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Besser und besser

Von den ursprünglich vier Mitgliedern der Familie Bader ist Thomas bereits tot und den Überlebenden zum Schatten geworden. Seitdem er vor sieben Jahren am Heroin starb (mit fünfundzwanzig), sucht der Vater Wege, um einem Kleinbürgerdasein am Rand des sozialen Abstiegs zu entfliehen, das er nur noch als sinnlose Belastung empfindet.

Text: Pierre Lachat / 01. Juni 1996

Von den ursprünglich vier Mitgliedern der Familie Bader ist Thomas bereits tot und den Überlebenden zum Schatten geworden. Seitdem er vor sieben Jahren am Heroin starb (mit fünfundzwanzig), sucht der Vater Wege, um einem Kleinbürgerdasein am Rand des sozialen Abstiegs zu entfliehen, das er nur noch als sinnlose Belastung empfindet. Doch führen die Träume von Übersee, die der Inhaber eines Kleinbetriebs für Lichtpausen hegt, kaum über den hoffnungsfrohen Spanischkurs hinaus und bewirken höchstens noch nervöse Herzbeschwerden. Armin lernt eine Fremdsprache (mit sechzig), aber er geht nicht in die Fremde. Er lernt eine jüngere Frau kennen, aber er geht nicht fremd.

Kurzum, er ist einer von den Fernweh-Schweizern, die auf dem Bahnsteig rechtsumkehrt machen. Seine Frau ihrerseits verschreibt sich der Esoterik. Regelmässig lockt eine (nicht näher bezeichnete) Kirche in Bayern Marlies auf geheimnisvolle Pilgerfahrten. Melancholisch hört die Jüngerin tröstliche Kassetten und liest erbauliche Broschüren. Im übrigen bestreitet sie jede Notwendigkeit, etwas zu ändern, sei’s für sich, sei’s für die andern. Jeder müsste imstand sein, seine Schwierigkeiten so vollkommen zu ignorieren, wie diese Erleuchtete es tut. Die Welt wäre dann für alle der Vorhof zum Paradies.

Der jüngere von den (einst) zwei Söhnen wird wegen Drogenmissbrauchs verurteilt. Ein freiwilliger Entzug auf dem Land erspart ihm die Strafe. Dumpf dämmert es Markus, dass er sich zu lösen hat, vom Stoff und von zuhause, soll es ihm nicht ergehen wie dem toten Bruder. Der Abschied für die Dauer einer Kur wird zum (wohl) endgültigen Weggang von den Eltern. Nach absolvierter Behandlung beginnt er zu kellnern. Eine hübsche Freundin betritt den Plan und erkundet Möglichkeiten, sich fortzupflanzen.

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Dialoge, dichter als geschrieben

So hat sich (mindestens die ursprüngliche) Familie der Bader überlebt, und ob eine nächste übernimmt, steht dahin. Der Zerfallsprozess ist unumkehrbar geworden. Wann er eingesetzt hat, lässt sich nicht mehr eruieren, noch ist abzusehen, wie weit sich die Vereinzelung noch hinziehen mag. Sicher scheint einzig der Ausgang: die endgültige Auflösung aller bestehenden Bindungen. Eine Gemeinschaft hat versagt (an Thomas). Ehe sie noch mehr Schaden anrichten kann, hebt sie sich sozusagen selber auf.

Das, was man die Ursachen nennt, bildet nicht Gegenstand dieses Films und bleibt unerwähnt. Wenn überhaupt eine Absicht die Autoren bewegt, dann die, zu zeigen, dass die Baders keine Fragen mehr stellen, weil ihre Kraft, das Auseinanderfallen der Familie aufzuhalten, dahin ist. Alfredo Knuchel und Norbert Wiedmer werweissen auch selber nicht und verkneifen sich jeden Reim und Kommentar. Keine griffige journalistische Texte klopft das Verständnis zurecht. Nur minimal werden die Figuren gesteuert, gedeutet oder situiert. Ganz und gar selbsterklärende Einzelszenen handeln zunächst einmal nur von einem, und das sind die Vorgänge, und nehmen vorweg, welches die unabwendbare Folge sein wird. Einzig dann, wenn es sich aus der einzelnen Szene heraus als notwendig erweist, ist die lenkende Hand zu spüren, oder es blitzt eine Interpretation auf.

Die Autoren können auf alles Beiwerk verzichten, weil sie überall dort, wo jeder Schuldokumentarist Gespräche einfügen würde, eigentliche Auftritte mit zwei oder drei der Badersveranstalten: Kernteile, die erst das Aussergewöhnliche, ja Einmalige des Berichts ausmachen. Es sind Dialoge voll nörgelig-kleinbürgerlichen Laments, die zwar nicht inszeniert sind, wohl aber von Grund auf erarbeitet. Das heisst nicht, dass sie gestellt wirken. Aber ohne geschrieben zu sein, wirken sie dichter, wahrer und aussagekräftiger, als wenn sie geschrieben wären.

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Schauspieler ihrer selbst

So beschreibt besser und besser das Leben der Baders nicht bloss, sondern wird zu einem regelrechten, intervenierenden Daseinsbeschleuniger. Könnte der Film Markus’ Ablösung gefördert haben? Gerne möchte man das vermuten. Zwiegespräche wie die zwischen Armin und Marlies fliessen spürbar in ihre Biographien ein. Und nicht alles, was da an Verschwiegenem aufbricht, ist von aggressiver, verletzender Art. Haben Mann und Frau nie wirklich ausgesprochen, was sie voneinander denken, dann steckt im Ungesagten eben oft auch viel Liebevolles. «Endlich, ein wahres Wort», entfährt es einmal der Frau ganz unwillkürlich. Da haben zwei einander lange nicht mehr zugehört.

Was unumkehrbar ist, ist meistens notwendig (und umgekehrt), und es ist oft auch richtig. Die Logik der Lebensläufe setzt sich hier nicht umständlich zusammen, sondern sie ist sur le vif, durch unmittelbares Eintauchen in den Gang der Dinge erfasst und wiedergegeben. Die Baders sind authentischer als authentisch, weil sie von Darstellern zu eigentlichen Schauspielern ihrer selbst werden und sozusagen ihre Rollen nacherfinden. Wer war und wer bin ich? scheinen sie zu fragen und: Wie spiele ich mich selbst?

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Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 3/1996 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

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