Filmbulletin Print Logo
Vaeter4

Väter

Sind Mütter die besseren Väter? Oder verhält es sich gar umgekehrt? Den Nachweis muss heute niemand mehr erbringen. Auch Dani Levys Spielfilm Väter klärt die Frage nicht, greift aber exemplarisch ein geschlechterpolitisch nach wie vor brisantes Thema auf.

Text: Birgit Schmid / 01. Okt. 2002

Sind Mütter die besseren Väter? Oder verhält es sich gar umgekehrt? Den Nachweis muss heute niemand mehr erbringen. Auch Dani Levys Spielfilm Väter klärt die Frage nicht, greift aber exemplarisch ein geschlechterpolitisch nach wie vor brisantes Thema auf. Väter hat in Robert Bentons Ehedrama Kramer vs. Kramer einen Vorgänger. Muss man den Film aus dem Jahre 1979 jedoch im Kontext der Frauenbewegung und der damals heftig diskutierten Frage nach dem Sorgerecht der Kinder sehen, so ist heute als Folge davon einiges anders. Die gesetzliche Gleichbehandlung beider Elternteile erleichtert es den Vätern, nach einer Trennung die Kinder zugesprochen zu bekommen. Dass soziale Zwänge und gesellschaftliche Vorurteile die Situation der so genannt «neuen Väter» trotzdem erschweren, zeigt sich in Kramer vs. Kramer wie in Väter; die neue Erziehungsverantwortung kostet den Mann die berufliche Karriere. In den letzten Jahren begannen sich nun Väter, die wollen, aber nicht können, zu wehren, was sich in einer ganzen Reihe von Publikationen niederschlug. So basiert Väter auf einer Idee von Matthias Matussek, der 1998 in seiner Reportage «Der entsorgte Vater» die vaterlose Gesellschaft anprangerte, die als Folge einer «radikalfeministischen Utopie» «leise und allmählich Wirklichkeit» werde. Die Parteilichkeit und eine Prise political incorrectness ist Dani Levys Film also eingeschrieben.

Vaeter2

Blättern im Familienalbum

Verliess in Kramer vs. Kramer Meryl Streep als unter- beziehungsweise überforderte Vollzeit-Mutter Mann und Sohn, so arbeitet 2002 die emanzipierte Frau trotz Kinder, ohne eine Rabenmutter zu sein. Melanie Krieger ist Lehrerin, ihr Ehemann Marco nimmt gerade die nächste Stufe auf der Karriereleiter als Architekt, der sechsjährige Sohn Benny macht das kleine Familienglück perfekt. In der ersten Einstellung von Väter liegen die drei Menschen im Ehebett, das Bild verströmt kuschelige Geborgenheit – bis das Erwachen den Kokon sprengt und das allmorgendliche Chaos losgeht. Ein wichtiger Termin peitscht, das T-Shirt gefällt dem quengelnden Sohnemann nicht, der Frühstückstoast verkohlt. Das moderne Leben, in dem die Selbstverwirklichung ein Menschenrecht ist, offenbart gleich sein Defizit: keine Zeit für den andern. Zwar liebt sich das junge Ehepaar, wie zärtliche Sekundeninseln, in denen die fahrige Kamera kurz inne hält, vor Augen führen. Aber schon der Auftakt macht klar, dass trotz emotionaler Polsterung und materieller Sicherheit die Ansprüche auf berufliche Erfüllung den privaten Bedürfnissen in die Quere kommen.

Dani Levy blättert in diesen ersten Sequenzen im Familienalbum, um zu zeigen, wie der Idealfall ist; die muntere Musik seines langjährigen Komponisten Niki Reiser untermalt die Werbeästhetik des family lifestyle – die Botschaft könnte dezenter sein. Hingegen wird die Wahl, mit digitalen Kameras zu drehen, der Erzählung des drögen Alltags sehr schön gerecht, ermöglicht das Aufnahmematerial doch expressives Nahegehen.

Der Rosenkrieg eskaliert

Es sind im Verlauf der Geschichte kleine Zeichen, die vom gegenseitigen Abhandenkommen erzählen: Er übergeht in der morgendlichen Hetzerei ihren Hinweis auf den Hochzeitstag. Sie verpasst es, abends als erstes nach dem Erfolg seiner Projektpräsentation zu fragen. Und obwohl die Toleranz sagt: Das kann ja mal passieren, zuckt die Liebe unmerklich zusammen und flüstert Verrat. Die Irritationen kumulieren, ballen sich zu Frust. Bei Melanie verstärkt sich das Gefühl, zu kurz zu kommen. Marco ist selbst noch ein Kind. Ob der Begeisterung für einen Sportwagen, mit dem er im Wettrennen einen Geschäftpartner gewinnen lässt, um ihn für sein Projekt einzunehmen, verpasst er es, seinen Sohn im Kindergarten abzuholen. Zu Hause attackiert ihn die aufgebrachte Melanie mit Worten, die sie nie für möglich hielt. In einer verbalen Retourkutsche wirft er ihr die leidvolle «Hausfrauenfresse» vor. Es kommt zur ersten Ohrfeige, worauf Melanie Koffer und Kind packt, unter Polizeischutz die gemeinsame Wohnung verlässt und wenig später die Scheidung einreicht. Der Rosenkrieg eskaliert, als Marco das Besuchsrecht entzogen wird. In einer Kurzschlussreaktion entführt er seinen Sohn.

Vaeter3

Ständig rennt einer davon

Manch psychologischer Kurzschluss, manch plakative Andeutung gibt es nun leider auch in Väter. So wiederholt sich für Marco, der als Jugendlicher von seiner Mutter verlassen wurde, eigentlich nur ein Kapitel im Familienroman. Konflikte zwischen Marco und Melanie bleiben oberflächlich und werden kaum ergründet; eine Schwäche des Drehbuchs, an dem Rona Munro, Autorin von Ken Loachs Ladybird, Ladybird, dem eindringlichen Sozialdrama um eine alleinerziehende Mutter, mitgearbeitet hat. Dem Skript, das das gesprochene Wort sparsam einzusetzen weiss, gebührt Lob – aber dass die ausgeprägte Dialogunfähigkeit zwischen dem Ehepaar ohne erklärende Alternative bleibt, empfindet man als Mangel. Ständig rennt einer davon. Zwar sorgen der wechselseitige Rückzug, die Annäherung und erneute Verhärtung der Fronten für eine zügige Dramaturgie, aber sie sind zu wenig motiviert. Im Gegensatz zu Kramer vs. Kramer, der auch das Trauma des Knirpses, des eigentlichen Opfers, feinfühlig thematisiert, berühren die Figuren in Väter kaum. An den Hauptdarstellern Sebastian Blomberg und Maria Schrader, Levys Lieblingsschauspielerin, liegt es nicht. Das Format von Väter ist einfach zu fernsehtauglich. Da ist selbst die Versöhnungsgeste am Schluss, wo Vater und Mutter auf einer Kinderschaukel wippen, von leicht abgestandener Poesie.

Dani Levy gilt seit seinen Berliner Geschichten Du mich auch, Robbykallepaul oder Stille Nacht als Spezialist für, das Wort ist hier nicht unpassend, Beziehungskisten heutiger Grossstadtbewohner. Es sind dann auch die präzisen und ehrlichen Beobachtungen zwischenmenschlicher Kollisionen, die in seinem neuen, gleichwohl reifsten Film, die lichten Momente ausmachen. Zugute halten muss man Väter auch, dass er nicht moralisch urteilt und in Opfer und Täter polarisiert. In dieser fairen Perspektive auf eine nach wie vor aktuelle Problematik steht Levys Film Kramer vs. Kramer dann auch in nichts nach.

Vaeter1

Dieser Artikel ist in der Printausgabe Nr. 5/2002 erschienen. Stöbern Sie in unserem Ausgabenarchiv.

Weitere Empfehlungen

Kino

01. Sep. 2009

Giulias Verschwinden

In Würde altern oder bewusst unwürdig? Oder einfach den Verfall der Körper- und Geistesfunktionen ignorieren, bis es gar nicht mehr geht? Schaub und Suter machen es sich einfach, weil sie an der Oberfläche des Konversationsstücks bleiben.

Kino

10. Dez. 2014

Timbuktu

Sissako hat seinen Film zwar im Orkus der Gegenwart angesiedelt, aber dennoch nie die Ansprüche aus den Augen verloren, die sich aus der Faszinationskraft des Titels ergeben. Timbuktu ist ein kinematografisches «J’accuse», eine humanistische Antwort auf die islamistischen Besatzungstruppen, die sich bereits in den prägnanten, ökonomisch geschnittenen Eröffnungsszenen mit Beharrlichkeit und Konsequenz der Zerstörung der lokalen Zivilisation verschreiben.