne weh zu tun, was so viel heisst wie: ohne komisch zu sein. Die Helden könnten vom Klauen einfach lassen und etwas anderes anfangen. Man begreift nicht, wieso sie’s nicht einfach tun. Es bleibt schleierhaft, was ihnen an den schäbigen Gaunereien liegen mag. An Betrug müsste man sich freuen können, auch als Zuschauer.

Katzendiebe2

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/1996 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

01. Jan. 2006

La nébuleuse du cœur

Wegen Herzrhythmusstörungen musste sich die Westschweizer Filmemacherin Jacqueline Veuve auf Anraten der Ärzte dazu entschliessen, sich einen Herzschrittmacher einsetzen zu lassen. Als versierte Dokumentarfilmerin entschloss sie sich nicht nur dazu, den ganzen Vorgang zum Thema eines Filmes zu machen, sondern darüber hinaus das Thema «Herz» von Grund auf auszuleuchten und in persönlicher Weise zu kommentieren.

Kino

22. Sep. 2016

Hedi / Inhebbek Hedi

Hedi ist ein grossartig stiller Film, der mit ausserordentlicher kinematografischer ­Konzen­tration und physischer Intensität die politisch angespannte Wirklichkeit ­Tunesiens ­thematisiert.

Kino

29. Apr. 2015

Ex Machina

Kein Zweifel, hier kennt jemand sein Material. Ex Machina ist ein Science-Fiction-Thriller, zugleich aber auch eine Art Metafilm, eine filmische Bilanz zur Motivgeschichte des künstlichen Menschen.